SZ + Sport
Merken

Nach der Knie-OP in der Charité ist alles klar

Die harte Schule bei Trainerin Jutta Müller zahlte sich für den Dresdner Eiskunstläufer Jan Hoffmann auch beim Medizin-Studium aus. Heute wäre einiges davon unmöglich.

Von Jochen Mayer
 8 Min.
Teilen
Folgen
Der frühere Weltklasse-Eiskunstläufer Jan Hoffmann arbeitet als Orthopäde in einer Praxis im Dresdner Umland.
Der frühere Weltklasse-Eiskunstläufer Jan Hoffmann arbeitet als Orthopäde in einer Praxis im Dresdner Umland. © Ronald Bonß

Dresden. Schon als Kind wusste Jan Hoffmann, was er mal werden will: Arzt. Der gebürtige Dresdner lernte früh die Sportmedizin kennen. „Da wurden EKGs gemacht, auf dem Ergometer Daten genommen. Das hat mich interessiert“, erzählt der 65-Jährige in seinem Eigenheim in Dresden-Weißig. Den Weg zum Weltklasse-Eiskunstläufer begleiteten Sportärzte und Physiotherapeuten.

Mit sechs Jahren stand er erstmals auf Schlittschuhen und musste in der 4. Klasse wählen: Weiter so oder Internat? „Meine Eltern und ich trafen eine Entscheidung“, erzählt Hoffmann und listet auf, was für einen Umzug sprach: „Wenn ich weiterkommen wollte, funktionierte es nicht, im Sommer auf Rollschuhe umzusteigen. Da geht zu viel verloren an Gefühl und Technik. Das Spiel hatte ich einige Winter durch.“ Eishallen gab es in der DDR damals aber nur in Karl-Marx-Stadt und Berlin, er blieb zumindest in Sachsen.

Doch die Kinder- und Jugendsportschule hatte für einen einzelnen Eisläufer keine fünfte Klasse. Die vierte wiederholen oder in die sechste wechseln? „Also habe ich eine Klasse übersprungen“, sagt Hoffmann lächelnd. „Ich war nicht ganz blöd. Aber es gab Fächer, da fehlt mir manches bis heute. Für Russisch gab es Nachhilfestunden, in Geschichte nicht. Zur griechischen Mythologie frage ich nun meine Tochter.“

Bei Meistertrainerin Jutta Müller machte er schnell Fortschritte und wurde als Zwölfjähriger in Grenoble 1968 auf das Olympia-Eis geschickt. Bis heute ist Hoffmann jüngster Olympia-Teilnehmer bei Winterspielen. Mit Sonderplänen und Einzelunterricht dehnte sich die Schulzeit. Sport hatte Vorrang, aber am Lernstoff gab es keine weiteren Abstriche. So bekam er erst mit 21 Jahren das Abi-Zeugnis.

Olympia-Medaille mit Verspätung

Der Absprung aus dem Leistungssport war allerdings nicht so einfach. Nach drei Olympiastarts mit den Plätzen 26, sechs und vier sowie WM- und EM-Gold sollte Schluss sein. Die Enttäuschung über die umstritten verpasste Olympiamedaille 1976 saß zu tief. Doch die obersten DDR-Sportführer legten sich quer. „In Berlin machten sie mir klar, dass sie mich brauchten, da es keinen Nachfolger gab“, erzählt Hoffmann. „Sie wollten wissen, was ich will. Meine Antwort: Medizin studieren. Wir einigten uns auf den Kompromiss, weitermachen und ein Vierteljahr Studium in Berlin nach der Saison.“

Im Einzelunterricht wurde der Exot unter den Studenten fit für Prüfungen gemacht. „Heute unvorstellbar“, sagt Hoffmann. So gewann er drei weitere EM-Titel und zweimal WM-Silber. Die Krönung sollte 1980 die ersehnte Olympiamedaille sein. Dafür setzte er ein Jahr lang alles auf die Karte Sport, stand früh um 7 Uhr in der Eishalle, die er 17 Uhr wieder verließ. „Das war extrem“, sagt er. „Dann patzte ich bei den vorolympischen Spielen, stürzte dreimal.“ Hoffmann zweifelte an sich, grübelte und wusste: „Ich muss was ändern!“ Er entschied sich für den Biorhythmus im Training, lief nachts wettkampfnah die Kür, damit sich der Körper daran gewöhnen konnte. Jutta Müller setzte dafür energisch alle Hebel in Bewegung, einmal pro Woche wurde erst 22 Uhr trainiert.

