Von Susanne Plecher
Dobra. Das hat Steffen Braune noch nicht erlebt und selbst gestandene Ornithologen dürften sich über die Beobachtungen des Dobraers wundern. Denn seit drei Tagen spielt sich auf seinem Hof ein ganz besonderes Naturschauspiel ab. Eines, das ganz leise und federleicht daherkommt.
Unter dem Garagenvordach haben Rotschwänzchen ein Nest gebaut. Seit Generationen nisten die kleinen Singvögel hier. Steffen Braune hat ihnen ein Brett als Nisthilfe an die Wand geschraubt, ein langer Nagel dient den Alten als Landeplatz. Das Nest ist auch in diesem Frühling wieder bezogen worden. Ein Hausrotschwanzpärchen hat fünf Junge ausgebrütet und sich liebevoll um sie gekümmert. Bislang allein, wie das so üblich ist. Umso erstaunter war ihr Herbergsvater, als er Anfang der Woche eine Rauchschwalbe auf dem Lande-Nagel sitzen sah. „Sie hat die Küken mit Insekten gefüttert“, sagt der 48-Jährige.
Die Schwalbe kam nicht allein. Gemeinsam mit ihrem Partner jagt sie nun zielstrebig nach Nahrung für die fremden Küken. Allerdings sehen die Schwalben, die selber nicht gebrütet haben, die kleinen Rotschwänzchen mehr und mehr als ihre eigenen Kinder an. Wer sich dem Nest nähert, und seien es auch die leiblichen Eltern der Brut, wird davon gejagt. „Es sieht so aus, als wollten sie sie adoptieren“, so Braune. Von seinem Hobbyraum auf der gegenüberliegenden Hofseite genießt er einen exzellenten Blick auf das Schauspiel.
Rauchschwalben sind Platzhirsche
Tatsächlich erweisen sich die größeren Rauchschwalben als Platzhirsche. Die Rotschwänzchenmutter, die einen zappelnden Wurm im Schnabel hat, und sich zaghaft und sichernd dem Nest nähert, wird mit elegantem Flügelschlag vertrieben. Ihrem Mann ergeht es nicht besser. Auch er muss mit seiner Nahrungsladung wieder abdrehen. Doch lange lassen sie sich nicht von ihrem Nachwuchs fernhalten. Das Weibchen fliegt wieder heran, nähert sich knicksend und schwanzzitternd dem Nest: vom Schornstein über den Dachfirst zur Wand und schließlich dem Nagel. Schnell ist sie den Wurm los. Auch das Männchen stopft einen gelben Schlund. „Die Schwalben brauchen ein bisschen länger, um von der Futtersuche zurückzukehren. Die Zwischenzeit nutzen die Rotschwänzchen“, sagt der Tierfreund. Die fünf Küken scheinen die besondere Fürsorge zu genießen. Immerhin haben sie nun fast eine Mann-zu-Mann-Deckung. Glücklicherweise haben Schwalben und Rotschwänzchen ein ähnliches Nahrungsspektrum. Sie fressen hauptsächlich Insekten.
Inzwischen sind die Kleinen fast flügge. Ist gerade einmal keines der vier Elternteile in Sicht, strecken sie die Beine und stellen sich im Nest auf. Neugierig beobachten sie den Hof. Eines war dabei gestern Vormittag zu wagemutig, fiel heraus und landete auf der Mülltonne. Steffen Braune war schnell mit einer Leiter zur Stelle und bugsierte den Unglücksraben wieder zu seinen Geschwistern. „Bevor ihn die Katze holt“, sagt er. Denn die gehört auch zum Hof und liefert ihm tagtäglich ein anderes kleines Naturschauspiel: Pünktlich um 18 Uhr zum Abendgeläut der Dobraer Kirche kommt sie nach Hause, will Futter und Streicheleinheiten. Das wird so bleiben, auch wenn der lautlose Sorgerechtsstreit nicht mehr in den Lüften tobt.