Dynamos Torhüter mit Kult-Potenzial

Dresden. Es wird schnell von einem besonderen Spiel gesprochen, wenn ein Fußballer auf seinen Ex-Verein trifft. Natürlich ist das jetzt nicht anders, schließlich hat Dynamos Torwart Kevin Broll fast seine gesamte Jugendzeit bei Waldhof Mannheim verbracht, 13 Jahre insgesamt, wie er berichtet. Schon sein Papa Christof war Torhüter, sein knapp zwei Jahre älterer Bruder Dennis auch. Das wurde schließlich zu einem Problem, als Kevin aus dem Nachwuchs zum Profi-Team kommen sollte.
„Dennis hatte einen Vertrag, ich hätte einen unterschreiben können“, erzählt er, aber: „Er stand im Tor, ich wollte mich nicht mit ihm duellieren auf dieser Position.“ Also entschied er sich, zum FC Homburg zu gehen. Eine wertvolle Erfahrung. „Es waren sehr erfahrene Leute dort, ich musste mich erst mal durchboxen“, sagt er – und: „Mich benehmen, die Jungs haben mich auch ein bisschen erzogen.
"Das Kuriose: Am letzten Spieltag der Regionalliga-Saison 2014/15 kommt es doch zum einem Bruder-Duell. Kevin für Homburg, Dennis für Mannheim. Wer gewonnen hat? „Ich“, sagt der Jüngere und grinst. Mit 1:0. „Das war schon lustig, wir haben uns vorher keines Blickes gewürdigt und hinterher gesagt, was wir eigentlich für Idioten sind. Man hat halt den Ehrgeiz, es dem Bruder zu zeigen.“
Emotionalität passt zu Dresden
Inzwischen hält Dennis Broll bei Fortuna Heddesheim in der Verbandsliga und hat seine Profi-Karriere abgehakt, während Kevin mit Dynamo einen neuen Anlauf in Richtung zweite Liga nimmt. Der 25-Jährige, der von sich selbst sagt, ein Klare-Kante-Typ zu sein, hat schon deshalb das Potenzial zum Publikumsliebling, weil er nach dem Abstieg geblieben ist. Er habe sich angehört, wen der neue Sportgeschäftsführer Ralf Becker, Chefscout Kristian Walter und Trainer Markus Kauczinski für den Neuanfang holen wollen. „Da waren ein paar bekannte Namen dabei, die Qualität und Mentalität mitbringen“, meint Broll – und fühlt sich bereits bestätigt. „Wir sind schon eine kleine Einheit, stehen und kämpfen auf dem Platz zusammen.“
Das neue Team zeigt einen besonderen Charakter.

Mit Broll hat Dynamo wieder einen Torhüter, der Kult-Status erlangen kann. „Ich würde mich schon als so verrückten, giftigen Affen im Tor beschreiben“, sagt er über sich selbst und meint seine Emotionalität, die perfekt zu Dresden passt. Die Ausschläge hat er gleich in seinem ersten Jahr miterlebt. Er hat sich gewundert, wie schnell sie ausgepfiffen wurden, als sich die sportliche Krise gerade erst anbahnte. „Wir waren stets bemüht, aber es ist nichts dabei rumgekommen“, sagt er jetzt über die Phase im Herbst vorigen Jahres.
Broll war aber auch „peinlich berührt“, wie die Fans zur Mannschaft standen, als sie den Corona-Umständen zum Trotz um den Klassenerhalt kämpfte – vergebens. „Es war schon krass, als sie vor dem Stadion standen und uns angefeuert haben. Egal, was passiert, sie stehen hinter uns.“
Sie brauchen aber auch Identifikationsfiguren, Charakterköpfe. Typen wie Broll, die Leistung bringen, nahbar und bodenständig sind. Torhüter scheinen dafür prädestiniert zu sein, wie Dynamos jüngere Vereinsgeschichte nahelegt. Zu Bundesliga-Zeiten war es Stanislaw Tschertschessow. Der Russe war für seine Paraden genauso berühmt wie für spektakuläre Aussetzer. Für den größten Lacher sorgte er ausgerechnet an seinem 31. Geburtstag, als er versuchte, den Ball zu jonglieren. Stefan Effenberg stibitzte ihm jedoch die Kugel und erzielte das 2:0 für Mönchengladbach. „Ja, da habe ich Mist gebaut“, erinnert sich Tschertschessow und kann über den Lapsus herzlich lachen. „Damals habe ich auch gelacht. Es war ganz klar mein Fehler, aber davon geht die Welt nicht unter.“

