Von Frank Hellmann

Herzogenaurach. Wer mit wem? Lange herrschte einst Rätselraten bei der WM 2014 in Brasilien, wie wohl die Wohngemeinschaften im Campo Bahia bestückt sein könnten. Klar, es hatte Andeutungen gegeben: Philipp Lahm unter einem Dach mit Thomas Müller, Früh-ins-Bett-Geher Miroslav Klose mit Vielschläfer Roman Weidenfeller, und Kevin Großkreutz im selben Gebäude wie Bastian Schweinsteiger. Doch erst spät kam heraus, wie die exakte WG-Besetzung aussah.

Das Fragespiel geht sieben Jahre später in eine Neuauflage, wenn in nagelneu errichteten Gebäudekomplexen auf dem Adidas-Firmengelände in Herzogenaurach, neudeutsch „Home Ground“ genannt, der Geist vom Campo Bahia wiederbelebt werden soll. Noch ist nicht bekannt, welche Gruppen zusammenziehen. Klar ist nur: Wer mit Robin Gosens in einer Wohngemeinschaft lebt, hat eine Stimmungskanone im Haus.

Gosens sammelt Sympathiepunkte

Wann hat ein Nationalspieler zuletzt so entwaffnend ehrlich über sein erstes zählbares Erlebnis im Nationaltrikot berichtet wie der Deutsch-Niederländer in der digitalen Pressekonferenz nach dem 7:1 gegen Lettland? „Für mich war es der perfekte Abend. Meine Family war da. Es gab endlich mal wieder einige Zuschauer im Stadion. Ich habe eine Hütte geknipst. Da ist mir schon einer abgegangen, auch wenn es nur ein Freundschaftsspiel war“, schilderte der 26-Jährige mit entwaffnender Offenheit sein Erweckungserlebnis aus Düsseldorf, wo er mit einem satten Linksschuss unter die Latte das Schützenfest eröffnet hatte.

Der Gruß auf die Ränge galt in jenem Moment den Eltern, der Schwester, den zwei besten Freunden und vor allem der Verlobten, die sich alle unter die 1.000 Zuschauer gemischt hatten. Die Verwandtschaft dürfte gespürt haben, dass Gosens auch mit seiner Art des Fußballspielens Sympathiepunkte sammelte.

Gosens macht es wie Klose

„Zwei gute Länderspiele“, bescheinigte er sich selbst. Nach nur sechs Länderspielen hat er auf der linken Seite im 3-4-3-System erst mal die Nase vorn. Bei Atalanta Bergamo ist der Spätstarter auf exakt dieser Position fast schon ein Star. Elf Saisontore machen ihn zum Spekulationsobjekt, obwohl Gosens eine kolportierte Ablöse von 30 Millionen Euro als surreal empfindet.

Gosens ist einer, der nicht über die Nachwuchsleistungszentren oder die übliche Förderschule nach oben gekommen ist. Davon gibt es nur wenige Nationalspieler. Der gelernte Zimmermann Miroslav Klose, der sich über Umwege von der SG Blaubach-Diedelkopf über den 1. FC Kaiserslautern, Werder Bremen und Bayern München zum WM-Rekordtorschützen der Nationalelf nach oben kämpfte, ist bis heute die bekannteste Ausnahme.

Nun schickt sich der „dynamische Schienenspieler“, als der sich Gosens kürzlich selbst beschrieben hat, zumindest an, gegen Frankreich zum EM-Auftakt in der Startelf zu stehen. Einen großen Kopf macht er sich deswegen nicht, eher über ein vergleichsweise kleines Problem: „Jeden Tag ploppen gefühlt 20 Nachrichten auf meinem Handy auf wegen Tickets für die EM. Ich kann aber noch nicht sagen, wie viele wir kriegen.“

Gosens möchte Sportpsychologe werden

Zuletzt hat der Draufgänger, der in jungen Jahren ein Trikot von Thomas Müller im Fenster hängen hatte, herzhaft lachen müssen, als man ihn mit Lukas Podolski verglichen hat, obwohl er auf äußerliche Parallelen „nicht das erste Mal in meinem Leben“ angesprochen wurde.

Sonst könne er jedoch keine Gemeinsamkeiten erkennen, „aber seinen linken Huf, den hätte ich gern“, flachste Gosens, der als Linksverteidiger mitunter wie ein Linksaußen auftritt. „Poldi“ diente über Jahre als nahbarer Verbindungsmann zur Basis, weil er sich nie mit den üblichen Floskeln begnügte, sondern stets sagte, was er dachte. Gosens will seine authentische Ader später mal nutzen, um Psychologe zu werden.

Ziel könnte sein, nach dem Bachelorstudium auch noch den Master in Sportpsychologie zu machen. Er kann sich sogar vorstellen, nach der Karriere eine psychologische Praxis zu eröffnen, um Menschen zu helfen, die Probleme mit Druck und Angst haben. „Ich bin in einem Business, wo Einwirkungen von außen dazukommen.“ Wobei die EM seinen Erfahrungsschatz bestimmt noch mal erweitert, was vielleicht auch noch davon abhängig ist, mit wem er die nächsten Wochen in einer WG wohnt.

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