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EM: Wer hat Angst vor Cristiano Ronaldo?

Am Samstag trifft die deutsche Mannschaft auf den neuen EM-Rekordtorschützen Cristiano Ronaldo. Alle wichtigen Fragen und Antworten vor der Partie.

Von Cornelius de Haas
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Hat gut lachen und mit Deutschland noch eine Rechnung offen: Cristiano Ronaldo.
Hat gut lachen und mit Deutschland noch eine Rechnung offen: Cristiano Ronaldo. © dpa/Robert Michael

München. Von Selbstzweifeln und Verunsicherung ist bei Joachim Löw vor dem Duell mit Portugals EM-Champions um Superstar Cristiano Ronaldo nichts zu spüren. Der Bundestrainer weiß aber, dass insbesondere seine Offensive im zweiten Gruppenspiel am Samstag in der Münchner Arena nicht wieder ausfallen darf wie beim 0:1-Fehlstart gegen Weltmeister Frankreich. Denn sonst droht Deutschland gleich das nächste Turnierdesaster.

Wer diesmal die Tore schießen soll

Bei der abschließenden Trainingseinheit am Freitag im Basiscamp in Herzogenaurach, die auch der zuletzt angeschlagene Serge Gnabry absolvierte, schwor Löw die Mannschaft mit einer mehrere Minuten dauernden Ansprache auf dem Rasen ein. Schon zuvor hatte der 61-Jährige am Rande des Platzes die weitere Marschroute ausgegeben: „Wir haben alles noch in der eigenen Hand. Aber wir müssen uns steigern!“ Bei den letzten Worten ballte Löw mehrmals die Faust.

Volle Power ist gefordert – ein treffsicherer Stürmer wäre hilfreich. Doch so jemand wird seit Jahren vermisst. Dennoch darf die Null nicht noch einmal vorne stehen. „Wir brauchen auf jeden Fall das eine oder andere Tor“, sagte auch Löw fast flehend. Nur Wille, Herz und Leidenschaft reichen nicht, um mit den Besten Europas mithalten zu können.

Thomas Müller hatte gegen Frankreich einen schweren Stand. Seine Abschlussqualitäten braucht die deutsche Mannschaft gegen Portugal aber.
Thomas Müller hatte gegen Frankreich einen schweren Stand. Seine Abschlussqualitäten braucht die deutsche Mannschaft gegen Portugal aber. © dpa/Matthias Schrader

Mehr Mut, mehr Risiko, mehr Entschlossenheit mahnte Joshua Kimmich an: „Wir müssen noch zielstrebiger nach vorne spielen.“ Eine gute Chance von Gnabry gegen Frankreich war viel zu wenig. Aber wer taugt zum Torjäger? Gnabry, Thomas Müller – in zwölf EM-Spielen noch ohne Treffer – und Kai Havertz bildeten ein harmloses Offensiv-Trio in Spiel eins.

Müller und Gnabry dürften dennoch weiter gesetzt sein, gut möglich aber, dass Kai Havertz ersetzt wird. Heißt Löws Lösung dafür Leroy Sané? „Wir wissen, wie gut er ist, wie gut er uns tun kann“, warb Ilkay Gündogan für den mit Talent gesegneten Angreifer. Auch Timo Werner wartet auf seinen Startelf-Einsatz. Oder könnte Bayern-Youngster Jamal Musiala die Torflaute beenden? „Wir haben im Offensivbereich ein brutales Überangebot an Spielern“, sagte Champions-League-Sieger Werner. Quantität ist tatsächlich vorhanden – Qualität auch?

Ob Deutschland das schnelle Aus droht

Auch bei einer Niederlage gegen Portugal wäre der Turnier-K.-o. der DFB-Elf noch nicht besiegelt. Aber: Das vorzeitige Aus könnte vor dem letzten Gruppenspiel am Mittwoch gegen Ungarn feststehen. Das würde passieren, wenn bis dahin mindestens vier andere Gruppendritte vier Punkte aufweisen. Die DFB-Elf könnte bestenfalls nur noch Gruppendritter mit maximal drei Punkten werden und würde so einen Platz unter den vier besten Gruppendritten verpassen.

Einen Vorteil hat die Löw-Truppe aber: Wenn die Partie in München angepfiffen wird, sind alle anderen fünf Gruppen abgeschlossen. Das könnte bei einer möglicherweise notwendigen Rechnerei helfen.

Bundestrainer Joachim Löw wirkte bei der letzten Ansprache vor dem Portugal-Spiel sehr engagiert.
Bundestrainer Joachim Löw wirkte bei der letzten Ansprache vor dem Portugal-Spiel sehr engagiert. © dpa

Sollte die K.-o.-Runde tatsächlich ohne deutsche Beteiligung stattfinden, haben Forscher aus Tübingen eine Empfehlung für die Krisenkommunikation: Die Spieler selbst sollten Stellung nehmen. Das Leibniz-Institut für Wissensmedien und die Universität Tübingen hatten nach dem Vorrunden-Aus bei der Weltmeisterschaft 2018 in Russland untersucht, wie Fans auf Facebook-Einträge der deutschen Auswahl sowie von Manuel Neuer und Thomas Müller reagierten.

