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Eintracht Frankfurt und die Auferstehung der Tradition

Nach dem Triumph in der Europa League und einer epochalen Sause will Eintracht Frankfurt seine Haltung auch in der Königsklasse nicht verändern. Und sieht sich als Vorbild für andere.

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Frankfurts Cheftrainer Oliver Glasner und Sebastian Rode (l.) stehen mit dem Europa-League-Pokal auf dem Balkon des Rathauses.
Frankfurts Cheftrainer Oliver Glasner und Sebastian Rode (l.) stehen mit dem Europa-League-Pokal auf dem Balkon des Rathauses. ©  dpa/Sebastian Gollnow

Von Frank Hellmann

Frankfurt am Main. Stundenlang hatten die Menschenmassen ausgeharrt, in brütender Hitze und auch bei heftigen Regenschauern. Auf dem Römer in Frankfurt/Main oder dem Paulsplatz, an der Kennedyallee oder auf der Untermainbrücke. Mindestens 200.000, eher 300.000 Leute, so die Schätzungen der Polizei, standen den ganzen Donnerstag Spalier, klatschten Beifall, filmten mit ihren Handys eine Triumphfahrt und den epochalen Empfang der Frankfurter Eintracht, der sich nahtlos in diesen von Superlativen umrahmten Erfolg in der Fußball-Europa-League fügte.

Nicht beim DFB-Pokalsieg des hessischen Bundesligisten 2018 und erst recht nicht beim EM-Gewinn 1996 oder der Vizeweltmeisterschaft 2002 der deutschen Nationalmannschaft war rund um den Römerberg so viel los. „Das sprengt alle Grenzen“, hielt Bundesliga-Rekordspieler und Eintracht-Legende Karl-Heinz Körbel ergriffen fest.

Das passiert wohl zwangsläufig, wenn reichweitenstarke Traditionsklubs 42 Jahren lang auf einen internationalen Titel warten – und zwei Jahre lang eine Pandemie vor allem mit Kontaktbeschränkungen bekämpft wird. Die aufgesparten Emotionen entluden sich wie ein gewaltiges Gewitter. Es war schon wieder dunkel, als Eintracht-Trainer Oliver Glasner im besten österreichischen Dialekt ausrief: „Man kann viel Geld ausgeben, oder man kann Titel gewinnen, wenn man eine ganz große Einheit bildet. Eine große Einheit in der Mannschaft, im Verein und mit den Fans.“

Der Frankfurter Römerberg beim Empfang des Europa-League-Siegers am Donnerstagabend.
Der Frankfurter Römerberg beim Empfang des Europa-League-Siegers am Donnerstagabend. © dpa/Boris Roessler

Einen noch weiteren Bogen schlug der Vorstandssprecher Axel Hellmann bei seiner Rede im Kaisersaal: „Wir haben dem deutschen und dem europäischen Fußball die Romantik zurückgegeben, dass man Grenzen versetzen kann.“ Der Funktionär glaubt fest daran, „dass der Fußball eine Renaissance der Traditionsvereine“ erlebt; dass diejenigen Klubs größere Chancen haben, „die auf ihre Menschen zugehen“. Mehr Regionalität hatte man sich ja bereits vor dem Siegeszug durch Europa auf die Fahnen geschrieben. Motto: Mehr Wetterau, weniger Asien.

Hellmann hatte es vier Jahre nach dem DFB-Pokalsieg einfach nicht für möglich gehalten, noch mal eine Trophäe präsentieren zu können, aber da hat der Jurist wohl die Kraft der Institution Eintracht selbst unterschätzt. Auffällig, in welchem Gleichklang die Führungstroika mit Hellmann, Aufsichtsratschef Philip Holzer und Präsident Peter Fischer betonte, nicht in finanzielle Sphären abzudriften, die dem Verein nicht guttun würden. Dafür gibt es warnende Beispiele aus der eigenen Historie. Erinnert sei nur an die verbrannten Octagon-Millionen, als sich 50 Millionen Mark Anfang des Jahrtausends in Windeseile verflüchtigten.

„Wir wollen langsam wachsen. Schritt für Schritt“, versprach Holzer. „Wir bleiben mit den Füßen auf dem Boden und werden nicht alles raushauen“, versicherte Fischer. Zur ausgegebenen „Philosophie der wirtschaftlichen Vernunft“ passt die Verpflichtung von Sebastian Polter, dem Mittelstürmer aus Bochum. Der 31-Jährige soll zwei Millionen Euro Ablöse kosten. Dazu kommen eine Handvoll weitere Transfers, allesamt keine großen Namen, aber Profis mit Entwicklungspotenzial. Der Kader müsse vor allem in der Breite besser werden, findet Manager Markus Krösche.

Einnahmen die guttun

Sein Vorgänger Fredi Bobic hatte fast jede Sommerpause zu größeren Umbrüchen genutzt: 2019 suchte nach dem verpassten Europa-League-Finale die berühmte „Büffelherde“ mit Sébastien Haller, Luka Jovic und Ante Rebic für Rekordablösen das Weite. Jetzt hat aber die Europa League schon 25 Millionen Euro eingebracht, aus der Champions League kündigt sich Minimum dieselbe Summe an.

„Natürlich sind das Einnahmen, die uns nach zwei Jahren Corona extrem guttun“, sagt Krösche. Der Sportvorstand will trotzdem genau abwägen, ob er Leistungsträger wie Even Ndicka oder Filip Kostic mit kräftigen Gehaltssprüngen langfristig bindet. Schon der legendäre Frankfurter Vorstandschef Heribert Bruchhagen warnte stets, dass „die Flut alle Boote hebt“. Es bringt nichts, sich ein Gehaltsniveau zuzulegen, das dauerhaft nicht zu halten ist.

Die Eintracht will die nächsten Tage die wirtschaftlichen Rahmendaten für die Zukunft festlegen. „In der Champions League hängen die Trauben höher“, sagt Hellmann, „da mitzuspielen ist etwas ganz Besonderes, was Eintracht Frankfurt in der Geschichte noch nicht geschafft hat.“

Die Gruppenphase der Königsklasse beginnt wegen der WM in Katar übrigens bereits am 6./7. September. Zuvor aber geht es am 10. August im europäischen Supercup entweder gegen Real Madrid oder den FC Liverpool. Massenhaft buchen die Eintracht-Fans bereits Reisen nach Helsinki. Hellmann blieb fast gar nichts anderes übrig, als zu garantieren: „Das ist eine Riesenchance. Das nehmen wir sehr ernst.“