Der Lohn: Hoffmann zauberte in Lake Placid die Kür seines Lebens aufs Eis und gewann Olympiasilber. Nicht wenige Experten meinten danach, der Brite Robin Cousins stand unverdient ganz oben. Hoffmann winkt ab und zeigt auf die Medaille im Wohnzimmer: „So ist Eiskunstlauf, es lebt von subjektiven Entscheidungen. Dafür bin ich nach den Spielen noch mal Weltmeister geworden. Das war alles ein Riesenaufwand. Aber wer ein hohes Niveau erreicht hat, will auch die Krönung und sich anschließend keine Vorwürfe machen, es nicht versucht zu haben.“

Der Dresdner war der beste Eiskunstläufer der 1970er-Jahre.
Der Dresdner war der beste Eiskunstläufer der 1970er-Jahre. © imago

Nach den Sternstunden wechselte der Prominente ins Berliner Studentenleben und trainierte nebenbei ab, um dem Körper die Dauerbelastungen abzugewöhnen – ganz allein. „Als Sportler war immer ein Arzt um einen, dann hieß es: ,Du weißt ja Bescheid.‘ Ich stand nicht mehr in der Öffentlichkeit und hatte das Gefühl: Ich habe meine Schuldigkeit getan“, sagt Hoffmann.

Umso mehr genoss er den Studenten-Alltag. „Im Einzelunterricht warst du ständig dran und musstest präsent sein“, beschreibt er den größten Unterschied. „Nun konnte ich auch andere Studenten fragen, habe mit ihnen zusammen gelernt.“ Ein einziges Mal flog er durch eine Prüfung. Es war gleich die erste in Anatomie. Danach lernte er noch intensiver.

Von Beginn an liebäugelte Hoffmann mit der Orthopädie. Zum einen sah er darin ein überschaubares Fachgebiet, zudem hatte er eigene Erlebnisse. 1975 war ein Meniskus bei ihm entfernt worden. Beim Eingriff in der Berliner Charité stand auch der einstige Paarläufer Heinz-Ulrich Walther als Arzt am OP-Tisch. Die Begegnung trug zur Entscheidung für die Facharztausbildung zum Orthopäden bei. Hoffmann hat es nie bereut, auch wenn es ein langer Weg war.

„Der Arzt-Beruf ist wunderschön. Ich kann anderen Leuten helfen und Rat geben, wie sie ihre Lebensqualität verbessern können“, sagt Hoffmann. Manchmal rät er zu mehr Sport, wenn zu viel Auto gefahren wird. Manchmal sollte es weniger oder der passende Sport sein. Der Arzt-Alltag bleibt abwechslungsreich, die Stimmung in der Praxis ist gut. „So kann es noch gut drei Jahre weitergehen“, sagt er über die nahe Rente. Nur Schreibkram und aufreibende Bürokratie ärgern ihn oder extrem fordernde Patienten, die in seltenen Fällen jedes Maß verlieren.

Mit seiner Frau, einer Allgemein-Medizinerin, betrieb er eine Gemeinschaftspraxis. 2000 scheiterte die Ehe, inzwischen arbeitet Hoffmann in einer orthopädischen Gemeinschaftspraxis im Dresdner Umland. Mehr will er dazu nicht sagen, um die Werbe-Richtlinien für Ärzte einzuhalten. Lächelnd sagt er: „Wir brauchen aber gar keine Werbung, haben genügend Patienten.“

Hoffmann ist mit sich im Reinen. „Der Sport hat mir geholfen“, lautet seine Bilanz. „Da habe ich Eigenschaften entwickelt wie Willen und Ausdauer, die mir immer noch helfen. Ich lernte, mich selbst zu überwinden, wenn ich mal keine Lust hatte. Da wären wir bei Frau Müller an der richtigen Adresse gewesen, das hätte sie nie durchgehen lassen. Diese Schule hat mich geformt und alle, die bei ihr waren, die haben was fürs Leben mitbekommen, selbst wenn das mitunter sehr hart war“, erzählt Hoffmann.

