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DFB-Chef fordert vor WM: „Der Fußball muss seine Stimme erheben“

DFB-Präsident Neuendorf ist in Dresden, um einen Preis für Antirassismus zu verleihen. An der WM in Katar kommt er auch hier nicht vorbei. Welche Verantwortung der Fußballverband hat, sagt er im Interview mit Sächsische.de.

Von Tino Meyer & Timotheus Eimert
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Gefragter denn je: DFB-Präsident Bernd Neuendorf muss Stellung beziehen.
Gefragter denn je: DFB-Präsident Bernd Neuendorf muss Stellung beziehen. © dpa/Britta Pedersen

Neuendorf über die Preisverleihung in Dresden

Herr Neuendorf, als DFB-Präsident sind Sie ein gefragter Mann. Vergangene Woche Montag in Doha, diese Woche Montag in Dresden. Was macht mehr Freude: Mit der Bundesinnenministerin unterwegs zu sein oder den Julius-Hirsch-Preis an einen Amateurverein zu übergeben?

In erster Linie geht es um Verantwortung, und das bei beiden Terminen. Verantwortung in Doha, um für das einzutreten, wofür der DFB steht: die Einhaltung von Menschenrechten, von Arbeitnehmerrechten. Und hier in Dresden geht es darum, die Erinnerung wachzuhalten und Menschen auszuzeichnen, die aktiv gegen Antisemitismus und Diskriminierung vorgehen.

Vergangene Woche war DFB-Präsident Bernd Neuendorf mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) in Doha. Sie waren im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft in das Gastgeberland Katar gereist. Im Mittelpunkt der Reise standen die Menschenrechtsfragen, die
Vergangene Woche war DFB-Präsident Bernd Neuendorf mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) in Doha. Sie waren im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft in das Gastgeberland Katar gereist. Im Mittelpunkt der Reise standen die Menschenrechtsfragen, die © dpa/Britta Pedersen

Gibt es einen Grund, warum die Veranstaltung in Dresden stattgefunden hat?

Ich habe längere Zeit selbst in den neuen Bundesländern gelebt und gearbeitet. Und ich habe das Gefühl, dass es dem DFB guttut, gerade hier präsenter zu sein als das in den vergangenen Jahren der Fall war. Deswegen sollte die Preisverleihung hier in Dresden stattfinden. Das Albertinum ist ein wunderbarer Ort und gibt der Veranstaltung einen sehr würdigen Rahmen.

+++ Der Nationalspieler Julius Hirsch zählte vor dem Ersten Weltkrieg zu den bekanntesten Fußballern in Deutschland. 1943 wurde er aufgrund seiner jüdischen Herkunft von Nationalsozialisten in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort ermordet. Für den DFB steht das Leben Hirschs beispielhaft für die Ausgrenzung zahlreicher jüdischer Sportler aus der deutschen Gesellschaft.

Seit 2005 vergibt der Verband den Julius-Hirsch-Preis an Vereine, Institutionen und Einzelpersonen, die sich gegen Antisemitismus und Diskriminierung einsetzen. Der Dresdner SC gehörte 2007 mit seinem Fanprojekt zu den Gewinnern. +++

Neuendorf über den Preisträger Blau-Weiß Grana

Was zeichnet den Preisträger Blau-Weiß Grana aus, ein Verein aus Sachsen-Anhalt, der sich gegen Rassismus einsetzt und in dessen Mannschaft Spieler aus zwölf Nationen vertreten sind?

Fußball bedeutet Integration. Genau das beweist die Initiative von Blau-Weiß Grana. Sehr beeindruckt hat mich, dass der Verein auch über das Fußballfeld hinausschaut. Die Verantwortlichen helfen den Spielern, die aus vielen verschiedenen Ländern kommen, bei Bewerbungen, bei Hausaufgaben oder bei Behördengängen, also bei ganz praktischen Fragen des täglichen Lebens. Dieses Engagement fanden wir als Jury auch deshalb so herausragend und preiswürdig, weil es teilweise auf Ablehnung und Widerstand stößt. Blau-Weiß Grana hat in dieser Phase Haltung gezeigt. Der Fußball begeistert Menschen auf der ganzen Welt. So ein Verein wie Grana lebt das exemplarisch vor. Davon wünsche ich mir mehr, denn der Fußball ist für alle da.

+++ Neuendorf hat sich Zeit genommen. Seit Sonntag war er in Dresden, hat mit den Preisträgern zusammengesessen und sich ausgetauscht. Seit März ist der 61-Jährige im Amt. Nachdem der DFB in den vergangenen Jahren in der Öffentlichkeit ein zunehmend katastrophales Bild abgegeben hat, steht Neuendorf – Markenzeichen auf den Kopf geschobene Brille – für einen bereits spür- und auch sichtbaren Wandel. Er sucht nicht die große Bühne, eher das kleine Gespräch, wirkt integrativ und ausgleichend. Für Neuendorf, dieser Eindruck entsteht schnell, ist Fußball mehr als das Spiel. +++

DFB-Präsident Bernd Neuendorf (r.) überreichte am montagabend den Julius Hirsch Preis an Björn Koch (l.) und Johannes Heger. Als Vorstandsmitglieder des SV Blau-Weiß Grana setzten sie sich für die Integration von geflüchteten und sozial benachteiligen Men
DFB-Präsident Bernd Neuendorf (r.) überreichte am montagabend den Julius Hirsch Preis an Björn Koch (l.) und Johannes Heger. Als Vorstandsmitglieder des SV Blau-Weiß Grana setzten sie sich für die Integration von geflüchteten und sozial benachteiligen Men © dpa/Sebastian Kahnert

Eine schriftlich eingereichte Bewerbung ist das eine, welchen persönlichen Eindruck haben Sie nach den anderthalb gemeinsamen Tagen in Dresden von den Preisträgern?

