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Späte Genugtuung für ein Missbrauchs-Opfer

Das Amtsgericht Zittau verhandelt gegen einen Mann, der seine kleine Stieftochter intim berührt hat. Für die Aufklärung sorgt ein anderer, der zu viel Sex wollte. 

Von Markus van Appeldorn
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Das Amtsgericht Zittau verhandelte am Donnerstag gegen einen Zittauer wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes.
Das Amtsgericht Zittau verhandelte am Donnerstag gegen einen Zittauer wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes. © Archivbild: Matthias Weber

Die Aufklärung von Straftaten geht immer wieder Umwege und verschlungene Pfade - und immer wieder ist es auch der Zufall, der längst vergessen geglaubte Taten ans Licht bringt. So war es auch im Falle eines 46-jährigen Zittauers, der am Donnerstag wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes vor dem Amtsgericht angeklagt war. Ins Rollen brachte die Sache ein Vorfall, der gar nichts mit der Anklage zu tun hat. 2016 erstattete eine 19-Jährige bei der Polizei in Dresden Anzeige gegen ihren Freund. Sie fühle sich von ihm bedroht und er wolle zu viel Sex von ihr. Als die junge Frau dabei äußerte "Ich habe schlechte Erfahrung mit Sex" wurde der Polizist hellhörig. Und die Frau offenbarte, was der Angeklagte, ihr damaliger Stiefvater, zwischen 2007 und 2010 in seinem Büro und im Ehebett des Hauses in Hirschfelde mit ihr angestellt haben soll.

Der mittlerweile 21-Jährigen stockte bei ihrer Zeugenaussage im Saal 201 des Amtsgerichts die Stimme. Nur unter Tränen kann sie davon berichten, was der Stiefvater ihr damals angetan habe. Bei der Kontrolle ihrer Mathematik-Hausaufgaben habe sie sich in seinem Büro im Wohnhaus auf seinen Schoß setzen müssen. "Dann ist er mir unters T-Shirt und hat mich gestreichelt", schildert sie. Damals habe bei ihr gerade die Pubertät eingesetzt und ihr Stiefvater habe sie bei mehreren dieser Gelegenheiten an Brust und Geschlecht berührt. Zweimal habe er das Gleiche gemacht, als sie sich im Ehebett zu ihrer Mutter gekuschelt habe. "Ich bekomme heute noch Panik, wenn mich jemand anschaut", schilderte die Frau die Folgen. Der Verteidiger trug vor, sein Mandant bestreite absichtliche und sexuell motivierte intime Berührungen. Allenfalls könne es mal aus Versehen zu solchen Berührungen gekommen sein. Amtsrichter Holger Maaß hielt dem Angeklagten vor, er habe damals gegenüber den Großeltern seiner Stieftochter geäußert, ihm sei "vielleicht die Hand ausgerutscht". "Wie oft kann einem die Hand ausrutschen? Das war kein Versehen und er wusste ganz genau, wo er mit seiner Hand war", sagte die junge Frau.

Als 13-Jährige hatte sie sich 2010 tatsächlich mal ihrer Großmutter anvertraut - allerdings nicht in allen intimen Details. Sie hatte der Großmutter gegenüber geäußert, der Stiefvater habe sie angefasst, unterm T-Shirt den Rücken gestreichelt. Mutter und Großmutter stellten den Mann damals auch tatsächlich zur Rede. Es geschah aber weiter nichts. Insbesondere deswegen, weil es damals auch familiäre Umstände gab, die auf ein anderes Motiv für die Anschuldigung schließen lassen konnten. Im Jahr 2007, als die Missbrauchs-Handlungen begannen, brachte ihre Mutter nämlich den Halbbruder der jungen Frau zur Welt, also einen leiblichen Sohn des Angeklagten. In der Folge fühlte sich das Mädchen in der Familie zurückgesetzt und vom Stiefvater nicht als "echte" Tochter behandelt. Richter Maaß befragte die junge Frau eindringlich zu diesem möglichen Motiv, die sexuellen Handlungen womöglich erfunden zu haben. Die Frau und ihre Mutter gaben auch zu, dass sich das Verhältnis von Tochter und Stiefvater mit der Geburt des Sohnes verschlechtert habe. Der Verteidiger zog in seinem Plädoyer schließlich die Glaubwürdigkeit der Frau in Zweifel. Es sei zwar unangemessen von dem Stiefvater gewesen, das Kind unter dem T-Shirt am Rücken zu streicheln. Die Jahre später behaupteten Berührungen an Brust und Geschlecht dagegen habe es nicht gegeben und könnten dem Angeklagten auch nicht nachgewiesen werden. Er forderte Freispruch für seinen Mandanten.

Richter Holger Maaß verurteilte den Mann schließlich zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und der Zahlung von 600 Euro an den Deutschen Kinderschutzbund in Zittau. "Ich halte es für ausgeschlossen, dass die Zeugin hier eine schauspielerische Meisterleistung erbracht hat", sagte er in der Urteilsbegründung. Ein Rachemotiv gegen ihren ehemaligen Stiefvater schloss er aus. Der Prozess sei ja eher ein Zufallsereignis, weil sie damals ihren Ex-Freund angezeigt habe. "Wer jemanden anzinken will, kommt nicht durch die Hintertür", sagte Maaß. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.