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Ex-Dynamo-Torwart: „Es waren zwei Horrorjahre“

Tim Boss kehrt mit dem SV Wehen Wiesbaden am Mittwoch zurück nach Dresden. Vorher erklärt er, warum er bei Dynamo nie eine Chance hatte.

Von Daniel Klein
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In Wiesbaden ist Tim Boss die Nummer eins, verpasste keine Minute. Gegen Bayern München II faustete er sich den Ball zuletzt aber ins eigene Tor.
In Wiesbaden ist Tim Boss die Nummer eins, verpasste keine Minute. Gegen Bayern München II faustete er sich den Ball zuletzt aber ins eigene Tor. © Jan Huebner

Die Kabinen, die Gänge, die Mitarbeiter – all das wird Tim Boss sehr vertraut sein, wenn er am Mittwochabend mit dem SV Wehen Wiesbaden zum Nachholspiel ins Rudolf-Harbig-Stadion kommt. Das Danach ist dagegen ungewohnt, was nicht allein daran liegt, dass er nun ein anderes Trikot trägt. Boss wird sich nicht nur aufwärmen, sondern auch auflaufen, und – falls nichts Schlimmes passiert – 90 Minuten lang im Tor stehen.

Ein einziges Mal hat er das an diesem Ort schon erlebt, Ende Juni beim 2:2 gegen den VfL Osnabrück. Es war das vorerst letzte Zweitliga-Spiel von Dynamo, der Abstieg im Grunde bereits besiegelt. Und für Boss war es eine Art Abschiedsgeschenk. Dass sich die Wege trennen werden, stand da bereits fest. Es war sein einziger Einsatz in den zwei Jahren bei Dynamo. Boss hatte genug vom ständigen Reservistendasein.

„Es ist kein Geheimnis, dass es für mich zwei Horrorjahre waren, die ich so noch nie erlebt habe“, sagt er nun. Er klingt dabei nicht zornig, will nicht anklagen, Schönreden möchte er bei der persönlichen Rückschau jedoch auch nichts. Dabei fing es so gut an in Dresden. Dynamo überwies im Sommer 2018 rund 100.000 Euro an Fortuna Köln für den Torhüter, der zu den Besten der 3. Liga zählte.

Nach Neuhaus-Entlassung keine Chance mehr

Boss galt als Wunschspieler des damaligen Cheftrainers Uwe Neuhaus. Während der Vorbereitung zog er sich jedoch eine Muskelverletzung im Oberschenkel zu. Als er wieder fit war, saß bereits Maik Walpurgis auf der Bank. „Nach der Entlassung von Uwe Neuhaus hat sich das Blatt komplett gewandelt“, erzählt er. „Ich hatte keine faire Chance mehr. Das wissen auch viele im Verein.“

Walpurgis setzte auf Markus Schubert, Cristian Fiel auch auf Patrick Wiegers und vergangene Saison auf den neu verpflichteten Kevin Broll. Markus Kauczinski änderte an der Reihenfolge nichts. Boss saß meist auf der Tribüne. „Es gab da Phasen, in denen ich mich hinterfragt habe, ob es an mir liegt. Ich bin zu jedem Training mit riesigem Bock gefahren, Gas zu geben. Und dann bin ich traurig nach Hause, weil ich wieder nicht durfte, gebremst wurde. Dass da Selbstzweifel aufkommen, ist, denke ich, natürlich. Aber ich konnte in den Spiegel schauen, weil ich mich immer in den Dienst der Mannschaft gestellt und alles gegeben habe“, erzählt der 27-Jährige, der auch sagt, dass er diese Station in seiner Karriere nicht „komplett schwarzmalen“ möchte. Sie hätte ihn geprägt und stärker gemacht.

