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Dynamo: Unstimmigkeiten vor dem Bruderduell

Am Sonntag trifft Dresden auf Bremen und Sebastian Mai auf Lukas: Nicht nur die Karrieren der Geschwister verlaufen sehr unterschiedlich, ihre Tipps sind es auch.

Von Daniel Klein
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Ein emotionaler Moment: Am Rande des Pokalspiels präsentieren am 22. Dezember 2020 Sebastian (l.) und Lars Lukas Mai (damals bei Darmstadt 98) ein Trikot, das sie der einen Monat zuvor verstorbenen Mutter geschenkt hatten.
Ein emotionaler Moment: Am Rande des Pokalspiels präsentieren am 22. Dezember 2020 Sebastian (l.) und Lars Lukas Mai (damals bei Darmstadt 98) ein Trikot, das sie der einen Monat zuvor verstorbenen Mutter geschenkt hatten. © Lutz Hentschel

Dresden. All die Anfragen und das große Interesse machen eine Sonderschicht unerlässlich. Neben dem Training muss Lukas Mai am Donnerstagmittag in Bremen also eine mediale Extraeinheit absolvieren – erst bei einer Pressekonferenz, dann bei einem Live-Chat. Bei dem war auch sein sechs Jahre älterer Bruder Sebastian zugeschaltet.

Am Sonntag kommt es in Dresden zum Duell der Geschwister. Es ist ein besonderes, aus mehreren Gründen. Deshalb dreht sich bei den Fragen fast alles um die Beziehung zwischen den beiden, um Heimat, Familie, um die gemeinsame Vergangenheit. Und deshalb wird dieses Duell zwischen dem Erstliga-Absteiger Werder und dem Zweitliga-Aufsteiger Dynamo für beide ein „absolutes Highlight.“ In diesem Punkt herrscht Einigkeit.

In anderen nicht. Als sie gefragt werden, wer von ihnen das größere Talent besaß, zeigen beide auf den jeweils anderen, was beim Dynamo-Kapitän zu lautstarkem Protest führt. „Weil ich talentierter war, bin ich bei Dynamo geblieben und du bist mit der U17 des FC Bayern deutscher Meister geworden – schon klar“, sagt Sebastian mit ironischem Unterton und winkt ab.

Die Karrieren verliefen bei allen Gemeinsamkeiten – beide sind Innenverteidiger, beide tragen die Rückennummer 26 – sehr verschieden. Den Ausgang nahmen sie bei Dynamo. Während Sebastian vor acht Jahren den Verein verließ, weil er keine Chance sah, sich bei den Profis durchzusetzen und erst über die Stationen Chemnitz, Zwickau, Münster und Halle im Sommer 2020 zu seinem Heimatverein zurückkehrte, wechselte Lukas mit 14 zum FC Bayern. „Er hatte in Dresden keine Herausforderung mehr, wäre stehen geblieben“, erinnert sich Sven Guder, bei Dynamos E-Jugend sein Trainer und eine Art Entdecker. „Er hob sich ab von den anderen durch seinen Ehrgeiz, seinen Fleiß und seine Verbissenheit. Er war nie zufrieden, selbst nach Siegen nicht, wollte immer besser werden.“

Im Mai 2017 besucht Lukas Mai seine beiden Ex-Trainer Tobias (l.) und Sven Guder, die da im Nachwuchs des VfL Pirna-Copitz arbeiten.
Im Mai 2017 besucht Lukas Mai seine beiden Ex-Trainer Tobias (l.) und Sven Guder, die da im Nachwuchs des VfL Pirna-Copitz arbeiten. © Sven Simon

Mit dieser Einstellung schafft er es bis in die Bundesliga. Unter Jupp Heynckes bestreitet er zwei Partien über 90 Minuten. Da ist Lukas 18. „Ich hatte ihm vorher gesagt, dass er ruhig Fehler machen darf. Aber er hat keine gemacht. Mir imponiert an ihm, dass er unaufgeregt ist, sachlich spielt, kopfballstark ist und eine relativ gute Spieleröffnung hat“, erklärt Heynckes nach dem Debüt des A-Jugendlichen, der umgehend einen Profivertrag erhält. Es bleiben bisher seine einzigen Bundesliga-Einsätze, in der Saison darauf spielt er mit der zweiten Mannschaft der Münchner in der 3. Liga – und trifft dort auf den Halleschen FC und seinen Bruder. Beide Duelle gewinnen die Bayern, beim Hinspiel erzielt Lukas auch noch den Siegtreffer. „Ich glaube, dass kränkt ihn immer noch ein bisschen“, sagt der 21-Jährige.

