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Deutschland erlebt 0:6-Debakel in Spanien

So deutlich hat die Fußball-Nationalmannschaft fast 100 Jahre lang nicht verloren. Jetzt gibt es neue Debatten um Bundestrainer Löw und sein Personal.

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Die Köpfe der deutschen Spieler gehen nach unten wie bei Leon Goretzka und Niklas Süle, während die Spanier ihr nächstes Tor feiern. Am Ende sind es sechs Gegentreffer, die Deutschland kassiert.
Die Köpfe der deutschen Spieler gehen nach unten wie bei Leon Goretzka und Niklas Süle, während die Spanier ihr nächstes Tor feiern. Am Ende sind es sechs Gegentreffer, die Deutschland kassiert. © dpa

Sevilla. Demütigung statt Gruppensieg: Angstgegner Spanien hat einer führungslosen deutschen Nationalmannschaft zum Abschluss des komplizierten Corona-Jahres 2020 die höchste Niederlage in der Amtszeit von Joachim Löw beschert. Das 0:6 (0:3) im 189. Länderspiel des Bundestrainers war auch in der Höhe absolut verdient. Neben der im direkten Duell um Platz eins verpassten Qualifikation für das Finalturnier der Nations League war die Fußball-Lehrstunde auch ein heftiger Stimmungsdämpfer mit Blick auf das kommende EM-Jahr.

"Wir sind heute klar zurückgeworfen worden", sagte Löw in der ARD. Er rang um Worte und Fassung. "Es war ein rabenschwarzer Tag. Es hat nichts funktioniert. In jeglicher Beziehung war es schlecht." Der 60-Jährige vermisste "Körpersprache, Körperspannung, Zweikampfverhalten". Man müsse nun "die richtigen Schlüsse ziehen". Aufgeregte Debatten erwarten den Bundestrainer. "Die bitterste Niederlage war es nicht, aber eine der klarsten", sagte Toni Kroos nach seinem 101. Länderspiel.

Alvaro Morata (17. Minute), der dreimal erfolgreiche Ferran Torres (30./55./72.), Rodri (38.) und Mikel Oyarzabal (89.) trafen fast nach Belieben in dem aus deutscher Sicht gespenstischen Geisterspiel. Es war die höchste Niederlage seit 1931. Kapitän Manuel Neuer erlebte in seinem 96. Länderspiel, mit dem er zum alleinigen deutschen Rekordtorwart aufstieg, einen ganz bitteren Abend. Zuvor hatte er nie mehr als vier Treffer im DFB-Tor kassiert.

Torwart Neuer verhindert eine höhere Niederlage

"Das ist ganz enttäuschend für uns alle. Ich bin ein Teil der Mannschaft. Wir haben zusammen das Spiel vergeigt. Die Körpersprache und Kommunikation waren zu wenig. Wir hätten mehr sprechen müssen. Gerade nach dem ersten Tor. Es ist wichtig, dass man sich unterstützt. Für so ein Spiel gibt es keinen richtigen Zeitpunkt. Das ist einfach nur bitter. Wir müssen alle Spiele ernst nehmen", sagte Neuer nach dem Debakel.

Mit Blick auf die aussortierten Ex-Nationalspieler Thomas Müller, Mats Hummels und Jerome Boateng erklärte der Torwart: "Es ist der falsche Zeitpunkt nach so einer Niederlage über Spieler zu sprechen, die nicht dabei sind." Auch Löw und Auswahlmanager Oliver Bierhoff widersprachen in ihren ersten Reaktionen nach der Partie den immer lauten werdenden Forderungen, das erfahrene Trio zurückzuholen.

Der 34-jährige Neuer verhinderte sogar eine noch schlimmere Demütigung gegen eine gierige und spielerisch klar überlegene spanische Elf. Die Gastgeber zogen in der Tabelle der Gruppe 4 mit elf Punkten an Deutschland (9) noch vorbei. Spanien steht damit neben Weltmeister Frankreich als Teilnehmer am Final-4-Turnier im Oktober 2021 fest.