Die Rückkehr nach Dresden ist für Boss deshalb auch eine emotionale und das Nachholspiel „natürlich ein besonderes für mich“. Mit dem Wort Genugtuung kann er jedoch nicht viel anfangen, will niemandem beweisen, dass er womöglich falsch lag. Das muss er auch nicht. Beim Mitabsteiger SV Wehen Wiesbaden ist Boss die unumstrittene Nummer eins, hat in dieser Saison noch keine Minute verpasst. „Es fühlt sich richtig gut an, auf dem Platz zu stehen, wieder gefragt zu sein“, erklärt er. „Es gibt Spieler, die sich damit arrangieren können, auf der Bank zu sitzen. Ich gehöre nicht dazu.“

Bei Dynamo saß Boss entweder auf der Bank oder Tribüne. In zwei Jahren bestritt er lediglich ein Pflichtspiel.
Bei Dynamo saß Boss entweder auf der Bank oder Tribüne. In zwei Jahren bestritt er lediglich ein Pflichtspiel. © Foto: ZB/Robert Michael

Der Ehrgeiz, das wird in dem Gespräch an mehreren Stellen deutlich, ist das, was ihn antreibt. Deshalb ist er damals vom Kölner Drittligisten nach Dresden zu einem Zweitligisten gewechselt. Und deshalb wollte er sich bei Dynamo beweisen, zumindest aber eine Chance erhalten. Die hat er nie bekommen. Nun nimmt er mit dem SV Wehen quasi einen zweiten Anlauf. Wie für Dynamo ist auch für Boss der Wiederaufstieg das Ziel. „Alles andere wäre Rumeierei“, sagt er, und das würde nicht zu ihm passen. „Der Anspruch, oben mitspielen zu wollen, war ein Punkt, warum ich nach Wiesbaden gegangen bin.“ Doch nach den beiden Niederlagen zuletzt gegen Bayern München II, als Boss ein unglückliches Eigentor erzielte, und den FC Ingolstadt sind die Chancen nicht mehr die besten. Elf Punkte trennen die Hessen bereits von Spitzenreiter Dynamo.

Davor hatte die Mannschaft zwar zehn Partien in Folge nicht verloren, sich in der Hinrunde aber einige Ausrutscher geleistet. Wiederum gegen Bayern München II, Ingolstadt sowie Duisburg kassierte sie jeweils vier Gegentore.

Wehens Spezialität: Offensivfußball mit Restrisiko

Es sind Partien, die einen Torhüter nerven, besonders einen so ehrgeizigen. „Auch wenn uns da wichtige Spieler gefehlt haben – das darf uns nicht passieren“, sagt Boss, setzt die deutlichen Niederlagen aber ins Verhältnis. „Man muss auch die Gegenseite sehen.“ Und da ist der SV Wehen Wiesbaden hinter Verl, 1860 München, Dynamo und Saarbrücken der Drittligist mit den meisten Treffern. „Unser Spiel ist sehr offensiv geprägt und mit einem gewissen Risiko behaftet.“ Zuletzt, so scheint es zu sein, wurde das Risiko zugunsten der Balance ein wenig minimiert. Dennoch glaubt Boss, dass seine Vorderleute auch gegen Dynamo „die Grundtugenden zeigen werden, die uns stark machen. Wir spielen sicher keinen anderen Fußball.“

In ein anderes Geschäft ist Boss dagegen schon im vergangenen September eingestiegen. Zusammen mit zwei Kumpels eröffnete er in Köln ein veganes Fast-Food-Restaurant. Das mitten in einer Pandemie zu tun, ist mutig. Oder ehrgeizig. „Ich habe es aus Überzeugung getan, weil ich großes Vertrauen in das Konzept habe“, erzählt er. „Immer mehr Leute wollen sich gesünder ernähren.“ Momentan läuft das Geschäft jedoch nur im To-Go-Modus.

Nach dem Spiel könnte er sich über das Thema mit Dynamo-Verteidiger Tim Knipping austauschen, der in St. Leon-Rot bei Heidelberg und in Regensburg zwei Restaurants betreibt. Vielleicht reden sie aber auch über den Aufstieg. „Bis dahin“, sagt Boss, „ist es noch ein langer Weg.“ Aus den Augen verlieren wird er das Ziel sicherlich nicht. An der Umsetzung darf er nun direkt mitwirken.

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