In der vorigen Saison kommt es erneut zum Bruderduell, wieder gewinnt der Jüngere. Doch beim DFB-Pokalspiel zwei Tage vor Heiligabend ist Sebastian am Knie verletzt und Lukas an Darmstadt 98 ausgeliehen. Für beide ist es trotzdem ein emotionaler Abend. Am Rande der Partie zeigen sie ein Trikot, dass sie ihrer Mutter, die einen Monat vor dem Pokalspiel gestorben war, zum Geburtstag geschenkt hatten. „Sie hat vier Jahre tapfer gegen den Krebs gekämpft“, erzählt Sebastian später. „Es war der perfekte Zeitpunkt, das Trikot mit ins Stadion zu nehmen.“

Am Sonntag werden Vater Lars Mai, bis 2017 Aufsichtsratsmitglied bei Dynamo, und die 15-jährige Schwester Sonja auf der Tribüne sitzen. „Die Mutti drückt von oben die Daumen“, ist Lukas überzeugt. Die familiäre Bande ist eng, die Brüder telefonieren oft, um Fußball geht es da aber selten und in den vergangenen Tagen noch weniger. „Es wäre doch bescheuert, wenn ich Lukas nach Werders Standardvarianten oder so ausfragen würde“, findet Sebastian. Während der 90 Minuten seien sie sportliche Gegner, nach dem Abpfiff ist der Trikottausch schon fest vereinbart. Wer vom jeweils anderen mehr Trikots in seinem Schrank hat – auch darüber gibt es Unstimmigkeiten.

Das von Werder Bremen fehlt in der Sammlung von Sebastian noch. In dieser Saison wurde sein Bruder vom FC Bayern, wo er noch einen Vertrag bis 2023 besitzt, an den Absteiger ausgeliehen. Ob Lukas jemals nach München zurückkehren wird, ist ungewiss. „Ich denke, er hat alle Voraussetzungen, noch einiges zu erreichen, wenn er vom Kopf her klar bleibt. Und das wird er“, meint Sebastian. Schon jetzt hat Lukas einiges erreicht und Titel gesammelt: in der Champions League, im DFB-Pokal und zweimal in der Meisterschaft, selbst wenn sein Anteil an den Erfolgen eher gering war.

Im Vergleich dazu fällt die Titelsammlung des älteren Bruders spärlich aus: Regionalliga-Meister mit Zwickau und Drittliga-Meister mit Dynamo – das war es schon. „Uns verbindet, dass wir ehrgeizige Typen sind, Gewinnertypen. Aber Sebastian ist auf dem Platz der Stur- und Hitzkopf, ich bleibe da eher ruhig“, erklärt Lukas, der in Dresden den Spitznamen „Lucki“ bekommen hatte.

Vor drei Wochen, während der Länderspielpause, war er das letzte Mal in der Heimat, hat seinen Bruder besucht. Der besitzt seit vier Jahren eine Wohnung in Briesnitz, in dem Stadtteil, wo beide aufwuchsen. Lukas kann sich vorstellen, irgendwann zurückzukehren – auch zu Dynamo. „Es ist ein Traum von mir, noch mal für diesen Verein zu spielen. Gemeinsam mit Sebastian wird das aber wohl nicht mehr klappen“, vermutet er.

Am Ende des Chats sollen beide noch tippen: „3:0 für uns“, sagt Lukas. „2:0 für uns“, kontert Sebastian. Schon wieder sind sie sich nicht einig.