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Sohn bestiehlt den eigenen Vater

Als die Eltern im Urlaub sind, hebt der Mann 1 400 Euro von ihrem Konto ab. Ist das alles nur ein Missverständnis?

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© André Braun

Riesa. Als die Mutter des Angeklagten vor dem Riesaer Amtsgericht befragt wird, erntet sie einige überraschte Blicke von Richterin Ingeborg Schäfer. „Reden Sie denn nicht mit Ihrem Sohn?“, fragt Schäfer dann auch. Sie ist nicht die Einzige im Gerichtssaal, die sich diese Frage stellen dürfte. Denn die Mutter weiß erstaunlich wenig über angebliche Absprachen und Vereinbarungen, die ihr 29-jähriger Sohn mit seinem Vater getroffen haben will. Nicht nur das: Offensichtlich war die Tat, wegen der der 29-Jährige nun in Riesa vor Gericht steht, bisher überhaupt kein Thema innerhalb der Familie. Dabei hatte der Vater des Angeklagten die Strafverfolgung überhaupt erst ins Rollen gebracht.

Im Juni 2015 hatte der 29-jährige Thiendorfer die EC-Karte des Vaters an sich genommen und damit Geld abgehoben. Innerhalb von vier Tagen ging er zwölfmal zum Automaten, etwas mehr als 1 400 Euro waren es schließlich, die er eigenen Angaben zufolge in einem Spielcasino verzockte. Die Eltern waren in dieser Zeit im Urlaub, hatten den Diebstahl der Karte noch gar nicht bemerkt. Erst als sie über das Internet den Kontostand abrief, seien ihr die Abbuchungen aufgefallen, sagt die Mutter des Angeklagten. Das Ehepaar ließ anschließend die EC-Karte sperren – und beim letzten Abhebeversuch zog der Automat sie ein. Wenig später bekam der Vater auch Fotos zu sehen, die den Sohn beim Abheben mit der entwendeten Karte zeigten. Das eigene Kind konnte er laut Polizei eindeutig identifizieren.

Das ist nicht selten

Fälle von Diebstahl in der Familie würden in Riesa nicht einmal allzu selten verhandelt, sagt der Chef des Amtsgerichts, Herbert Zapf. Von täglich Brot wolle er zwar noch nicht sprechen. „Aber es kommt schon einige Male im Jahr vor.“ Meistens seien es Fälle, in denen das Familienverhältnis kaum noch zu kitten sei und sich die Eltern nicht mehr anders zu helfen wüssten, als Anzeige zu erstatten. Auffällig sei außerdem das Alter der angezeigten Kinder: Zapf spricht von 25 bis 35 Jahren, „also Leute, die eigentlich schon voll im Leben stehen“. Auch bei den Hintergründen lasse sich ein gewisses Muster erkennen, sagt der Amtsrichter. „Dahinter stecken häufig Drogen, oft auch eine Spielsucht oder Spielleidenschaft.“

Der Angeklagte aus Thiendorf räumt vor dem Riesaer Amtsgericht schon zu Beginn ein, die Karte genommen und damit den vierstelligen Betrag abgehoben zu haben. Allerdings rechtfertigt er sein Handeln mit einer Vereinbarung, die er und sein Vater getroffen hätten. Weil sein Konto eine Zeit lang gepfändet gewesen sei und er danach überhaupt keines mehr besessen habe, hätten er und sein Vater sich dieses Konto praktisch geteilt, so der 29-Jährige, der sich im Baugewerbe selbstständig gemacht hat. Wenn er eine Rechnung an Auftraggeber geschrieben habe, dann sei das Geld also auf dem Girokonto des Vaters gelandet. Eine Zeit lang habe er frei über die Karte verfügen können, danach habe sich die Vereinbarung geändert: Der Vater habe ihm nun monatlich Bargeld gegeben. Warum, das wisse er selbst nicht. Weil der Vater nun im Urlaub gewesen sei, er aber Geld gebraucht und auch damit gerechnet habe, dass bald Geld aus einem größeren Auftrag auf dem Konto eintreffen würde, habe er die Karte eigenmächtig an sich genommen.

Einige Ungereimtheiten

Ist also alles nur ein Missverständnis? So recht glauben kann die Richterin diesen Aussagen nicht. Eine der Ungereimtheiten sei das „total schräge Geldabhebeverhalten“ des 29-Jährigen, wie Ingeborg Schäfer es nennt. Weshalb er zwölf kleinere Beträge abholte, statt sich einmal den ganzen Betrag, der ihm laut der angeblichen Vereinbarung zugestanden habe, kann der Mann ebenso wenig beantworten wie die Frage, weshalb sein Vater vier Monate nach der Tat Strafantrag gegen ihn gestellt habe, wenn es doch angeblich diese Vereinbarung gegeben habe. Weil die spontan als Zeugin aufgerufene Mutter zu alledem nichts sagen kann und offenbar auch nie ein klärendes Gespräch zwischen den Eltern und ihrem Sohn stattgefunden hat, wird das Gericht den Vater befragen müssen. Der Prozess wird deshalb Mitte Februar fortgesetzt.