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Spitzensportlerin und Mutter – wie geht das?

Kristina Kicka ist nach sechs Jahren zum Dresdner SC zurückgekehrt – als Mama. Das ist stressig - ohne die weißrussische Oma geht es nicht.

Von Michaela Widder
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Neugierig schaut Kamila ihrer Mama beim Gewichtestemmen zu. Als ihre Tochter wenige Monate alt ist, kehrte Volleyballerin Kristina Kicka in den Kraftraum zurück. Ihr Mann lebt in Warschau.
Neugierig schaut Kamila ihrer Mama beim Gewichtestemmen zu. Als ihre Tochter wenige Monate alt ist, kehrte Volleyballerin Kristina Kicka in den Kraftraum zurück. Ihr Mann lebt in Warschau. © privat

Dresden. Wenn die Mitspielerinnen stöhnen, dass es mal wieder auf eine lange Reise wie jetzt in die Ukraine geht, dann atmet Kristina Kicka tief durch. Es sind die wenigen Stunden, die sie für sich ganz allein hat. Dann kommt es schon mal vor, dass sie im Bus in aller Ruhe ihre Fingernägel schwarz lackiert. Oder im Flieger ein bisschen Schlaf nachholt. Kicka, 29, ist Volleyballerin beim Dresdner SC – und seit anderthalb Jahren Mutter von Kamila, dem kleinen Wirbelwind mit den blonden Haaren. „Ich war mir in der Schwangerschaft nicht sicher, ob ich in den Profisport zurückkomme“, erzählt sie bei einem Cappuccino auf dem Altmarkt. Noch einer dieser seltenen Momente.

Dass eine Babypause nicht das Karriereende bedeuten muss, haben schon einige Weltklassesportlerinnen gezeigt wie Kugelstoßerin Christina Schwanitz, Rodlerin Nathalie Geisenberger oder Tennisstar Serena Williams. In einem Teamsport ist die Doppelrolle besonders herausfordernd. Trainingszeiten gibt der Trainer vor, nicht umgekehrt. In der Volleyball-Bundesliga ist Kicka die einzige Spielerin, die gleichzeitig auch Mama ist. „Jetzt, wo ich diesen Weg so gegangen bin, sage ich, es ist okay. Aber man muss schon sehr organisiert sein“, erzählt die Weißrussin.

Gegen sechs Uhr steht sie mit der Kleinen auf, zieht sie an, macht Frühstück und bringt sie zur Tagesmutter. Danach beginnt die erste Einheit, und in der Halle interessiert es niemanden, wie schlaflos die vergangene Nacht war. Selbst Kicka hat es meist schon vergessen, wundert sich nur, warum sie manchmal müde ist. Am Nachmittag, wenn die zweite Einheit ansteht, und an den Spiel- und Reisetagen kümmert sich die Oma, die von Weißrussland nach Dresden gezogen ist. Auch bei Auswärtsspielen, wie diesen Mittwoch in der Champions League gegen SC Prometey übernimmt sie die Betreuung.

Kristina Kicka ist Weißrussin und verzichtete aus politischen Gründen auf Spiele mit ihrer Nationalmannschaft.
Kristina Kicka ist Weißrussin und verzichtete aus politischen Gründen auf Spiele mit ihrer Nationalmannschaft. © Ronald Bonß

Kamila ist ein Wunschkind. Als Kicka noch unter ihrem Mädchennamen Mikhailenko für den DSC spielte und 2016 mit dem Klub das Double gewann, war sie schon mit Sebastian zusammen. Es war Liebe per Zufall. Auf der Straße in Warschau war dem Polen die große Frau aufgefallen, er dachte, es sei eine Basketballerin, sprach sie an. „Ich habe das nicht geplant, es ist dann einfach passiert.“ Vor fünf Jahren haben sie geheiratet, seitdem hat sie auch einen polnischen Pass. Zur Hochzeitsfeier in Warschau war ihr Trainer Alexander Waibl eingeladen. Sie pflegen ein gutes, fast freundschaftliches Verhältnis. „Nach drei Vize-Meisterschaften habe ich mit Krissi 2014 den ersten Titel und dann auch das Double gewonnen Sie hat einen großen Anteil daran“, sagt Waibl. Der frühere Physiotherapeut des Teams hat sie wegen ihrer harten Aufschläge gern mal „Kalaschnikow“ genannt.

Sechs Jahre später hat der Dresdner Trainer, der selbst Vater von zwei kleinen Jungs ist, die junge Mutter in sein Team zurückgeholt. „Ich war überrascht, wie schnell fit sie nach der Geburt ihres Kindes wieder war. Das hat mich beeindruckt“, meint der 53-Jährige. Im April 2020 kam Kamila in Warschau auf die Welt. Für die vergangene Saison, die nur ein halbes Jahr nach der Geburt begann, erschien es Waibl dennoch zu früh, sie zu verpflichten. Nachdem Kicka beschlossen hatte, ein Comeback zu wagen, engagierte sie einen Fitnesstrainer, der sie in acht Wochen wieder fit machte. „20 Kilo hatte ich zugenommen.“ Längst hat sie nun wieder eine Athletik, die sich so manch zehn Jahre jüngere Spielerin wünschen würde.

