Bei Dynamos Ex-Kapitän macht's jetzt die Windel

Dresden. Die Haare trägt er wieder lang so wie damals bis zum Aufstieg mit Dynamo in die zweite Liga. Danach hatte sich Volker Oppitz im Juni 2004 den Zopf vor gut 35.000 freudetrunkenen Fans auf dem Dresdner Altmarkt abschneiden lassen. Als Kapitän und dann von Sommer 2010 bis Februar 2012 als Geschäftsführer hat er eine Ära bei der SGD mitgeprägt, jetzt sagt der 43-Jährige: „Der Fußball fehlt mir überhaupt nicht.“ Wann er zum letzten Mal im Stadion war, kann er nicht genau sagen, auf jeden Fall weit vor Corona, zu Hause schaut er keine Spiele. Er und seine Frau wollen keinen Fernseher.
Oppitz ist inzwischen Unternehmer, wobei man das so nicht sagen kann. Seine Frau Stephanie hat die Firma aufgebaut, aber er „spielt eine große Rolle“, wie sie betont. „Mit drei Kindern sind wir quasi in Wegwerfwindeln erstickt“, erzählt sie die Entstehungsgeschichte. Ein Urlaub auf Usedom, in dem sie den Müll eine Woche lang sammeln mussten, sei „ein totaler Augenöffner“ gewesen. „Sonst bringt man ständig den kleinen Mülleimer raus und merkt gar nicht, wie viel das ist.“ Sie erkundigt sich: Bis zu zehn Prozent des Restmülls sind Wegwerf-Hygiene-Artikel. „Wir machen uns Gedanken über Plastiktüten, die man einfach mit einem Stoffbeutel ersetzen kann. Warum nicht auch Windeln?“
Sie geht zum Verein Kaleb, der in Dresden eine Kleiderkammer für Babys und Kinder betreibt. „Sie haben mir die Kiste mit den Stoffwindeln aus DDR-Zeiten mitgegeben, die wolle sowieso keiner“, sagt Stephanie Oppitz. Das Wickeln mit Falttuch und Gummihose erschien ihrem Mann aber etwas antiquiert. „Volker sagte zu mir: Denk dir mal etwas aus, es muss doch eine moderne Lösung geben.“ Er war also der Impulsgeber, und sie hat getüftelt, sich selbst mit Büchern aus der Bibliothek versorgt und an der alten Textima-Maschine ihrer Schwiegermutter das Nähen beigebracht. „Es war anfangs keine Geschäftsidee, aber dann fragten andere Eltern im Kindergarten nach, in den Foren, in denen ich unterwegs war, kam es gut an. So ging es Stück für Stück los“, sagt Volker Oppitz.
Mitarbeiterzahl wuchs in fünf Jahren von 6 auf 32
Das ist neun Jahre her. Mittlerweile produziert die GmbH in einer Manufaktur an der Großenhainer Straße außer Windeln viele nachhaltige Produkte für Babys und mit der Marke „Von Ocker und Rot“ auch Hygieneprodukte für Frauen. Der Verkauf erfolgt hauptsächlich online, in der Manufaktur kann man sich beraten lassen. „Eine Stoffwindel kauft niemand spontan wie einen Pullover, den er im Schaufenster gesehen hat“, sagt Stephanie Oppitz. Monatlich gehen etwa 2.500 Pakete raus, die Zahl der Mitarbeiter stieg seit 2016 von sechs auf 32.
Seit November arbeitet ihr Mann Volker vier Tage in der Woche als kaufmännischer Leiter für die Firma und nur noch einen Tag für die Apalis Home GmbH, einen ebenfalls online agierenden Home Deco Hersteller, für den er seit 2014 tätig ist. Der Mutterkonzern, der unter anderem Werbetechnik für große Ladenketten und Messen gebaut hat, musste wegen Corona in die Insolvenz gehen, dagegen erlebt der Geschäftsbereich für private Kunden in der Pandemie einen ungeahnten Aufschwung. „Der Umsatz ist regelrecht explodiert. Die Leute haben durch den Lockdown mehr Zeit in ihren vier Wänden verbracht und sich überlegt, wie sie ihr Zuhause verschönern können“, meint Volker Oppitz.
