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Drama ohne Happyend - Deutsche Fußball-Frauen verpassen EM-Titel

Die deutschen Fußballerinnen unterliegen England im EM-Finale höchst unglücklich mit 1:2 nach Verlängerung. Die Kapitänin fehlt.

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Sie haben ein hervorragendes Turnier gespielt und am Ende doch verloren: Deutschlands Fußball-Frauen um Kathrin Hendrich.
Sie haben ein hervorragendes Turnier gespielt und am Ende doch verloren: Deutschlands Fußball-Frauen um Kathrin Hendrich. © dpa

Von Frank Hellmann

London. Es war 19.32 Uhr Ortszeit in London, als reihenweise die Spielerinnen in den grünen Trikots auf den heiligen Rasen sanken. Torhüterin Merle Frohms war dabei diejenige, die gar nicht mehr aufstehen wollte, aber auch viele ihrer Vorderleute weinten hemmungslos. Letztlich blieb ein großer Kampf der deutschen Fußballerinnen unbelohnt.

Im EM-Finale gegen England zogen die DFB-Frauen unglücklich mit 1:2 (1:1, 0:0) nach Verlängerung den Kürzeren. Im neunten Endspiel war es die erste Niederlage für den Rekordeuropameister. Das deutsche Ensemble kam in einem spannenden Showdon nach dem Rückstand von Ella Toone (56.) noch durch Lina Magull (79.) zurück, um die Verlängerung zu erzwingen. Dort allerdings sorgte die eingewechselte Chloe Kelly nach einer Konfusion im deutschen Torraum im Nachschuss für die Entscheidung (111.).

Zuschauerrekord: 87.192 - So viele Menschen waren noch nie bei einem EM-Spiel der Frauen im Stadion.
Zuschauerrekord: 87.192 - So viele Menschen waren noch nie bei einem EM-Spiel der Frauen im Stadion. © dpa/Sebastian Christoph Gollnow

Eine in London geborene Spielerin befreit England vom Trauma, 56 Jahre keinen großen Titel im Fußball gewinnen zu könne. Sofort dröhnte die Hymne „Football’s Coming Home“ gefühlt über die ganze Insel. Bei dem infernalischen Lärm konnten viele deutsche Protagonisten nur schwer ertragen, was sie gerade erlebt hatten.

Martina Voss-Tecklenburg eilte als Erstes zu der untröstlichen Frohms, um ihrer Nummer eins aufzuhelfen. Nur schwer schleppte sich die einzelnen Akteure durch das Spalier der Siegerinnen. In der Kabine von Wembley und später beim Bankett draußen der Grafschaft Hertfordshire waren nicht von der Bundestrainerin viele aufbauende Worte nötig.

Die Delegation wird sich damit trösten müssen, dass ein in vielerlei Hinsicht vorbildhaftes Ensemble bei diesem Turnier viel mehr erreicht hatte, als alle erwartet hatten. Dass es jetzt vor der gewaltigen Kulisse auf so unglückliche Art und Weise nicht mehr reichte, muss keinen groß grämen. Die Herzen von Millionen neuer Fans in der Heimat hat diese Gemeinschaft gewonnen.

Voss-Tecklenburg wird nicht müde zu betonen, dass für die Zukunft viel Qualität in dieser zusammengewachsenen Gemeinschaft steckt. Bereits im nächsten Sommer steigt die WM in Australien und Neuseeland. „Man wird im Leben Spiele verlieren. Wir sind die ersten, die dann fair gratulieren“, hatte die 54-Jährige zuvor gesagt.

