Warum bei Dynamo niemand über den Aufstieg redet

Dresden. Am Ende seiner kurzen Analyse sagt Tomas Oral auch was zu Dynamo. Es soll wohl ein Lob sein und zugleich die deutliche Niederlage seiner Ingolstädter ein wenig einordnen. „Die Mannschaft steht zu Recht da oben, hat sich in den letzten Monaten richtige Stabilität geholt“, erklärt der Trainer bei der Pressekonferenz und schiebt noch eine Prophezeiung hinterher: „So, wie sie sich präsentiert, wird sie auch niemand mehr einholen.“
Beim letzten Satz verzieht Markus Kauczinski sein Gesicht, als hätte er plötzlich akute Magenkrämpfe. „Natürlich reden wir hier nicht über das Ende, sondern nur über den Moment“, kontert er Orals Weissagung und wirkt ein wenig verärgert. Der Trainer des Tabellenführers möchte einzig über das überzeugende 4:0 im Spitzenspiel gegen den bis dahin Zweiten sprechen, nicht aber über mögliche Aufstiegsszenarien. Dabei ist Orals Prognose keine weltfremde, sondern eine völlig naheliegende. Die Tabelle, durch Nachholspiele noch ein wenig schief, ist dabei nicht mal das stärkste Argument, wobei sieben Punkte Vorsprung auf den Relegationsplatz drei 13 Partien vor dem Saisonende schon ein ordentliches Polster sind.
Vielmehr ist es die Art und Weise, wie die Dresdner durch die Liga marschieren, die den Eindruck vermittelt: Diesen Vorsprung geben sie nicht mehr aus der Hand, da brennt nichts mehr an. Dass sich genau das in den Köpfen der Spieler festsetzt, ist die große Gefahr in den nächsten Wochen. Im Glauben, es passiere schon nichts mehr und es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis der Aufstieg auch mathematisch feststeht, könnte die Konzentration flöten gehen, die Anspannung, der Druck.
Kauczinski: "Meine Aufgabe ist es, zu mahnen"
Das weiß Kauczinski, deshalb ist er über Orals Vorhersage so verärgert. Vorsichtshalber verkündet er gleich mal seine Gegenmaßnahmen. „Wichtig ist es, jetzt auf dem Boden zu bleiben“, erklärt er, gibt den Spielern zwei Tage frei, dann aber werde wieder gearbeitet. „Die Jungs wissen schon, was wir noch für ein Programm haben. Da sind Duelle gegen direkte Konkurrenten dabei und gegen Mannschaften, denen das Wasser bis zum Hals steht. Wir haben schon erfahren, was das für einen Kampf bedeutet. Meine Aufgabe ist es, das den Jungs ins Gedächtnis zu rufen und zu mahnen“, sagt der 51-Jährige.Hört man die Aussagen seiner Spieler direkt nach dem Abpfiff, scheint das kaum nötig zu sein. Heute könne man ein bisschen träumen und seinen Gedanken freien Lauf lassen, meint Sebastian Mai, der nach drei Spielen Sperre und einem Kurzeinsatz wieder als Abwehrchef in der Startelf stand. „Aber dann muss man es richtig einordnen: Wir haben zwar einen kleinen Schritt gemacht, der aber nichts bringt, wenn wir den Rest dann verlieren.“
Ransford-Yeobah Königsdörffer, der den Elfmeter vor dem Führungstreffer herausgeholt und das zweite, sehr sehenswerte, Tor selbst erzielt hatte, mahnt: „Der Sieg pusht uns, doch wir sollten uns jetzt nicht zwei, drei Wochen feiern.“ Paul Will stellt fest, dass es in der 3. Liga keine leichten Spiele gebe und die Saison noch lang sei. Das ist alles richtig, doch Worte sind im Fußball nur die eine Seite und nicht die entscheidende. Ob die Mannschaft das auch verinnerlicht hat, werden die kommenden Wochen zeigen. Die Partie am Samstag beim SV Meppen könnte ein erster Fingerzeig sein. Tabellen-13., kein großer Name – da fällt es schwerer, sich zu motivieren als gegen den Ex-Bundesligisten und direkten Rivalen Ingolstadt.
Im Spitzenspiel lief so ziemlich alles nach Plan, wobei das Ergebnis ein wenig zu hoch ausfiel. 40 Minuten lang neutralisierten sich beide Teams weitgehend. Das zwar auf hohem Drittliga-Niveau, doch begeistern konnten sich darüber wohl nur Taktik-Freaks. Die Torhüter litten unter akutem Beschäftigungsmangel. Das änderte sich erst durch den Elfmeter, den Heinz Mörschel sicher verwandelte. Noch vor dem Halbzeitpfiff fiel das 2:0 und kurz nach der Pause das 3:0. „Das hat dem Gegner das Genick gebrochen“, sagte Kauczinski. Sein Kollege formulierte es ein wenig anders. „Nach dem 0:1 sind bei uns sämtliche Dämme gebrochen“, so Oral. Der gebürtige Dresdner und Ex-Dynamo Stefan Kutschke, der rechtzeitig fit geworden war, sprach von einem „rabenschwarzen Tag“.
Luka Stor trifft das erste Mal in der Liga für Dynamo
Solch einen, und das macht den Unterschied deutlich, erwischten die Dresdner in dieser Saison erst einmal – beim 0:3 gegen den FC Bayern II. Das war Anfang Oktober. In den vergangenen sechs Partien kassierten sie nie mehr als ein Gegentor, sind seit fünf ungeschlagen und gewannen davon vier. Die Tendenz ist eindeutig – und Dynamo deshalb so dominant, weil kein Konkurrent einen solch breit besetzten und qualitativ hochwertigen Kader hat. Ein Beispiel: Luka Stor setzte mit dem 4:0 den Schlusspunkt, es war nach langer Verletzung sein erstes Saisontor und sein erstes Ligator für Dynamo überhaupt. Kauczinski kann es sich leisten, Spieler wie Panagiotis Vlachodimos und Agyemang Diawusie, zu Saisonbeginn noch Stammkräfte, nicht für den Kader zu nominieren. Und das schon seit einigen Wochen.
Und noch was fiel auf, für den Trainer war es sogar das Wichtigste: „Es freut mich, dass wir in einem solchen Druckspiel nicht nur gekämpft, sondern auch richtig Fußball gespielt haben. Druckspiele werden jetzt noch mehrere kommen“, erklärte Kauczinski, der auch verriet, wen er als größten Konkurrenten für die beiden direkten Aufstiegsplätze sieht: „Ich habe Rostock, Wiesbaden und 1860 München auf dem Zettel.“ Gegen alle drei Teams muss Dynamo noch antreten. „Das wird ein richtig hartes Rennen.“ Die Prophezeiung des Dynamo-Trainers klang ein wenig anders als die von Oral. Am Ende könnten trotzdem beide in Erfüllung gehen.
Alles Wichtige und Wissenswerte rund um Dynamo - kompakt jeden Donnerstagabend im Newsletter SCHWARZ-GELB, und immer mit Gewinnspiel. Jetzt hier kostenlos anmelden.