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Sachsens Bester steigt zu den Biathlon-Größen auf

Justus Strelow wurde nach seinen ersten Weltcup-Einsätzen befördert und könnte bei Olympia Michael Rösch beerben.

Von Daniel Klein
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Auf Skirollern trainiert Justus Strelow (l.) vor dem beeindruckenden Panaroma von Bormio beim Lehrgang der deutschen Biathleten.
Auf Skirollern trainiert Justus Strelow (l.) vor dem beeindruckenden Panaroma von Bormio beim Lehrgang der deutschen Biathleten. © Kevin Voigt

Dresden. Auf dem Papier muss man schon zweimal hinschauen, um den Unterschied zu bemerken. Im Grunde hat sich lediglich ein Kleinbuchstabe verändert. Vor dem Namen von Justus Strelow steht seit dem Frühjahr statt „Lehrgangsgruppe Ib“ nun „Ia“. Wer nicht mit der sperrig-bürokratischen Begrifflichkeit des Deutschen Skiverbandes (DSV) vertraut ist, ahnt nicht, dass diese kleine Änderung gravierende Folgen für den besten sächsischen Biathleten hat.

Strelow wurde in einen Kreis befördert, der sich aus dem harten Kern des Weltcup-Teams zusammensetzt. Und der genießt gewisse Privilegien. In dieser Saison sind es sieben „Ia-Männer“, die zusammen mit den Bundestrainern Mark Kirchner und Isidor Scheurl gemeinsame Lehrgänge bestreiten. Fünf waren zwischen Mai und November geplant, der erste mit dem Rad wurde wegen Corona gestrichen, vom zweiten im italienischen Bormio kehrte die Gruppe kürzlich zurück.

„Es war anstrengend, hat aber auch Spaß gemacht“, fasst Aufsteiger Strelow die acht Tage in der Lombardei zusammen. Auf Rollerski und Mountainbikes waren sie unterwegs, absolvierten Crossläufe, eine Bergtour und Krafteinheiten. Auf Scheiben gezielt wurde natürlich auch, schließlich schaute der Schieß-Bundestrainer für einige Tage vorbei. Ein Physotherapeut, der sich um die müde Muskulatur kümmerte, war dauerhaft im Teamhotel. „Der große Unterschied zu den vergangenen Jahren ist, dass ich nun auf die ganze Logistik und Ressourcen zugreifen kann“, erklärt Strelow und meint neben der Physiotherapie die medizinische Versorgung sowie Termine beim Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT) in Leipzig und Unterstützung bei Materialtests. Verkürzt formuliert: Es wird sich vonseiten des Verbandes noch mehr gekümmert, noch mehr abgenommen. Die Sportler sollen sich auf Training und Wettkampf konzentrieren.

Strelow will die besseren Bedingungen nutzen, um sich im Weltcup zu etablieren. Das erste Mal reinschnuppern durfte der 24-Jährige beim Saisonfinale des vergangenen Winters, als er in Östersund auf den Plätzen 37 und 30 einkam. „Da habe ich gute Rennen gemacht, aber nicht meine besten. Das gibt mir jetzt Selbstvertrauen, weil ich weiß, dass ich mithalten kann – und noch weiter vorn landen, wenn es mir gelingt, die maximale Leistung abzurufen“, erklärt der in Hermsdorf bei Altenberg aufgewachsene Strelow.

In der Hierarchie der deutschen Skijäger ist er nun zwar aufgestiegen, aber noch nicht ganz oben angekommen. Mit Benedikt Doll, Erik Lesser, Roman Rees und Philipp Nawrath wurden für die ersten drei Weltcup-Stationen schon vier Plätze fest vergeben, um die restlichen zwei kämpfen neben Strelow noch die anderen „Ia-Männer“ Philipp Horn und Johannes Kühn.

Die Formel lautet zwei aus fünf

Entschieden wird das erst nach internen Testwettkämpfen beim abschließenden Lehrgang im November im finnischen Muonio, wo auch noch die zwei Besten aus der Ib-Gruppe dazustoßen.

