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Turnerin Schäfer-Betz kämpft um ihre dritte WM-Medaille

Sie plant bereits ihre Karriere nach dem Sport, aber Pauline Schäfer-Betz will auch als Turnerin weiter erfolgreich sein. Bei der WM hat die Chemnitzerin eine gute Chance.

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Pauline Schäfer wurde 2017 als Sachsens Sportlerin des Jahres ausgezeichnet. Nun kämpft die Turnerin erneut um eine Medaille bei der WM.
Pauline Schäfer wurde 2017 als Sachsens Sportlerin des Jahres ausgezeichnet. Nun kämpft die Turnerin erneut um eine Medaille bei der WM. © Foto: Ronald Bonß

Von Katja Sturm und Andreas Frank

Kitakyushu. Fast 24 Stunden musste sich Pauline Schäfer-Betz bei den Turn-Weltmeisterschaften im japanischen Kitakyushu in Geduld üben. Doch als am Dienstagmorgen (MESZ) endlich feststand, dass sie zum dritten Mal nach 2015 und 2017 nach einer WM-Medaille am Schwebebalken greifen darf, war ihre Erleichterung spürbar. "Ich freue mich riesig, dass ich endlich wieder ein internationales Finale erreicht habe", sagte die 24 Jahre alte Chemnitzerin.

Die Weltmeisterin von 2017 in Montreal hatte nach ihrem eigenen Auftritt am Montag im General Gymnasium noch fast einen Tag abwarten müssen, ehe alle Konkurrentinnen die Qualifikation absolviert hatten. Mit 13,733 Punkten zog Schäfer-Betz an ihrem Paradegerät als Dritte des Klassements hinter der Chinesin Luo Rui (14,566) und der Russin Angelina Melnikowa (14,033) in die Entscheidung der besten Acht ein. Diese wird am Sonntag, 10 Uhr, ausgetragen. "Das habe ich mir erarbeitet. Mal sehen, was passiert", sagte Schäfer-Betz.

Dann will sie den Schwierigkeitsgrad ihrer Übung um 0,5 Punkte aufstocken. Nach Tag eins führte die Chinesin Luo Rui mit einer Wertung von 14,566. Ihre Landsfrauen Guan Chenchen und Tang Xijing, die bei den Olympischen Spielen in Tokio Gold und Silber an diesem Gerät geholt hatten, fehlen ebenso wie der US-amerikanische Superstar Simon Biles, die Bronze gewonnen hatte. Auch die anderen deutschen Tokio-Teilnehmerinnen hatten auf die WM verzichtet, sodass Schäfer-Betz allein für den DTB dabei ist.

Bei den Männern gab es zwar mehr Teilnehmer, dennoch finden die Mehrkampf- und Gerätefinals ohne deutsche Beteiligung statt. Im Laufe des zweiten Qualifikationstages rutschten am Mittwoch auch die beiden letzten Kandidaten, Schäfer-Betz' Partner Andreas Bretschneider am Reck und der Schmidener Carlo Hörr im Sechskampf, aus den Rängen für den Einzug in die Medaillenentscheidungen.

Zuvor war der Wettbewerb im General Gymnasium der japanischen Großstadt für zwei Stunden unterbrochen worden. Offenbar war trotz strenger Hygienemaßnahmen ein kolumbianischer Athlet positiv auf das Coronavirus getestet worden. Daraufhin wurden alle Geräte und der Innenraum der Halle desinfiziert, bevor der Vorkampf weiterging. Vom Weltverband FIG gab es noch keine Erklärung zu den Vorgängen. Der Name des betroffenen Sportlers ist nicht bekannt.

Bretschneider hatte seine vermutlich letzte internationale Übung am Reck zwar mit dem nach ihm benannten Doppelsalto mit Doppelschraube über der Stange durchgeturnt, bekam aber nach Unsicherheiten nur 14,10 Punkte.

„Ein bisschen komisch“

„Einzige Starterin zu sein, ist zwar eine besondere Herausforderung, aber ich mag ja Herausforderungen“, sagte sie – und gab sich vor dem Wettkampf selbstbewusst: „Die Zeiten, in denen ich mitgefahren bin, um nur dabei zu sein, sind vorbei.“ Bereits zwei Jahre vor ihrem Titelgewinn in Montreal hatte die gebürtige Saarländerin in Glasgow Bronze geholt.