Ergebnis: Die Spieler erhielten deutlich weniger negative Emojis als die Nationalmannschaft. Dies lasse sich unter anderem mit der sogenannten parasozialen Beziehung erklären. Damit werde das Verhältnis bezeichnet, das Menschen zu medialen Persönlichkeiten aufbauen.

Was Superstar Ronaldo noch fehlt

Europameister ist er schon, EM-Rekordteilnehmer und -torschütze seit dem 3:0 Portugals gegen Ungarn am Dienstag auch. Fünfmal gewann er die Champions League, ebenso oft den Ballon d’Or als bester Fußballer der Welt.

Dennoch hat die Vita von Cristiano Ronaldo noch immer einen Makel. Und den will der 36-Jährige am Samstag unbedingt loswerden: Der portugiesische Kapitän traf im Auswahltrikot schon gegen 34 verschiedene Nationalteams – doch gegen Deutschland ging er in bislang vier Versuchen leer aus. Das Beste daran: Die DFB-Auswahl ging auch immer als Sieger vom Platz.

Cristiano Ronaldo jubelt über den Sieg der Portugiesen gegen Ungarn. Mit seinen zwei Toren ist er nun der EM-Rekordtorschütze.
Cristiano Ronaldo jubelt über den Sieg der Portugiesen gegen Ungarn. Mit seinen zwei Toren ist er nun der EM-Rekordtorschütze. © dpa/Robert Michael

Wohl auch deswegen hält sich Ronaldo mit Kampfansagen zurück. „Jetzt ist es notwendig, so weiterzumachen und das nächste Spiel zu gewinnen“, sagte er nach dem 3:0 gegen Ungarn.

Sollte ihm nun am Samstag im fünften Anlauf ein Treffer gelingen, würde er zum bisherigen Länderspiel-Rekordtorschützen weiter aufschließen. Mit bislang 106 Toren liegt Ronaldo nur noch drei Tore vom iranischen Dauertorschützen und ehemaligen Bayern-Stürmer Ali Daei entfernt.

Wie Schland in Stimmung kommt

Mit Sommermärchenstimmung hatte der erste Auftritt der deutschen Mannschaft noch nicht viel gemein. Denn auch wenn die Übertragung des Spiels vereinzelt öffentlich und in Gemeinschaft zu erleben war, schoben doch die deutschen Corona-Schutzmaßnahmen der ganz großen Euphorie einer Fanmeile einen Riegel vor.

Doch das Potenzial dafür ist da. Für diese Erkenntnis reicht ein Blick auf die Einschaltquoten. Das Spiel gegen Frankreich verfolgten allein im ZDF 22,55 Millionen Zuschauer. Im Internet-Livestream des Mainzer Senders wurden zudem 3,89 Millionen Abrufe gezählt – der bislang höchste Wert in der Historie der ZDF-Mediathek.

Diese deutschen Fans konnten das Spiel gegen Frankreich live im Stadion verfolgen. Am Fernseher sahen insgesamt über 26 Millionen Menschen zu.
Diese deutschen Fans konnten das Spiel gegen Frankreich live im Stadion verfolgen. Am Fernseher sahen insgesamt über 26 Millionen Menschen zu. © Matthias Balk/dpa

In Summe – 26,44 Millionen Zuschauer – besteht das ZDF damit auch den Vergleich mit dem ersten DFB-Spiel bei der EM 2016 gegen die Ukraine. Damals schauten 26,62 Millionen Fans zu. Nicht zu vergessen: Bei den Zahlen vom vergangenen Dienstag fehlen noch jene, die die Partie beim Streamingdienst Magenta TV gesehen haben.

Was vorm Anpfiff noch wichtig ist

Zum 19. Mal trifft die DFB-Auswahl auf Portugal. Die Bilanz ist mit zehn Siegen, fünf Unentschieden und drei Niederlagen bei 33:16 Toren positiv. Im bisher letzten Aufeinandertreffen siegte Deutschland zum Auftakt der WM 2014 in Brasilien 4:0.

Vielleicht auch deshalb ist Deutschland beim Wettanbieter Bwin mit einer Quote von 1:2,3 leichter Favorit. Für einen portugiesischen Sieg gibt es bei einem Euro Einsatz 3,20 Euro zurück.

Dass auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wettet, ist nicht anzunehmen. Klar ist aber, dass sie die Partie nicht im Stadion verfolgen wird. Auf die Frage, ob sich die Kanzlerin das nächste Spiel am Wochenende anschauen werde, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Freitag: „Ja sicher. Aber nicht im Stadion.“

Eine Besonderheit des fünften EM-Aufeinandertreffens beider Teams ist Schiedsrichter Anthony Taylor. Der 42 Jahre alte Engländer pfeift zum ersten Mal ein Spiel der DFB-Auswahl und kommt bereits zum zweiten Mal im laufenden Turnier zum Einsatz.

Sein erstes Spiel war die Partie zwischen Dänemark und Finnland, die vom Zusammenbruch des Dänen Christian Eriksen überschattet wurde. (mit dpa, sid)

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