Die Fans nahmen ihm das jedenfalls nicht krumm, genauso wenig wie später Ignjac Kresic den Fauxpas im Zweitliga-Heimspiel gegen 1860 München im April 2005. Die Partie ging mit 0:4 verloren, sein Fehlgriff war also nicht spielentscheidend. Trotzdem schimpfte der Kroate danach wie ein Rohrspatz, der Platz sei seit 14 Tagen nicht gewalzt worden, deshalb der Ball unverhofft gesprungen. Solche Bedingungen seien „amateeerhaft“. Allein für das langgezogene E hatten ihn alle wieder lieb. Zumal er mit Dynamo die dunkelste Zeit in der Amateuroberliga durchgestanden und danach den doppelten Aufstieg bis in die zweite Liga geschafft hatte.
Benny Kirsten zeigt es den Skeptikern
Ein Vergleich ist schwierig, aber Broll steht jetzt in einer ähnlichen Situation zum Verein. Wie nach dem Abstieg vor sechs Jahren Benjamin Kirsten. Als er 2008 nach Dresden kam, hieß es, das sei ein Freundschaftsdienst von Sportchef Ralf Minge für seinen Kumpel Ulf, ein Bonus für den Namen. Kirsten junior hat es den Skeptikern gezeigt, zunächst jedoch für einen Skandal gesorgt. Nach dem Sieg im Sachsenpokalfinale 2009 mit der zweiten Mannschaft rannte er mit einem bengalischen Feuer durchs Leipziger Zentralstadion.
Kommt bei den Ultras gut an, beim Sportgericht weniger: zwei Monate Spielverbot, dazu 4.000 Euro Strafe und eine Abmahnung vom Verein. Er habe Grenzen ausgetestet, erzählt Benny Kirsten im Interview für das Dynamo-Saisonmagazin Schwarz-Gelb. „Ich stamme aus einem Haus, in dem Fußball emotional gelebt wird.“ Er setzt sich mit Leistung durch, allein in der Saison 2012/13 hält er vier Elfmeter und Dynamo bleibt mit ihm als Nummer eins in der zweiten Liga. Doch als Uwe Neuhaus 2015 Trainer wird, muss Kirsten gehen. Das sei gewesen, als hätte sich die erste Freundin von einem getrennt, sagt er rückblickend.

Dynamo setzt nach Kirsten auf Leihgaben: erst Jannis Blaswich, dann Marvin Schwäbe; zwei talentierte, fußballerisch starke Torhüter, die jedoch von den Rängen kritisch beäugt werden. Markus Schubert, der Junge aus dem eigenen Nachwuchs, der selbst als Fan im K-Block stand, hätte das Zeug gehabt zum Volkshelden. Stattdessen fiel er bei den Anhängern in Ungnade, als er im April 2019 seinen Abschied bekannt gab und zu Schalke 04 ging. Emotionale Ausschläge.
Und Broll? Erst der Depp, dann wieder der Held? Er kann mit dem Dresdner Gefühlsbarometer umgehen. „Ich weiß, wie es umspringen kann von der Euphorie. Läuft es nicht, spürt man es auch“, sagt er. Aber das wollen sie vermeiden – erst recht gegen Mannheim. Insofern ist das für Broll doch nur ein ganz normales Spiel.
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