Nach der WM 2017 präsentierte Pauline Schäfer als Weltmeisterin am Balken ihre Goldmedaille.
Nach der WM 2017 präsentierte Pauline Schäfer als Weltmeisterin am Balken ihre Goldmedaille. © Harry Härtel

Doch bei der Heim-WM 2019 in Stuttgart und bei Olympia im Sommer reichte es für sie nicht zum Einzug in den Endkampf. Ursprünglich hatte auch Schäfer-Betz die WM nicht auf dem Plan. „Aber ich habe nach meinem Urlaub so schnell wieder meine alte Form gefunden, dass ich dachte: Let’s do it!“ An ihrem zweiten Gerät, dem Boden, schied sie erwartungsgemäß vorzeitig aus.

„Ein bisschen komisch“ sei es schon, keine Kolleginnen um sich zu haben, mit denen man sich über die Geräte und die Bedingungen austauschen könne. Aber sie sei es gewohnt, mit Männern zu trainieren. Schäfer-Betz, die ihren Doppelnamen seit der Adoption durch ihren Stiefvater trägt, absolviert ihre Einheiten beim KTV Chemnitz mit den männlichen Kollegen. In Kitakyushu wird sie erstmals bei einem Großereignis von ihrem Heimtrainer Kay-Uwe Temme begleitet. „Es hätte wohl kaum jemand gedacht, dass es zu diesem Abenteuer mal kommt“, sagte sie. „Aber es gibt mir Sicherheit, dass er dabei ist.“

Ihre frühere Trainerin Gabriele Frehse hatte die Zusammenarbeit mit ihrer einstigen Vorturnerin nach der EM 2018 beendet. Zwei Jahre nach der Trennung, im November 2020, erhob Schäfer-Betz über das Magazin Der Spiegel schwere Vorwürfe gegen ihre langjährige Trainerin, warf mit ehemaligen Chemnitzer Turnerinnen Frehse vor, sie erniedrigt, gedemütigt und trotz Schmerzen zum Turnen gedrängt zu haben.

Die Situation erscheint derzeit verfahren: Die Kündigung der 61-Jährigen seitens des Olympiastützpunktes Sachsen wurde vom Arbeitsgericht für unwirksam erklärt, der DTB will dennoch seine Kaderathletinnen nicht mehr von Frehse betreuen lassen. Ausgang offen.

„Stärkung der Persönlichkeit“

Was sie selbst jahrelang nach ihrer Aussage erdulden musste, soll in der zweiten Karriere von Schäfer-Betz keine Rolle spielen. Gemeinsam mit Bretschneider hat sie in Chemnitz das Turncamp „Grip & Grow Gymnastics“ gegründet. „Angst, Hunger, Druck und Tränen haben bei uns keinen Platz“, betont sie auf der Internetseite. Man habe es sich „zur Aufgabe gemacht, mit veralteten Turntraditionen und autoritären Trainingsregimen zu brechen“, erklärt Bretschneider.

Schäfer-Betz will das vorerst neben ihrer leistungssportlichen Laufbahn unterstützen und als Mentorin und Betreuerin „Erfahrungen teilen und Wissen weitergeben. Es geht uns um Selbstvertrauen und die Stärkung der Persönlichkeit“. Bis zu den Olympischen Spielen in Paris will sie jedoch in erster Linie selbst Turnerin bleiben.

„Natürlich strebe ich im nächsten Jahr die Teilnahme an der Heim-EM (in München/d. Red) an. Und 2024 ist dann ja auch nicht mehr so weit.“ Zunächst aber kann Schäfer-Betz auf ihre dritte WM-Medaille am Schwebebalken hoffen. Im Endkampf will sie den Schwierigkeitsgrad ihrer Übung ausschöpfen. Dafür überwand sie auch ihre Rückwärtsblockade, die sie nach einem Sturz bei einer Doppelschraube am Boden in frühen Jahren immer wieder einholt, und baute eine akrobatische Verbindung aus Flick-Flack und Spreizsalto ein. (dpa, sid)