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Das große Abenteuer Rennsteiglauf

Aus dem beliebten Breitensportklassiker im Osten hat sich Europas größer Crosslauf entwickelt. Eine Erfolgsgeschichte, nicht aber ohne dunkle Kapitel.

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Der Buchstabe sagt alles und weist den Weg, auch beim Rennsteiglauf wieder an diesem Wochenende.
Der Buchstabe sagt alles und weist den Weg, auch beim Rennsteiglauf wieder an diesem Wochenende. © Martin Schutt/dpa

Von Thomas Purschke

Eisenach. Der GutsMuths-Rennsteiglauf im Thüringer Wald, zugleich der größte Crosslauf in Mitteleuropa, zählt zu den beliebtesten in Deutschland. Wegen Corona musste er 2020 abgesagt werden, und auch dieses Jahr im Mai konnte das Rennen pandemiebedingt nicht stattfinden. Die Organisatoren haben ihn auf das erste Oktoberwochenende verlegt. Eine kluge Entscheidung, wie sich nun herausstellt.

Mehr als 10.000 Starter aus dem In- und Ausland dürfen und werden bei der 48. Auflage an diesem Samstag und Sonntag auf vier verschiedenen Lauf- und Wanderstrecken erwartet, darunter einmal mehr viele Sachsen. Nach den Thüringern bilden sie die größte Gruppe. Antritts- oder gar üppige Preisgelder werden beim Rennsteiglauf bis heute nicht gezahlt.

Die Königsdistanz, der Supermarathon, führt dabei am Samstag über 73,9 Kilometer vom Marktplatz in Eisenach in den zentralen Zielort Schmiedefeld, doch auch der Marathon von Neuhaus mit insgesamt 770 zu absolvierenden Höhenmetern ist noch mehr Herausforderung als anderswo.

Die meisten Läufer begnügen sich indes mit dem Halbmarathon von 21,1 Kilometern vom Wintersportzentrum Oberhof nach Schmiedefeld, weshalb das Teilnehmerlimit im Hygienekonzept auf 6.000 begrenzt worden ist. Über 1.700 ehrenamtliche Helfer sind außerdem im Einsatz. An den Verpflegungsstellen gibt es neben Obst traditionell auch Fettbrote, Haferschleim, Wiener Würstchen – und an der letzten Verpflegungsstelle sogar Bier.

Der Präsident des Rennsteiglaufvereins, Jürgen Lange, erklärt stolz: „Wir sind bereits zum sechsten Mal zum beliebtesten Marathon im deutschsprachigen Raum gewählt worden.“ Ein Slogan lautet: „Das schönste Ziel der Welt, das steht in Schmiedefeld“. Seit vielen Jahren gehört es zur Tradition, dass sich die Läufer die Startnummer hinter die Autoscheibe kleben, um sich bereits auf der Autobahn zu erkennen. Der einst beliebteste DDR-Breitensportklassiker hat nichts von seiner Faszination eingebüßt, im Gegenteil. Aus allen Bundesländern kommen die Teilnehmer seit nunmehr 30 Jahren an den Rennsteig. Sie sorgen damit nicht zuletzt auch für wirtschaftliche Kontinuität – und für strahlende Mienen bei den Organisatoren.

Dank Mundpropaganda starten 1975 fast 1.000 Läufer

Dies war nicht immer so. Die DDR-Sportführung mit Manfred Ewald, dem Präsidenten des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB), hatte an dem Breitensportereignis kein allzu großes Interesse, zumal es anfangs der 1970er-Jahre von Jenaer Studenten um den Orientierungsläufer Hans-Georg Kremer auf den Weg gebracht wurde. Weil die Unterstützung der DDR-Sportfunktionäre für die nicht-olympische Disziplin immer mehr nachließ, sahen sich die Sportler zur Eigeninitiative gezwungen. Sie wollten auf den Orientierungslauf aufmerksam machen.

Aus Mangel an geeignetem Kartenmaterial in der DDR kam man bei der Suche nach passendem Terrain für einen Langstreckenlauf auf den markierten Höhenkammweg. Nach mehreren Anläufen absolvierte am 13. Mai 1973 das Gründer-Quartett mit Kremer im Laufschritt 90 Kilometer von Eisenach nach Masserberg – in knapp zehn Stunden. An der Zweitauflage im Jahr darauf nahmen zwölf Athleten teil, durch Mundpropaganda waren es 1975 schon fast 1.000 Läufer.

Die ehrenamtlichen Organisatoren stießen an ihre Grenzen. Ewald erklärte, er brauche keinen zweiten Wasalauf in der DDR. Für viele Breitensportler hingegen war es die große Herausforderung, in der Gemeinschaft eigene sportliche Grenzen auszuloten. Der Rennsteiglauf wurde zunehmend Kult, die Nischenveranstaltung wirkte wie ein Affront zur offiziellen DDR-Meilenbewegung.

Für den Thüringer Henner Misersky, er gehörte in den 1960er-Jahren zu den besten DDR-Hindernisläufern, war der Rennsteiglauf „eines der letzten Abenteuer, die man in der DDR ausleben konnte“. Überliefert ist, dass DTSB-Chef Ewald, der nahe des Zielortes Schmiedefeld in Frauenwald ein Ferienhaus besaß, einmal auf der Fahrt dorthin im Auto lange warten musste, weil just an diesem Tage der Rennsteiglauf stattfand und die Läufer Vorfahrt genossen. Er soll furchtbar getobt haben.

Ausländische Läufer erst seit 1990

Unvergessen bleiben auch Schlammschlachten bei Schneeregen im Mai auf dem Kammweg, der teils als Transporttrasse für sowjetische Panzer genutzt wurde. Die DDR-Sportartikelindustrie hatte damals für die Breitensportler nur minderwertiges Schuhwerk mit harten Sohlen anzubieten. Was zwangsläufig bei vielen zur Blasenbildung führte.

Trotz vieler Schwierigkeiten und Restriktionen, ausländische Läufer durften beispielsweise bis 1989 nicht teilnehmen, setzte sich der Rennsteiglauf durch – samt Startern aus Westdeutschland auch schon vor der Wende. „Die im Prinzip illegalen Teilnehmer aus Westdeutschland liefen mit der Startkarte eines DDR-Verwandten und verschwanden nach dem Zieleinlauf wieder gen Westen“, erzählt Kremer.

Die offizielle Startanfrage von Hans-Jürgen Koch aus Kiel im Jahr 1988, der 33 Jahre zuvor mit der Familie in den Westen geflüchtet war, wurde indes abgelehnt. „Das Wort Ausländer hat damals besonders wehgetan.“, erinnerte sich der in Suhl geborene Koch. Nach der Wende war er dann mehrmals dabei. „Wegen der herrlichen Landschaft und der herzlichen Kameradschaft unter den Teilnehmern“, wie er sagt.

Dabei sorgen auch Läufer gelegentlich für Unmut. 2018 wurden 20 erwischt, wie sie beim Supermarathon ein Teilstück per Auto zurücklegten. Sie wurden aus den Ergebnislisten gestrichen.