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"Eingriffe des Skisports in die Natur sind nicht zu leugnen"

Der frühere Skirennläufer Felix Neureuther spricht im Interview über das Gletschersterben in den Alpen, Skifahren im Sommer und Naturschutz als Schulfach.

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Der frühere Skirennläufer Felix Neureuther hat mit National Geographic einen Film gedreht, der sich „Rettung der Alpen“ nennt.
Der frühere Skirennläufer Felix Neureuther hat mit National Geographic einen Film gedreht, der sich „Rettung der Alpen“ nennt. © dpa/Lino Mirgeler

Garmisch-Partenkirchen. Er ist ein Kind der Berge, doch es hat gedauert, ehe Felix Neureuther ein Bewusstsein dafür entwickelte, wie sehr die Alpen unter den Folgen des Klimawandels leiden. Zuletzt hat der ehemalige Weltklasse-Skirennläufer, der seine Karriere im März 2019 beendete, in Zusammenarbeit mit National Geographic unter dem Titel „Rettung der Alpen“ eine Dokumentation gedreht. Im Interview spricht Neureuther über Klimawandel und Nachhaltigkeit, über die mangelnde Glaubwürdigkeit des Skisports, die Aufgaben der Politik.

Herr Neureuther, Sie sind in den Alpen aufgewachsen. Wie haben Sie Ihre Heimat als Kind erlebt?

Sehr intensiv. Wir waren jeden Tag draußen in der Natur, egal ob es geregnet oder die Sonne geschienen hat. Ich habe das große Glück, dass ich am Fuße einer faszinierenden Bergwelt aufgewachsen bin und da immer noch lebe. Der Wald und die Berge waren mein Spielplatz, ich habe es geliebt, ein Teil davon zu sein.

Wie sehr hat Sie diese Kindheit in der Natur geprägt?

Das hat mich sehr geprägt. Und ich habe wahrscheinlich deshalb das Bedürfnis, diese Erlebnisse auch künftigen Generationen weitergeben zu wollen. Es geht darum, eine emotionale Bindung zur Natur und, für mich speziell, zu den Bergen zu schaffen. Nur so erfahren die Kinder, wofür es sich lohnt zu kämpfen. Ich sage dazu ja immer: Schickt die Kinder, schickt die Menschen in die Berge – aber hinterlasst sie so, wie ihr sie vorgefunden habt.

Die Natur wird aber selten so hinterlassen, oder?

Am meisten regt mich der viele Müll auf, den man überall links und rechts der Wege findet. Das ist teilweise echt sehr frustrierend. Wenn du einen kleinen Waldweg gehst und da liegt wieder eine Plastikflasche oder ein Taschentuch rum – das verstehe ich nicht, das geht mir nicht in den Kopf. Es ist doch nicht so schwer, das wieder mitzunehmen, was man mitgebracht hat.

Was machen Sie, wenn Sie so etwas sehen?

Wir machen mit unseren Kindern ab und zu ein Spiel daraus. Wir haben Müllbeutel dabei und kleine Müllzangen. Unsere Tochter liebt es, damit weggeworfene Sachen vom Boden aufzuheben. Derjenige, der am Ende der Wanderung am meisten gesammelt hat, bekommt eine Belohnung – und natürlich ist das immer unsere Tochter.

Ihre Tochter ist fast vier Jahre alt. Weiß sie denn, dass sie bereits als Umweltschützerin aktiv ist?

Wenn irgendwo was rumliegt, sagt sie: Schau, da hat schon wieder jemand was hingeschmissen, das geht doch nicht, das tut man nicht, und die armen Tiere. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Kinder mit solchen spielerischen Aufgaben und Hinweisen ein Bewusstsein für die Umwelt aufbauen. Unsere Tochter weiß schon sehr gut Bescheid.

Nun haben Sie mit National Geographic einen Film gedreht, der sich „Rettung der Alpen“ nennt. Auch ein Bildband dazu ist entstanden. Was steckt dahinter?

Ich rette nicht die Alpen, aber ich treffe Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Ansätze haben, wie wir den Klimawandel stoppen oder mit ihm leben können. Das war eine unglaubliche Reise für mich, die mir sehr viel Spaß gemacht hat und bei der ich sehr viel lernen durfte.

Was hat Sie besonders beeindruckt?

Ich war ja in den letzten 20 Jahren permanent auf den Gletschern unterwegs. Sie waren sozusagen mein bester Freund, dort habe ich meine Leidenschaft als Skirennläufer ausleben können. Aber da habe ich auch hautnah spüren können, wie mir das Eis buchstäblich unter den Füßen wegschmilzt. Als junger Rennläufer hat man dafür noch keine Augen, doch je älter ich geworden bin, umso erschrockener habe ich wahrgenommen, wie krass die Auswirkungen auf die Pflanzen, Tiere und uns Menschen sind. Dieses Projekt mit National Geographic hat mich dann noch tiefer in die Problematik einsteigen lassen.

Sie haben ja einen Gletscher vor Ihrer Haustüre, oben auf der Zugspitze. Spätestens 2050, heißt es, wird er weg sein.

Ich wäre glücklich, wenn er so lange halten würde, aber das glaube ich nicht. Laut Prognosen soll das schon 2040 der Fall sein.

Und was bedeutet das Gletschersterben?

Die Alpen sind das größte Süßwasserreservoir Europas und die Gletscher der größte Süßwasserspeicher. Sollten sie nicht mehr vorhanden sein, wäre das ein dramatischer Eingriff in unseren Wasserhaushalt und unsere Lebensqualität. Flüsse würden versiegen und die Landwirtschaft hätte bei den vorhergesagten Dürreperioden noch größere Probleme mit der Bewässerung. Gletscher sind eigentlich der ideale Wasserspeicher. Wenn es warm ist und wir viel Wasser im Tal benötigen, fließt viel Wasser von ihnen ab, wenn es kalt wird, holen sie sich wieder diese Reserven, frieren sie ein und geben sie wieder ab, wenn wir sie benötigen. Das wird in Zukunft wegfallen.