Frau Müller und ihre Stars: Jan Hoffmann begleitet seine Trainerin bei einer Gala zu deren 90. Geburtstag am 8. Dezember 2018 (dahinter Gabi Seyfert und Katarina Witt).
Frau Müller und ihre Stars: Jan Hoffmann begleitet seine Trainerin bei einer Gala zu deren 90. Geburtstag am 8. Dezember 2018 (dahinter Gabi Seyfert und Katarina Witt). © Kristin Schmidt

Jutta Müller gab klare Ansagen, schnörkellos und schneidend, direkt und ungefiltert. Das klang mitunter nach Kasernenhof. „Man musste wissen, wie sie zu nehmen ist. Heute würde das nicht mehr so gehen. Ich konnte das gut filtern, da ging manches hier rein, da raus“, sagt Hoffmann. Dabei zeigt er auf seine Ohren und fügt hinzu: „So kam man am besten mit ihr zurecht, selbst wenn sie einen zu heftig kritisierte. Das fand aber auch alles unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Ich bin ihr deswegen nicht böse. Aber Sensible, die sich alles zu Herzen nahmen, die hatten es schwer.“ Fachlich galt Jutta Müller als eine der Besten, für Hoffmann: „Die Beste.“ Sie agierte unnachgiebig, riss aber trotz aller Härte die Athleten immer wieder aufs Neue mit und hatte Erfolge. Sportler nur mit Samthandschuhen anfassen – da wird nichts mit großen Siegen. Hoffmann lernte daraus seine Lektion fürs Leben: „Ich weiß, was wichtig ist und wenn es darauf ankommt. Deshalb konnte ich mich beim Studium auch überwinden, stupide viel auswendig zu lernen, was in der Anatomie nötig ist. Eigentlich liegt mir mehr, Dinge durch Logik zu erschließen.“

Als Preisrichter hielt der Facharzt lange Kontakt zur Eislauf-Szene, kam zu drei weiteren Olympia-Einsätzen in Lillehammer 1994, Nagano 1998 und Sotschi 2014. Bei einer der Reisen sprach er mit deutschen Eistänzern über deren Chancen in der Zukunft. Einige Spitzenpaare im Ausland hörten gerade auf. „Das war nicht ihr Thema. Da hätten sie mehr trainieren müssen. Sie waren die besten Deutschen, das reichte ihnen. Das konnte ich einfach nicht verstehen“, erzählt Hoffmann. Die internationale Preisrichter-Karriere hat er nun auch beendet, nur in Sachsen zieht Hoffmann bei Wettkämpfen noch Noten.

Bewegung hält ihn noch immer fit

Geärgert hat sich der Dresdner vergangene Woche bei der Eiskunstlauf-WM über die Platzierung der deutschen Sportler. „Schade, wie eine Sportart abdriftet, die einem mal sehr am Herzen lag“, meint er. Aljona Savchenko und Bruno Massot sorgten mit dem Olympiasieg 2018 für den vorerst letzten deutschen Triumph, was Hoffmann begeisterte und gleichzeitig Fragen aufwarf. „Enorm, was Aljona geleistet hat. Das hätte ich ihr im hohen Alter für Eiskunstläufer nicht zugetraut. Phänomenal. Sie waren aber auch heiß und hungrig, wollten unbedingt gewinnen. Vielleicht sollte man mal darüber nachdenken, warum das einer Ukrainerin und einem Franzosen für Deutschland gelungen ist.“

Was Hoffmann seinen Patienten empfiehlt, beherzigt er selbst: Maßvoll Sport treiben – mit Tennisschläger, auf dem Rad oder mit Skiern. Als bei heftigen Minusgraden im Winter der Moritzburger Schlossteich zugefroren war, drehte er in Familie auch wieder Kringel auf dem Eis – mit Frau sowie den 16 und vier Jahre alten Töchtern. Sie, die Arbeit und das Haus halten ihn auch weiter in Bewegung. Und im Sommer wird er wieder im Dresdner Großen Garten auf Inlinern unterwegs sein.

Unsere Serie "Die neue Karriere nach dem Sport"

Wie weiter nach dem Leistungssport? Eine Serie stellt frühere Top-Athleten vor, deren neuer Beruf mit Sport überhaupt nichts mehr zu tun hat.