Englands Ella Toone (l.) jubelt nach ihrem Treffer zum 1:0 mit ihren Teamkameradinnen.
Englands Ella Toone (l.) jubelt nach ihrem Treffer zum 1:0 mit ihren Teamkameradinnen. © Jonathan Brady/PA Wire/dpa

So wie das Vorprogramm mit der englischen Popsänger Betty Hill mit reichlich Knalleffekten begann, war das Auswärmen mit einem Schockmoment zu Ende gegangen: Ausgerechnet Kapitänin Alexandra Popp musste mit muskulären Problemen ganz kurzfristig passen, dafür rückte die am selben Tag zur „Fußballerin des Jahres“ gekürte Lea Schüller erstmals nach ihrer überstandenen Covid-Infektion in die Startelf. Ohne die sechsfache EM-Torschützin Popp fand das deutsche Team zunächst schwer in ein umkämpftes Finale.

Die Engländerinnen stellten das druckvollere Team, aber abgesehen von einem knapp über die Latte gesetzten Direktschuss seiner Rekordtorjägerin Ellen White (38.) hatte der Gastgeber kaum eine klare Chance. Die beiden besten Möglichkeiten resultierten auf der Gegenseite aus einem abgeblockten Schuss der präsenten Sara Däbritz (10.) und einem Durcheinander, an dem Abwehrchefin Marina Hegering beteiligt war (25.).

Sie musste verletzungsbedingt von draußen zu sehen: Deutschlands sechsfache EM-Torschützin Alexandra Popp.
Sie musste verletzungsbedingt von draußen zu sehen: Deutschlands sechsfache EM-Torschützin Alexandra Popp. © dpa

Ansonsten fehlte es beiden Finalisten zunächst an offensiven Lösungen. Dass die unsichere Schiedsrichterin Kateryna Monzul aus der Ukraine wiederholt bei der Zweikampfbewertung falsch lag, trug auch nicht gerade zum Spielfluss bei.
Zur Halbzeit ersetzte Tabea Waßmuth die kaum in Erscheinung getretene Jule Brand – und hatte auch gleich eine erste Chance aus spitzem Winkel, wobei die englische Torhüterin Mary Earps sicher hielt (48.). Dann spitzelte Magall den Ball mit der Fußspitze knapp am Tor vorbei (50.).

Keine Frage, die DFB-Elf war nun viel besser drin in diesem Showdown vor der elektrisierenden Kulisse. Englands Trainerin Sarina Wiegman reagierte mit der Hereinnahme von Alessia Russo und Toone, die promot sechs Minuten später nach einem Traumpass von Keira Walsh erst Kathrin Hendrich enteilte und dann unhaltbar den Ball über Frohms zum 1:0 in die Maschen hob.

Der Jubel ist groß bei Deutschlands Lina Magull und ihrenMitspielerinnen nach dem Tor zum 1:1.
Der Jubel ist groß bei Deutschlands Lina Magull und ihrenMitspielerinnen nach dem Tor zum 1:1. © dpa/Sebastian Christoph Gollnow

Doch die Gäste noch nicht geschlagen: Hatte Magull erst noch das Lattenkreuz getroffen (66.), machte es die technische starke Mittelfeldspielerin nach einem tollen Spielzug über die eingewechselten Sydney Lohmann und Waßmuth viel besser und traf mit links zum 1:1. Ein Ausgleich, den das deutsche Ensemble ausgiebig an der Eckfahne vor dem Block mit den vielen schwarz-rot-goldenen Fähnchen feierten.

In der Verlängerung passierte nicht viel – abgesehen von einer sehr unkonventionellen Fußabwehr von Frohms (107.). Die deutschen Abwehrreihen hatten sich bereits weiter ausgedünnt – für die angeschlagene Verteidigerin Hegering musste auch Sara Doorsoun noch ran. Vielleicht ein Faktor, dass nach einer Ecke von Lauren Hemp die Orientierung verloren ging. Der Ball prallte von Lucy Bronze zu Kelly – und die Siegtorschützin riss sich das Stück Stoff vom Leib wie einst Simone Laudehr beim deutschen WM-Triumph 2007 in China. Ein Bild, das im Mutterland des Fußballs nun für ewig in Erinnerung bleibt.