Die Folgen von Long Covid: Der Körper will noch nicht

Dresden. Vor einem Jahr geriet Steffi Kriegerstein in die Schlagzeilen. Als eine der ersten deutschen Spitzensportler musste die Weltklasse-Kanutin aus Dresden im März 2021 wegen Long-Covid-Folgen ihren Olympia-Start in Tokio absagen. Vier Monate zuvor hatte das Coronavirus den Körper der Olympiazweiten von 2016 ausgeknockt. Doch auch bei dem ersten Formtest dieses Jahres, den der Verband für das Wochenende in Duisburg angesetzt hat, wird Kriegerstein fehlen.
Das wirft Fragen auf: Wie geht es der 29-Jährigen? Trainiert sie überhaupt noch – oder wieder mal? „Aktuell sieht es so aus“, sagt Kriegerstein, die nach wie vor nicht viel Aufhebens um sich machen möchte, „dass ich meinen Trainingsplan und das eigentlich so straffe Trainingspensum immer noch deutlich verringern muss.“
Ihr Körper ist noch immer nicht wieder bereit für die Anforderungen im Leistungssport. Schwindelanfälle und permanentes Kopfdrücken begleiten Kriegerstein. Regelmäßige Physiotherapie, dazu Osteopathie, reflektorische Atemtherapie und jüngst Ergotherapie mit Neurotraining würden zumindest eine grundlegende Basis für ihre Gesundheit legen.
Vom Leistungssport noch weit entfernt
„Für das normale Leben reicht mein Zustand. Ich mache ein bisschen Sport, wahrscheinlich mehr als Otto Normalverbraucher. Aber der Sprung zum Leistungssport ist derzeit noch enorm“, erklärt sie.
Kriegerstein hat das Pensum verändert und dennoch gut trainiert, wie sie sagt. „Mein Körper wird aber immer schwächer und reagiert nur bedingt auf diese Belastung.“ Eigentlich müsste das Gegenteil passieren, die Formkurve sollte nach sechs bis acht Wochen nach oben gehen. „Geht sie bei mir aber nicht“, stellt die Weltmeisterin von 2015 fest.
Über die genauen Ursachen rätselt auch Kriegerstein – und hat ihre Teilnahme am Formtest in Duisburg abgesagt. „Ich bin im ständigen Austausch mit meinem Trainer Jens Kühn und auch den medizinischen Betreuern“, sagt sie und verrät: „Ich habe mir meine Saisonhöhepunkte für 2022 ganz persönlich gesteckt und konzentriere mich nun auf zwei Dinge: Die bestmöglichen sportlichen Ergebnisse zu erreichen und mein Studium erfolgreich abzuschließen.“ Gemeint sind Wettkämpfe wie der Sprintcup in Mittweida, ostdeutsche sowie die deutsche Meisterschaft in Brandenburg an der Havel.

Denn aufgeben will Kriegerstein nicht. Bislang hat sie immer darüber bestimmt, was ihr Körper kann und was nicht. Diese Entscheidungshoheit mag sie nicht aus der Hand geben, auch nicht im Kampf gegen den unsichtbaren Feind in ihr.
Zumindest die Gewissheit, dass ihr Herz wieder gesund ist, hat Kriegerstein. Nach der Erkrankung ist das Organ allerdings geschrumpft, das Herz-Lungen-Volumen deutlich kleiner geworden. Nun funktioniert das zentrale Organ wieder ohne Einschränkungen auf Leistungssportniveau. Allerdings ergab die jährliche Untersuchung in der sportmedizinischen Abteilung des Uniklinikums Dresden unverändert verblüffende Erkenntnisse.
„Beim Belastungs- und Ruhe-EKG waren meine Werte alle okay. Meistens tauchen die Probleme dann aber einen Tag später auf“, sagt Kriegerstein, der am Morgen nach dem EKG das Aufstehen schwerfällt, zudem sind Kopfschmerzen ein steter Begleiter. „Ich hatte wieder vermehrt Symptome, die mich seit Covid begleiten“, erzählt sie und stellt lakonisch fest: „Ich bin nach den Untersuchungen offiziell sporttauglich, weiß aber, dass ich nach übermäßiger Belastung danach zwei Wochen flachliege.“ Sie fühle sich manchmal ohnmächtig, denn auch die Ärzte können ihr nur bedingt helfen. „Es fühlt sich an, als wäre ich nur Gast in meinem eigenen Körper. Dabei gebe ich ihm viel: viel Schlaf, Entspannung, gutes Essen.“
Doch ihr Körper reagiert darauf nicht so, wie sie sich das wünscht – was unweigerlich zur Frage nach dem Karriere-Ende führt. „Ja, es wäre jetzt ein Leichtes zu sagen: Und tschüss. Aber so wollte ich nie abtreten, so ganz ohne irgendwas. Das ist nicht meins. Ich habe innerlich immer noch die Hoffnung, dass es irgendwann wieder richtig geht“, entgegnet Kriegerstein, die schon als Sechsjährige mit dem Kanusport anfing, um dann einigermaßen trotzig hinzuzufügen: „Ich will meine Karriere beenden, wie und wann ich das will.“
Auf das, was anschließend kommt, bereitet sie sich dennoch mehr denn je vor. Seit Februar absolviert die Medienmanagement-Studentin ihr Pflichtpraktikum bei einer Dresdner Marketing- und PR-Agentur. „Ich muss und möchte da unbedingt vorankommen“, sagt sie. Ihre Bachelorarbeit will Kriegerstein dann ab August schreiben und im April 2023 ein Masterstudium beginnen. „Ich suche für mich gerade meinen neuen Lebensmittelpunkt“, meint die 29-Jährige, die gerade ein Teilzeit-Leben führt. Eine Hälfte Leistungssport, die andere Hälfte Ausbildung für die Laufbahn danach.
An neuen Herausforderungen mangelt es ihr also nicht, wie Kriegerstein feststellt. „Ich habe das Glück, in einer sportbegeisterten Agentur arbeiten zu dürfen. Der Spagat aus Arbeit und Leistungssport gelingt mir dadurch sehr gut. Ich erfülle mir bei dieser Zusammenarbeit viele Träume.“ Andere muss sie derzeit aufschieben.