Jetzt wird’s wild - ein Olympiasieger versucht sich neu

Mit seiner kräftigen Statur fällt er unter den schmalen Läufern auf. Auch seine Technik auf der Tartanbahn ist ausbaufähig. Karl Schulze ist Ruderer, zweimaliger Olympiasieger, einer der besten der Welt in seinem Metier. Warum aber trainiert einer wie er plötzlich mit den Lauftalenten vom Dresdner SC? Wechselt der 34-Jährige im Spätherbst seiner Karriere noch einmal die Sportart wie beispielsweise einige Leichtathleten, die Bob fahren?
Schulze klärt auf: „Ich will mich in diesem Jahr im Küstenrudern versuchen. Mit dem Boot muss man dabei vom Strand aus erst ins Wasser rennen. Und deshalb muss ich jetzt sprinten lernen.“ Noch steckt die Trendsportart, die als Wildwasser-Variante des Ruderns gilt und sich Coastal Rowing, also Küstenrudern, nennt, in Deutschland in den Kinderschuhen – aber ihr steht möglicherweise eine große Zukunft bevor. Und Schulze will von Anfang an dabei sein.
Im Rudersport ist die neue Bootsklasse bereits integriert, bei den Youth Olympic Games 2026 in Dakar gehört das Wildwasserrudern zum Programm – und vielleicht 2028 auch bei den Olympischen Sommerspielen in Los Angeles. Eine endgültige Entscheidung fällt im kommenden Frühjahr. „Wenn Coastal Rowing olympisch ist, können wir nicht erst anfangen, Strukturen aufzubauen“, meint Schulze und sieht sich als eine Art Pionier.
Kein Abschied vom Rudern
Eine Disziplin beim Küstenrudern ist der sogenannte Beachsprint, und der reizt den Dresdner besonders. 60 Meter wird durch den Sand gesprintet, danach rudern die Athleten 250 Meter aufs Meer hinaus und wieder zurück, bevor es an Land noch mal mit einem kurzen Sprint ins Ziel geht. „Da ich ja mein Leben lang eine sitzende Sportart betrieben habe, muss ich erst mal die richtige Lauftechnik lernen“, erklärt Schulze und meint: „Nun geht es darum, mit meiner Körpermasse dynamisch voranzukommen. Ich habe schon erhebliche Fortschritte gemacht.“
Die Läufer beim Dresdner SC unterstützen Schulze bei seinem Vorhaben. Es ist eine ungewöhnliche Kooperation, mehr als nur eine fixe Idee. Und für Schulze der Umstieg zugleich ein Abschied aus dem klassischen Rudersport?
„Nein“, sagt er entschieden und begründet diesen Schritt mit einem Übergangsjahr. Die olympische Saison 2021 verlief alles andere als erfolgreich. Mit dem deutschen Doppelvierer hatte er die erhoffte dritte Medaille bei seinen dritten Spielen verpasst. Nach jeweils Gold 2012 und 2016 reichte es in Tokio vor einem Jahr nur zum enttäuschenden achten Platz. Es habe im Boot nicht harmoniert, meint Schulze.
Olympia ist noch einmal das Ziel
Es wäre keine Überraschung gewesen, wenn der zweifache Familienvater seine Karriere danach beendet hätte. Doch Schulze entschied sich anders, will bis 2024 weitermachen. „Olympia ist noch mal das große Ziel“, sagt der 34-Jährige. Dass er die mögliche olympische Premiere des Küstenruderns 2028 als Sportler erlebt, ist dagegen unwahrscheinlich.
Sein Abstecher in ein anderes Boot sieht Schulze allerdings zugleich als Chance, im reifen Sportleralter einen neuen, ganz anderen Trainingsreiz zu setzen. Zudem konnte er nach Olympia 2021 nicht das Pensum seiner Ruder-Kollegen bewältigen und gehört in dieser Saison nun erstmals seit Jahren nicht zur Nationalmannschaft.

Der verlängerte Olympiazyklus durch die coronabedingte Verschiebung der Spiele um ein Jahr hatte ihn ausgezehrt. Immer wieder traten Schulterprobleme im Training auf. Zudem lag sein Fokus nach dem Sommer zunächst auf seiner beruflichen Weiterbildung, doch nun ist er Bundespolizeikommissar – und für den Sport weiterhin komplett freigestellt. Im Oktober soll dann der langfristige Neuaufbau beginnen.
Nach einigen Jahren in Hamburg trainiert Schulze seit 2020 wieder in seiner Heimatstadt. Er möchte so viel Zeit wie möglich mit seiner Lebensgefährtin Marie-Christin und den Töchtern Lea (2) und Leni (4) verbringen. Schulze trainiert auf der Elbe bei seinem früheren Teamkollegen und jetzigen Trainer Tim Grohmann, mit dem er 2012 Olympiasieger wurde. „Das passt alles, auch die Chemie.“
Premiere bei Rennen in Norddeutschland
Dass er vorerst einen eigenen Weg mit dem Abstecher zum Küstenrudern verfolgt, ist mit dem Verband abgestimmt. Das einzige Rennen im klassischen Ruderboot fuhr er kürzlich bei den Finals in Berlin, als er Vierter wurde. „Da habe ich mir im Sprint mehr ausgerechnet, aber im Halbfinale einen technischen Fehler gemacht.“
Für die neue Disziplin Küstenrudern werden indes spezielle Ruderboote eingesetzt. Sie liegen sehr stabil im Wasser, erreichen durch ihr Surfverhalten hohe Geschwindigkeiten und sind aufgrund der Bauweise nahezu unsinkbar. Zudem haben sie ein offenes Heck, damit Wasser problemlos ablaufen kann. Für die Wettkämpfe bekommt Schulze das Boot vom Veranstalter gestellt. „In Deutschland findet gerade eine Professionalisierung statt, im Verband gibt es bereits eine eigene Abteilung und auch Trainer“, erzählt er.
Seine Premiere erlebt Schulze an diesem Wochenende in Bremerhaven. Weitere Rennen finden in Stralsund, Bremerhaven und Flensburg statt. Wenn es optimal läuft, könnte er dann im Oktober bei der WM im walisischen Saundersfoot starten. Es wäre, so meint er, eine schöne Zugabe im Regenerationsjahr.