"Die große Herausforderung heißt gegen Spanien, wie verteidigt man sie?", sagte Löw vor dem Anpfiff in der ARD. Das war im Nachhinein eine fast prophetische Aussage. Die Defensivarbeit war über 90 Minuten desolat. Dabei schien es eine gute Nachricht zu sein, dass Niklas Süle nach Knieproblemen doch auflaufen konnte. Aber der Abwehrchef war überfordert wie alle andere. Eine Lehrstunde erlebten auch die unerfahrenen Verteidiger Robin Koch und Philipp Max.

Es war das Rekordspiel für Manuel Neuer, 96 Länderspiele hat kein anderer deutscher Torwart absolviert. Er wird es lange in Erinnerung behalten, in unguter.
Es war das Rekordspiel für Manuel Neuer, 96 Länderspiele hat kein anderer deutscher Torwart absolviert. Er wird es lange in Erinnerung behalten, in unguter. © dpa

Ernüchternd war, dass von Führungskräften wie Toni Kroos und Ilkay Gündogan im Mittelfeld überhaupt kein Widerstand oder Ideen kamen. "Das Problem ist, dass wir keinen Zugriff bekommen haben. Spanien hat es uns vorgemacht. Plan war, kompakt zu stehen. Es lag nicht an der Taktik. Das Spiel müssen wir natürlich analysieren auch Richtung Turnier. Allerdings treffen wir uns nur im März. Es ist noch einiges zu tun", sagte der enttäuschende wie enttäuschte Kroos.

Aber auch der hochgelobte deutsche Turbo-Angriff mit Timo Werner, Serge Gnabry und Leroy Sané konnte sich bei der ersten Niederlage des Jahres nie in Szene setzen. Erst in der 77. Minute gab es eine Torchance, als Gnabry aus der Distanz abzog. "Wir können froh sein, dass es 4:0 steht. Ich bin sprachlos", sagte ARD-Experte Bastian Schweinsteiger als fassungsloser Beobachter der einseitigen Partie, die einen Klassenunterschied offenbarte.

Nichts ging bei Löws Team, dass ohne einen Mentalitätsspieler wie den am Knie verletzten Joshua Kimmich von Anfang an wehrlos war. In der 5. Minute hatten die Gäste noch Glück, dass es in der Nations League keinen Videobeweis gibt. Gündogan traf den Leipziger Dani Olmo am Fuß, der Schiedsrichter gab Freistoß, aber das Foul war im Strafraum.

Kein Aufbäumen, nicht mal Schadensbegrenzung

Die Spanier verloren früh Sergio Canales durch eine Verletzung. Aber der für ihn eingewechselte Fabian bereitete als Eckballschütze gleich das Führungstor von Morata vor. Der groß gewachsene Stürmer von Juventus Turin übersprang am langen Pfosten Gnabry, der dort niemals sein Gegenspieler hätte sein dürfen. Die Spanier konnten ungestört angreifen und spielten sich in einen Rausch. Nach einer Flanke von Koke köpfte Olmo an die Latte, Ferran Torres vollendete. Eine weitere Ecke von Fabian konnte Rodri ungehindert zum 0:3-Pausenstand einköpfen.

Auch nach der Pause erfolgte kein Aufbäumen. Und nicht einmal eine Schadensbegrenzung gelang. Der herausragende Ferran Tores von Manchester City konnte bei seinem zweiten Treffer einen Konter über José Gaya mühelos abschließen. Dann machte er gegen eine deutsche Elf in Auflösung seinen Dreierpack perfekt.

Die von DFB-Direktor Bierhoff beschriebene "dunkle Wolke", die sich nach den Siegen gegen Tschechien (1:0) und die Ukraine (3:1) zu verziehen schien, schwebt zum Jahresende wieder über der Nationalmannschaft und auch Löw. Sie schleppt der Bundestrainer mit in die viermonatige Winterpause. (dpa)