Schon auf dem Papier waren die Bewerbungen sehr überzeugend, aber es ist noch berührender, wenn die Preisträger authentisch erzählen, wie alles begonnen hat und auch mit welcher Leidenschaft sie ihr Projekt weiter betreiben. Wir haben gemeinsam einen Stadtrundgang in Dresden gemacht zu markanten Punkten der Geschichte und der NS-Vergangenheit der Stadt. Bei dieser Führung, aber auch am Abend zuvor hatte ich sehr intensive und beeindruckende Gespräche mit den Preisträgern. Wir haben absolut die richtige Wahl getroffen.

Neuendorf über den Julius-Hirsch-Preis

Welchen Stellenwert nimmt der Julius-Hirsch-Preis für den DFB ein?

Für mich ist es einer der wichtigsten Preise des DFB und ein bedeutendes Zeichen. Denn die Auszeichnung steht für die Werte, die wir als Verband vertreten. Wir kümmern uns natürlich um die Entwicklung des Fußballs als größter Sportfachverband der Welt mit über sieben Millionen Mitgliedern. Aber wir haben eben auch eine gesellschaftliche Verantwortung, der wir unter anderem mit der Verleihung des Julius-Hirsch-Preises gerecht werden.

Neuendorf über die Rolle des Fußballs in der Gesellschaft

Stichworte Menschenrechte, Antirassismus, Toleranz. Ist die Botschaft, die auch von so einer Preisverleihung ausgeht, aktueller denn je?

Menschenrechte sind universell, und sie sind unteilbar. Dafür müssen wir immer wieder eintreten, denn nichts kommt von selbst. Es bedarf des permanenten Einsatzes für eine tolerante, für eine friedliche Gesellschaft. Dafür stehe ich auch ganz persönlich.

Würden Sie sich mehr Engagement und Initiative der Profivereine als Leuchttürme im Fußball wünschen?

Ich glaube, wir haben im Profibereich ein großes Engagement bei diesem wichtigen Themenfeld. Das belegt auch einer der Preisträger, das Netzwerk Erinnerungsarbeit des Hamburger SV. Ich habe viele andere Bundesligisten kennengelernt wie beispielsweise Eintracht Frankfurt, die eine sehr intensive Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit betreiben und sogar ein eigenes Museum gegründet haben. Dass dieses Thema aktiv angegangen wird, erlebe ich an ganz vielen Stellen.

+++ Katar und die nächste Woche beginnende WM ist natürlich auch in Dresden ein großes Thema. Für Neuendorf, den früheren Parlamentskorrespondenten und stellvertretenden Chefredakteur der Mitteldeutschen Zeitung, der danach als Pressesprecher für die SPD arbeitete sowie von 2012 bis 2017 in Nordrhein-Westfalen als Staatssekretär im Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport, ist es das erste Männer-Turnier als ranghöchster deutscher Fußballfunktionär. Vieles, das wird auch im kurzen Gespräch mit Sächsische.de unmittelbar vor der Preisverleihung deutlich, ist ungewohnt für ihn.

Gänzlich neu ist zudem, dass diese WM so politisch diskutiert wird wie kein anderes Sportereignis zuvor. Damit steht auch Neuendorf, in dessen Aufgabenfeld neben der Repräsentation des DFB die Themen Internationale Angelegenheiten und Sportpolitik fallen, immer wieder im Fokus.

Im Rahmen der Preisverleihung weist er erneut auf das vom Fußballweltverband Fifa neu geschaffene Menschenrechtskriterium hin, dass bei künftigen Turnier-Vergaben gilt. „Der Sport ist politischer geworden, und man wird genau hinschauen, wohin man solche Turniere vergibt. Das ist eine gute Entwicklung, dafür trete ich ein, und das ist das Zeichen, dass ich auch setzen will: Dass wir nicht nur über Fußball reden können, wenn Menschen zu Schaden kommen oder ihre Rechte verletzt werden. Dafür ist der Fußball zu wichtig und zu bedeutsam, da muss er auch seine Stimme erheben“, sagt Neuendorf in seiner Dresdner Rede. +++

Neuendorf über die sportlichen Ziele der WM in Katar

Ein großes Thema ist die WM, die diesmal eine politische ist – aber eben auch ein Fußballturnier. Deshalb an dieser Stelle die Frage: Was erwarten Sie sportlich von der Nationalmannschaft?

Ich habe die Mannschaft in den ersten Monaten meiner Amtszeit mehrfach begleitet und konnte mir so einen Eindruck verschaffen, ob das Team intakt ist und wie sich das Verhältnis zum Trainer gestaltet. Ich kann sagen, all das habe ich als überaus positiv empfunden. Hansi Flicks Ansprache an das Team ist sehr gut, er erreicht die Spieler. Er gibt ein gegenseitiges Verständnis und Vertrauen. Das ist für mich das Wichtigste und die Grundvoraussetzung dafür, ein erfolgreiches Turnier spielen zu können. Ich fahre sehr optimistisch nächste Woche in den Oman, wo ja die unmittelbare WM-Vorbereitung unserer Mannschaft stattfindet.

Und wird es eine sportliche Vorgabe des Präsidenten geben?

Nein. Was für mich wichtig ist, habe ich eben beschrieben: Ein gutes Klima innerhalb der Mannschaft ist für mich die Voraussetzung, dass wir weit kommen. Ich bin überzeugt, dass wir ein erfolgreiches Turnier spielen werden.

Das Interview führten Tino Meyer und Timotheus Eimert.