Was ist zu tun?

Es gibt Menschen mit verdammt guten Ansätzen, schlaue Köpfe, die gedanklich schon sehr weit sind. Aber die Umsetzung von Umweltprojekten kostet Geld, und deshalb muss die Politik dafür sorgen, dass sie gefördert werden. Es geht schließlich um unsere Erde, um unsere Umwelt. Es ist noch nicht zu spät, aber es darf nicht erst morgen etwas passieren, es muss sofort etwas passieren. Das ist der Auftrag an alle Regierungen und besonders an unsere neue Regierung.

Haben Sie den Eindruck, dass die Menschen begreifen, wie schlecht es um die Alpen steht?

Wenn du in der Stadt wohnst und die Auswirkungen auf die Natur beziehungsweise die Gletscher nicht hautnah erlebst oder nicht dafür sensibilisiert wirst, dann ist das eher ein fließender und nicht so augenfälliger Prozess. Die Flutkatastrophe neulich hat uns aber überdeutlich gezeigt, wo wir stehen. Ein Foto eines Gletschers von vor 20 Jahren verglichen mit einem Foto von heute lässt einen ebenfalls „frieren“.

Wie könnte man dem begegnen?

Es sollte schon in der Grundschule ein eigenes Fach geben für Natur und Umwelt. Da würde auch gut das Thema Ernährung dazu passen. Die Kinder sollten nicht nur in der Schule, sondern möglichst auch in der Natur hautnah erfahren, wie ein vernünftiger Umgang mit der Natur funktioniert. Ältere Schüler sollten unbedingt wieder Skiausflüge oder Bergausflüge über die Schulen organisiert bekommen. Man könnte zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Die Kinder wären in der Natur, würden sich bewegen und dabei auch deren Gesetzmäßigkeiten verinnerlichen. Es ist ganz wichtig, dass wir sie von klein auf emotionalisieren und in die richtige Richtung lenken.

Trägt nicht auch der Skisport dazu bei, die Natur zu zerstören?

Ja, die Eingriffe des Skisports in die Natur sind nicht zu leugnen oder zu übersehen. Ich bin der Meinung, dass sich der Mensch durchaus Teile der Natur zu eigen machen darf, um dort Erholung zu finden und Sport zu treiben. Der Aufenthalt oder Urlaub in den Bergen erfüllt einen wichtigen sozialen Wert für die Menschen. Schließlich leben dort Millionen von Familien und verdienen ihren Unterhalt durch den Tourismus. Deshalb kann man die Berge nicht einfach zusperren.

Aber?

Ich meine, dass jeder auf seine Art etwas dazu beitragen kann, diese einzigartige Landschaft zu erhalten. Das fängt im Kleinen damit an, dass wir keinen Müll verursachen und versuchen, möglichst CO2-neutral in die Berge zu fahren. Oder dass Liftgesellschaften den Strom für den Kunstschnee möglichst aus erneuerbaren Energien erzeugen. Da sehe ich alle in der Verantwortung. Ich war übrigens noch nie ein Freund davon, dass man neue Skigebiete erschließt und dafür Wälder abholzt. Das braucht es nicht mehr. Es geht ausschließlich um mehr Qualität und darum, den CO2-Abdruck im Schnee so klein wie möglich zu halten.

Ist es noch zu rechtfertigen, dass im Sommer auf den Gletschern Ski gefahren wird?

Der Skisport hat ein Problem mit der Glaubwürdigkeit. Wie willst du glaubwürdig sein, wenn du im Sommer auf Gletschern Ski fährst, die es bald nicht mehr geben wird? Wir wollen sie doch möglichst lange erhalten. Außerdem macht es ja nicht einmal Spaß, auf dreckigem und eisigem Untergrund Schwünge zu ziehen. Das ist nicht mehr zeitgemäß.

Auch der Ski-Rennsport nutzt ja die Gletscher für das Sommertraining.

Es fahren ja schon die neun-, zehnjährigen Kinder im Sommer auf die Gletscher. Das ergibt überhaupt keinen Sinn mehr. Die sollen im Sommer ins Schwimmbad gehen, die sollen draußen spielen, aber nicht auf einem Gletscher in 3.000 Meter Höhe Ski fahren.

Und was ist mit den Weltcup-Mannschaften, die sich im Sommer auf den Gletschern in Saas-Fee oder Zermatt drängen? Und mit dem Weltcup-Auftakt auf dem Gletscher in Sölden?

Es muss ein Testverbot geben wie in der Formel 1, es darf nicht mehr erlaubt sein, im Sommer zwischen Juni und September auf den Gletschern zu trainieren. Punkt. Aus. Das wäre ein guter Beitrag des Rennsports. Und dann hast du den Saisonauftakt eben auch nicht im Oktober in Sölden, sondern erst im November. Um die Jahreszeit liegt wieder Naturschnee auf den Gletschern und dann ist das auch in Ordnung. Der Weltcup-Auftakt Ende Oktober ist für mich aus der Zeit gefallen.

Das müsste dann aber der Weltverband FIS regeln. Trauen Sie ihm das zu?

Die FIS hat die Verantwortung, und da setze ich meine Hoffnung auf Johan Eliasch (Anm.: neuer FIS-Präsident). Er ist ein grandioser Unternehmer, hat Visionen und wird als neuer starker Mann in der FIS sicher etwas bewegen wollen.

Das Gespräch führten Thomas Häberlein und David Ryborz (sid).