In ihrer ersten Saison nach der Pause spielte die Angreiferin beim Liga-Konkurrenten in Aachen. Anfangs hatte Kicka ihr Baby im Kraftraum dabei, es schlief friedlich auf der Matte oder schaute neugierig zu, wie Mama Gewichte stemmte. Weil ihr Mann als Top-Manager in Polen arbeitet, bekam sie vor Ort Hilfe von ihrer Mutter. Kurz vor der Saison hatte Kicka abgestillt. „Das war für mich die härteste Zeit. Das hat mir vorher niemand gesagt. Kamila konnte sich keine zehn Zentimeter von mir lösen“, erinnert sie sich. Die erste Trennung von ihrer Tochter erlebte Kicka während der Play-offs. Weil das Visum für die Oma abgelaufen war, entschied die Familie, dass Camilla für diese wichtige Saisonphase beim Papa in Warschau leben sollte. Dort konnte die andere Oma helfen.

Der Kontakt zum DSC war in all den Jahren nie abgebrochen, und nach der vergangenen Saison wurde er wieder intensiver. Bei den Verhandlungen muss sie anders als ihre Kolleginnen herangehen. „Wenn ich einen Vertrag unterschreibe, dann muss ich als erstes mit meinem Mann, dann mit meiner Mutter und dann mit meinem Manager sprechen.“ Dass Dresden deutlich näher als Aachen an Warschau liegt, ist ein schöner Nebeneffekt, aber „erst geht es um Qualität, dann um die Entfernung“. In der Vorbereitung pendelte Kicka jedes Wochenende nach Warschau, um ihre Familie zu sehen. Seit Oktober lebt ihre Tochter mit in Dresden, wird von derselben Tagesmutter wie der jüngere Sohn des Trainers betreut. „Anfangs ist Kamila nachts jede halbe Stunde wach geworden, weil sie so viel verarbeiten musste.“ Ein neuer Ort, eine neue Bezugsperson, ein neues Umfeld, eine neue Sprache.

Ein Besuch der Krippe auf dem Dresdner Altmarkt ist für Mama und Tochter in der Vorweihnachtszeit Pflicht.
Ein Besuch der Krippe auf dem Dresdner Altmarkt ist für Mama und Tochter in der Vorweihnachtszeit Pflicht. © privat

Ohne die Oma könnte Kicka ihren Job als Volleyball-Profi nicht ausüben. Zu dritt leben sie in einer Wohnung im Dresdner Stadtteil Gruna, und es läuft harmonischer, als man sich vielleicht so eine Konstellation vorstellt. „Meine Mama ist jung geblieben, eher wie eine Freundin. Sie hat sogar ein Instagram-Profil.“ Wenn es um die Erziehung geht, hat Kicka aber ihre ganz eigenen Vorstellungen. Mit viel Struktur, wie sie es selbst aus dem Leistungssport kennt, soll Kamila aufwachsen. Anfangs hatte sie sogar eine App, in der sie die Schlafens- und Essenzeiten ihrer Tochter genau notierte.

Loslassen, fällt ihr schwer. „Ich weiß, ich kann nicht alles perfekt machen.“ Und doch geht es ihr, wie vielen Müttern – sie würde es gern. „Am Nachmittag verpasse ich wichtige Stunden mit meiner Tochter, in denen ich ihr etwas beibringen könnte“, bedauert sie. Spätestens um sieben sitzen die Drei zusammen beim Abendessen. „Da will ich, dass Kamila runterkommt, deshalb dimme ich das Licht, es wird alles ruhiger. Bei uns gibt es keinen Fernseher. Da bin ich sehr streng.“ Am Abend bleibt ihr nicht mehr viel Zeit für sich selbst. Oft ist sie zu müde. Es vergeht kein Tag, an dem Kicka nicht vier Sprachen spricht: russisch mit Kamila, polnisch mit ihrem Mann, deutsch mit der Tagesmutter und englisch mit dem Team. Und alles fast perfekt.

Kicka ist mit ihren 29 Jahren die Älteste im Team, aber „ganz bestimmt nicht die Mutti“, wie der Trainer sie erlebt. Ihre Verspieltheit habe sie sich erhalten, findet Waibl, und auch für Späße sei sie immer zu haben. Bis auf Trainer und Klubführung hat sich für Kicka beim DSC so gut wie alles verändert. Im Moment ist sie die Nummer zwei hinter Top-Angreiferin Maja Storck. Sie will mehr, was ihr Waibl auch zutraut. „Es ist ein anderer Volleyball“, meint Kicka: „Die Geschwindigkeit, die Taktik haben sich schon verändert. Viele Spielerinnen sind zehn Jahre jünger. Ich muss weiter viel lernen, um mitzuhalten.“

Ihr kleiner Edelfan sitzt bei Heimspielen oft auf der Tribüne. Das Schönste nach jedem Spiel: Kamila ist egal, ob die Mama gerade gewonnen hat oder nicht.