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Sonderschichten im Krematorium

Der Durchschnitt liegt bei 40 Urnen täglich. Jetzt sind es 60. Chef Jörg Schaldach hat eine Vermutung.

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© Claudia Hübschmann

Meißen. Der Ort auf dem Totenschein verrät, wo die Grippewelle gerade angekommen ist. „Auf einer Karte lässt sich richtig verfolgen, wie die Influenza wandert“, sagt der Chef des Meißner Krematoriums Jörg Schaldach. Die aggressiven Viren führen dazu, dass das Städtische Bestattungswesen derzeit Sonderschichten einlegen muss. Normalerweise reichen zwei Schichten aus. Jetzt wird eine dritte nötig.

Bei den meisten der Grippe-Toten sei schon eine Grunderkrankung vorhanden. Die Influenza besorge dann den Rest, spekuliert Schaldach. Eine Rolle spielt dieses Jahr zudem, dass die Dreifach-Impfung nicht wirkt. Die besser schützende Vierfachimpfung wurde nicht von allen gesetzlichen Krankenkassen erstattet.

Schaldach führt in die Totenhalle. Dicht an dicht stehen hier die Särge. Helleres und dunkleres Holz wechseln sich ab. Ein Mitarbeiter bereitet die nächste Leiche für den Ofen vor. In der Regel werden im Meißner Krematorium pro Wochentag 40 Urnen befüllt. Derzeit kommen durchschnittlich 60 zusammen. Nach Angaben des Geschäftsführers sind das dreimal so viel Einäscherungen wie an Sommertagen mit einer geringen Nachfrage. Teilweise kämen die Standesämter nicht mit dem Beurkunden der Sterbefälle hinterher.

Totenhalle wird vergrößert

Die hohen Zahlen bringen den Betrieb auf einem Höhenzug über der Altstadt an seine Kapazitätsgrenze. Der Lagerraum ist endlich. Zum Haupt-Einzugsbereich zählen als Kerngebiet der Landkreis Meißen, die umliegenden Kreise sowie Brandenburg und Berlin. Der Anteil an Feuerbestattungen liege in der hiesigen Region bereits bei über 90 Prozent, sagt Jörg Schaldach. Tendenz weiter steigend. Einen Preisvorteil gegenüber der Erdbestattung gebe es nicht. Die Feuerbestattung habe sich einfach durchgesetzt. Mittlerweile auch in den westlichen Bundesländern, wo dies ursprünglich nicht der Fall gewesen sei.

Um den Andrang bewältigen zu können, legen Schaldach und seine insgesamt 23 Mitarbeiter wert darauf, die Toten möglichst an dem Tag einzuäschern, an dem sie in Meißen ankommen. Die Bestatter müssen sich dabei nicht vorher anmelden. Sie verfügen über einen eigenen Schlüssel für das Betriebsgebäude und sind auf diese Weise flexibel. Das gilt gleichfalls für das Abholen der befüllten Urnen.

Noch in diesem Jahr möchte der Geschäftsführer damit beginnen, die Lagermöglichkeiten des Krematoriums weiter auszubauen, um diesen Engpass zu beheben. Der Bau sei bereits genehmigt. Mit einem kleinen Sperrholzmodell verdeutlicht Schaldach, wie die Fläche verdoppelt werden soll. Späterhin ist zudem an einen dritten Ofen gedacht.

Meißens Krematorium verfügt seit Jahren über die in der Branche technisch am weitesten entwickelten Anlagen. 2018 möchte der Unternehmenschef die Druckluft-Versorgung der Öfen optimieren. „Von unseren Standards können andere nur träumen“, sagt er. Der Ingenieur tüftelt beständig daran, den Energieeinsatz zu verringern, die Effizienz zu erhöhen und nicht zuletzt die Abgaswerte noch weiter herunterzuschrauben. Um in Hochzeiten wie diesen bei Pannen schnell reagieren zu können, unterhält der Betrieb ein umfangreiches Lager mit Ersatzteilen wie Pumpen und Lüftern. Die Grippe wiederum sei bei seinen Mitarbeitern kein Thema so Schaldach. „Wir sind alle vierfach geimpft“, sagt er. Da haben die Viren keine Chance.