Die Formel lautet dort also zwei aus fünf. Die Quote klingt nicht zwingend vielversprechend, Strelow ordnet seine Chancen trotzdem „deutlich besser“ ein als vor einem Jahr. Sollte es zu Saisonbeginn nicht gleich mit dem Weltcup klappen, ist er auf jeden Fall für die zweite Biathlon-Liga, den IBU-Cup, gesetzt. Das war bisher anders. „Der große Vorteil ist, dass ich mich dafür nicht mehr bei den deutschen Meisterschaften im September qualifizieren muss. Das hat immer viel Kraft gekostet und das Training durcheinandergebracht“, erklärt er. Die DM am Arber in Bayern wird er nun aus dem vollen Training heraus bestreiten – wie Doll und Lesser.

Das schwäbisch-thüringische Gespann ist nach dem Rücktritt von Arnd Peiffer das neue Führungsduo. Der Olympiasieger von 2018 hinterlässt eine große Lücke. „Das letzte bisschen Halt, die letzte Bastion fällt da weg“, hatte es Kumpel Lesser etwas drastisch formuliert. Strelow hörte beim Lehrgang in Bormio von den Älteren immer wieder, wie Peiffer früher „für gute Stimmung und auch für Ruhe gesorgt hat. Sie vermissen ihn schon sehr“, vermutet der Neuling.

Peiffer fehlt im deutschen Team nicht nur als emotionaler Leader. Er lief zuletzt auch am häufigsten aufs Podium. Ohne ihn könnten Erfolge nun noch seltener werden. In einem Land, das Biathlon-Medaillen fast schon als Selbstverständlichkeit betrachtet und es gewohnt ist, dass der Nachwuchs nahtlos zurückgetretene Stars ersetzt, könnte das für Frust sorgen.

Justus Strelow spürt die Erwartungshaltung in der Öffentlichkeit.
Justus Strelow spürt die Erwartungshaltung in der Öffentlichkeit. © DSV

Diese Erwartungshaltung spürt auch Strelow, der vor fünf Jahren von Altenberg an den Bundesstützpunkt nach Oberhof gewechselt war. Sollte er sich eins der beiden letzten Weltcup-Tickets schnappen, wäre er tatsächlich ein Nachfolger von Peiffer. „Wir haben natürlich alle den Anspruch, in der Weltspitze anzugreifen“, sagt Strelow, „aber Biathlon hat sich weiterentwickelt. Schießen und Laufen auf einem permanent hohen Level hinzubekommen, ist eine große Herausforderung.“

Das gilt auch für den Aufsteiger, der ahnt, dass er und seine Kollegen wohl weiter an den Erfolgen der goldenen Generation um Sven Fischer, Frank Luck, Mark Kirchner, Ricco Groß und Michael Greis gemessen werden. Es dürfte noch eine Weile dauern, bis sich das ändert. „Meine persönlichen Ziele werden am Anfang sicher nicht mit den öffentlichen Erwartungen übereinstimmen“, vermutet Strelow.

Das größte Ziel wäre im kommenden Winter Olympia in Peking. Um sich für die Spiele zu qualifizieren, müsste er im Weltcup einmal unter die besten acht kommen oder zweimal unter die Top 15. Das ist alles andere als einfach, aber auch nicht komplett unrealistisch. Er wäre der erste Sachse nach Michael Rösch, der 2006 für Deutschland, 2018 für Belgien gestartet war und sich jetzt anderen Aufgaben widmet.

Zur Vorbereitung auf die Höhepunkte geht es zu weiteren Lehrgängen – falls es Corona erlaubt. Auf dem Plan stehen Villard de Lans und Premanon in Frankreich im August, Ramsau und Antholz in Italien im Oktober und dann Muonio im November. Vorher aber geht es erst mal in den Urlaub – eine Woche mit der Freundin nach Österreich. Regeneration ist auch wichtig.