Die kontroverse Debatte unter den Dynamo-Fans

Dresden. Den Spitzenplatz hat Dynamo verpasst. Bis zu 16.000 Zuschauer hätten den 2:1-Sieg der Dresdner gegen Paderborn am Freitagabend live im Rudolf-Harbig-Stadion erleben dürfen. Das wäre der Bestwert am vergangenen DFB-Pokal-Wochenende gewesen. Doch die offizielle Zahl von 12.702 liegt deutlich darunter und die SGD in diesem Ranking auf Platz drei, was für manche Fans besonders ärgerlich sein dürfte, weil mit Hansa Rostock und dem 1. FC Magdeburg zwei alte Ost-Rivalen mit 15.000 Besuchern davor stehen.
Das mag wie eine Zahlenspielerei wirken, dahinter steckt jedoch eine kontroverse Debatte. Vor der Corona-Pandemie wäre die Erstrundenpartie gegen einen Ligakonkurrenten vermutlich auch nicht ausverkauft gewesen, aber dass bei Dynamo das verfügbare Kontingent nicht abgerufen wird, ist außergewöhnlich. Dabei hatten sich Anhänger wie Verein nach dem Start in der zweiten Liga über die strengen Abstandsregeln beschwert, wegen der das RHS beim 3:0-Erfolg gegen Ingolstadt mit nur 7.102 Zuschauern ausverkauft war.
Gesundheitsamt genehmigt geringere Abstände
„Wir können aufgrund aller Bestimmungen und Richtlinien eine solch geringe Gesamtkapazität, wie wir sie gegen Ingolstadt erlebt haben, nicht mehr nachvollziehen“, hatte Dynamos kaufmännischer Geschäftsführer Jürgen Wehlend danach gesagt und von der Politik „klare Perspektiven und lebensnahe Entscheidungen“ gefordert. Tatsächlich lockerte das Dresdner Gesundheitsamt die Vorgaben, wie Amtsleiter Frank Bauer auf Anfrage der SZ bestätigt. Demnach sei das Hygienekonzept dahingehend angepasst worden, „dass die Abstände zwischen den Clustern verringert und durch ordnende Kräfte die Einhaltung der Hygienemaßnahmen, wie beispielsweise das Tragen des Mund-Nasen-Schutzes bis zum Erreichen des Platzes, kontrolliert und durchgesetzt wird“.
Dynamo zeigt sich dankbar, Sprecher Henry Buschmann nutzte die Pressekonferenz zum Spiel, um den Standpunkt des Vereins zu verdeutlichen und für den Kartenverkauf zu werben. „Natürlich würden wir uns wünschen, dass noch viel, viel mehr Leute ins Stadion kommen. Das ist leider gegenwärtig nicht möglich“, sagte er – und weiter: „Trotzdem freuen wir uns, dass das Gesundheitsamt einen weiteren Schritt getan und Mut bewiesen hat.“
Botschaft der Fans: „Seid ihr noch ganz sauber?!“
Doch das sehen nicht alle so. In der Meinung zur zahlenmäßig begrenzten Rückkehr ins Stadion sind die Fans gespalten, wobei die aktive Szene wie die Ultras die Einschränkungen mindestens infrage stellt. So wurde am Freitag ein Transparent gezeigt: „Nur 1.000 Plätze im K-Block, seid ihr noch ganz sauber ?! Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg!“ Dort, wo sonst 9.000 Stimmungsmacher stehen, dürfen nur Fanclubs und Freundesgruppen zu je maximal vier Personen in die „Boxen“.
Eine „Interessengemeinschaft Dynamo“ versucht zudem, mit dem Slogan „Alle oder keiner“ Druck aufzubauen, in erster Linie auf die Vereinsspitze. Ihre Ansage trifft aber eben auch jene, die trotz der GGG-Regel (Geimpft, Genesen, Getestet) auf den Stadionbesuch und das Liveerlebnis nicht länger verzichten wollen. Und auch sie können für eine besondere Atmosphäre sorgen, wie in den ersten beiden Heimspielen nach den Geistermonaten zu erleben war. So bildete sich eine – allerdings wohl nicht coronakonforme – Stimmungsgemeinschaft auf der dem K-Block gegenüberliegenden Dixie-Dörner-Tribüne. Es ist davon auszugehen, dass die aktive Fanszene diesen Seitenwechsel mindestens initiiert hat und auch Ultras dabei waren.
Trainer Schmidt: Das hat uns getragen
Wie wichtig die Unterstützung von außen ist, betonen Trainer und Spieler gleichermaßen. Für Vizekapitän Yannick Stark ist sie „ein entscheidender Faktor“, man sei „noch mehr angefixt“ als in einem leeren Stadion. „Es hat jedem wehgetan, ohne Fans zu spielen, mit ihnen spielen wir auf einem höheren Niveau“, meint Brandon Borrello nach dem Sieg gegen Paderborn: „Ich glaube, sie sind stolz auf uns und wir sind dankbar, dass sie im Stadion sind.“ Das Zusammenspiel zwischen denen dort oben und denen da unten funktioniert auch unter Corona-Bedingungen. „Es ist eine Stärke von Dresden: Wenn du auf dem Platz alles gibst, stehen die Leute hinter dir“, beschreibt Borrello die Wechselwirkung.

„Das hat uns getragen, speziell in der Phase, in der wir uns stark wehren mussten gegen aufkommende Paderborner“, sagt auch Alexander Schmidt – und der Chefcoach erklärt: „Jede Stimme war wichtig. Die Zuschauer haben ein Gefühl für die Situation. Riesenkompliment an die Fans.“ Und mit dem Siegtor von Julius Kade kurz vor Schluss sei „das Stadion explodiert“, meint Tim Knipping – und der Kapitän fügt hinzu: „Ich hatte Gänsehaut, das haben wir fast ein Jahr lang vermisst.“
Zuletzt waren im September 2020 beim Pokalspiel gegen den Hamburger SV sowie in der 3. Liga gegen Mannheim mehr als 10.000 Zuschauer im Dresdner Stadion. Das ist für den Verein auch ein wirtschaftlicher Faktor. Jedes Geisterspiel schlug mit einem Einnahmeverlust von rund 300.000 Euro zu Buche, erst ab 10.000 Zuschauern wird es für Dynamo kostendeckend. Es gibt also eigentlich keinen Interessenkonflikt zwischen Verein und Fans, sondern beiden geht es darum, „so schnell wie möglich unser Stadion wieder voll auslasten“ zu können, wie es Wehlend zusammenfasst.
Vorerst aber gilt es, sich unter Pandemie-Bedingungen vorsichtig ranzutasten an eine höhere Kapazität. Die Auswertung, wie die Lockerungen gegen Paderborn funktioniert haben, steht zwar aus, aber nach der ersten Einschätzung durch das Gesundheitsamt gelten für das Heimspiel gegen Hannover 96 am Samstag die gleichen Vorgaben. Der Vorverkauf startet am Dienstag.