Er hat während seiner Fußball-Karriere an der TU Dresden Wirtschaftswissenschaften studiert und an der Comenius-Universität Bratislava promoviert. Die Arbeit als Ökonom sei in allen Branchen vergleichbar, aber was ihm an der Windelmanufaktur besonders Spaß macht: „Ich finde es spannend, nachhaltige Produkte zu verkaufen, mit denen wir den Menschen ermöglichen, umweltfreundlicher zu leben. Mit unseren nachhaltigen Produkten für Kinder leisten wir auch einen kleinen Beitrag für ihre Zukunft.“
"Es können nie beide die erste Geige spielen"
Die Windeln bestehen aus drei Teilen, die aus verschiedenen Materialien und ohne „die versteckten Teufelchen“, wie Stephanie Oppitz die Chemikalien in den Wegwerfwindeln nennt, gefertigt werden. Sie können auf spezielle Bedürfnisse wie Allergien angepasst werden. „Es ist das größte Glück, wenn dir eine Mutter sagt: Mein Kind war immer wund, das ist jetzt weg“, sagt sie. Volker Oppitz hat überhaupt kein Problem damit, bei seiner Frau angestellt zu sein. „Das ist nichts, worunter ich leide, im Gegenteil: Ich finde es gut, meine Stärken im Hintergrund einzubringen.“
Seine Frau hat zurückgesteckt, als er erst Fußball-Profi und dann Manager bei Dynamo war. „Es können in einer Beziehung nie beide die erste Geige spielen, sondern es gibt Lebensphasen, in denen mal der eine und mal der andere sich mehr verwirklichen kann“, sagt sie. Wenn er 2012 nicht ausgestiegen wäre, hätte sie als Mutter von drei Kindern nicht so viel Energie in ihr Start-up stecken können. Sohn Alexander ist 13 Jahre, die Töchter Josephine elf und Henriette neun.
Die Jüngste möchte gern ihrem Papa nacheifern und Fußball spielen, auch wenn er sich darüber wundert, woher diese Leidenschaft rührt. Sie versuchen, so viel wie möglich mit ihnen zu unternehmen, aber das Kicken steht dabei kaum auf dem Programm. Ein wichtiger Vorteil an ihrem gemeinsamen Job ist es, dass sie viel von zu Hause arbeiten und sich die Zeit einteilen können. Davon profitiert das Familienleben, obwohl sich Privates und Geschäftliches schwer trennen lassen, wenn schon beim Frühstück über die anstehenden Aufgaben gesprochen wird.
Was Oppitz bei Dynamo gelernt hat
„Das empfinden wir nicht als negativ, weil es uns auch menschlich weiterbringt“, sagt Volker Oppitz. Die Rollen sind dabei klar verteilt: Er ist der analytische Denker, der Strategien ableitet, sie ist kreativ, hat stets neue Ideen und kann andere dafür begeistern. „Wir diskutieren beruflich äußerst selten etwas aus, sondern besprechen es und respektieren die Entscheidung des anderen“, erklärt er – und versucht, dieses Vertrauen auch den Mitarbeitern entgegenzubringen.
„Als Geschäftsführer bei Dynamo habe ich gemerkt, wie wichtig es mir ist, im Team zu arbeiten – und wir hatten in der Geschäftsstelle ein gutes Team. Das war mir sehr wertvoll“, sagt Oppitz, der trotzdem in den Lagerkämpfen mit dem damaligen Aufsichtsrat ständig zwischen die Fronten geriet. „Das war nicht das, was ich mir vorstelle vom Leben: Dass ich kaum zu Hause bin, mich nicht um meine Familie kümmern kann und auf Arbeit noch Kämpfe austragen muss.“

Deshalb hat er den Schlussstrich gezogen und sich nicht nur von Dynamo, sondern vom Fußball abgewendet. In die Diskussion über kommerzielle Auswüchse mag er nicht einsteigen, „weil sie für mich irrelevant und nichts ist, woran mein Herz hängt“, wie er sagt. Oppitz spricht von der „inneren Motivation“, die er bei seiner Arbeit verspürt, etwas tun zu wollen. „Es ist kein Muss, sondern macht einfach Freude.“ Die gleiche Freude, die er in seinen ersten Jahren als Profi-Fußballer gespürt hat und die ihn zu Höchstleistungen antrieb.
Die war ihm bei Dynamo zuletzt abhandengekommen. Lieber erinnert er sich ohnehin an die schönen Erlebnisse wie an die Aufstiegsparty. „Schnipp, schnapp – Haare ab“, forderten damals Mitspieler und Fans im Chor, und Maik Wagefeld holte auf der Bühne die Schere hervor. Oppitz nahm’s gelassen: „Ich wollte sowieso zum Friseur.“
In der nächsten Folge lesen Sie: Schießeinlagen nur noch im Notfall – was die einstige Biathletin Tina Bachmann als Kommissarin am Flughafen BER zu tun hat.
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