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Deutschland ist raus: Erste Debatten im WM-Schockzustand

Nach dem WM-Desaster wollen Flick, Bierhoff oder Neuer nur noch schnell weg aus Katar. Im Schockzustand werden erste Debatten geführt, aus England kommt Spott. Und was sagt der DFB-Chef?

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Das wars: Deutschlands Spieler gehen nach dem Ausscheiden aus dem Turnier aus dem Stadion.
Das wars: Deutschlands Spieler gehen nach dem Ausscheiden aus dem Turnier aus dem Stadion. © dpa/Federico Gambarini

Al-Chaur. Weit nach Mitternacht verließ der riesige DFB-Tross eskortiert von der katarischen Polizei mit zwei großen Teambussen und Begleitfahrzeugen den nächsten Schreckensort des deutschen Fußballs. Vier Jahre nach dem historischen Vorrunden-Aus bei der Weltmeisterschaft im russischen Kasan steht der staubige Wüstenort Al-Chaur für das nächste blamable WM-Scheitern der Nationalmannschaft schon nach der Gruppenphase.

Hansi Flick saß nach dem 4:2 (1:0)-Sieg gegen Costa Rica, das wegen Spaniens im Kreise des DFB unerwarteter Niederlage gegen Japan (1:2) nicht zum Weiterkommen ausgereicht hatte, bei der Abfahrt aus dem Al-Bait-Stadion mit versteinerter Miene im zweiten Bus. Der 57-Jährige sprach mit DFB-Direktor Oliver Bierhoff, der auf der anderen Seite des Ganges Platz genommen hatte.

Im Stadion war zuvor immer wieder das Wort "Wut" zu hören, aber auch Selbstanklagen. "Wir sind selber schuld", sagte Serge Gnabry, dessen 1:0 am Ende eines surreal anmutenden Abends ebenso wertlos war wie die Treffer der eingewechselten Kai Havertz (2) und Niclas Füllkrug.

Zerplatzte Träume: Ein Fan Deutschlands nach dem Spiel.
Zerplatzte Träume: Ein Fan Deutschlands nach dem Spiel. © dpa/Christian Charisius

Auf Flick und Bierhoff - die Verantwortlichen im sportlichen Bereich - richtet sich jetzt der Fokus. Beide hatten noch im Schockzustand des nächsten Turnier-Desasters deutlich gemacht, dass sie ihre Arbeit fortsetzen wollen, die Heim-EM 2024 ihr nächstes Ziel sein soll. "Mir macht es Spaß. Wir haben eine gute Mannschaft", sagte Flick.

Er will das ausgerufene und weit verfehlte Ziel Titelgewinn sowie die klar verpasste Rückkehr in die Weltspitze "sehr, sehr schnell" aufarbeiten. "Ich bin immer einer, der sehr kritisch ist, und das wird auch in die Analyse mit einfließen", sagte er. Die werde sehr zeitnah erfolgen.

Bierhoff schloss persönliche Konsequenzen aus. "Ich habe ein sehr gutes Gefühl für mich", sagte der 54-Jährige. Dass aber auch er infrage gestellt wird, war ihm als erfahrenem Profi in der Nacht zum Freitag natürlich sehr wohl bewusst. "Leider habe ich keine Argumente mit drei schlechten Turnieren, die ich dagegenhalten könnte", sagte er.

WM-Vorrunden-Aus 2018, EM-Achtelfinal-Aus 2021, WM-Vorrunden-Aus 2022 - die so stolze Fußball-Nation Deutschland, dekoriert mit vier WM-Titeln und drei EM-Titeln, hat das Gütesiegel Turniermannschaft endgültig verloren. Auch Flick konnte das Potenzial des 26-köpfigen WM-Kaders nicht heben. Er fand im Turnier nach dem Fehlstart gegen Japan nie seine Wunschelf, in der Personalauswahl vercoachte er sich gleich mehrfach - besonders das Festhalten an Thomas Müller wirkte fatal. Flick lieferte zahlreiche Angriffspunkte.

"Wir haben alle einen sehr großen Teil dazu beigetragen, dass wir nach Hause fahren", sagte der Bundestrainer, der wie Bierhoff beim DFB noch eine Vertragslaufzeit bis 2024 hat. In der Nacht wurde nicht nur auf dem Rückweg ins abgelegene Teamquartier im Norden Katars intensiv geredet.

Britische Legende spottet über deutsches Aus

Spott kam derweil von der Insel: Englands Fußball-Legende Gary Lineker ergänzte seinen berühmten Spruch "Fußball ist ein einfaches Spiel. 22 Männer jagen 90 Minuten einen Ball und am Ende gewinnen immer die Deutschen." Lineker ergänzte um "Wenn sie es durch die Gruppenphase schaffen" und teilte den Spruch bei Twitter zu einem Video, bei dem er herzlich und lautstark über das Vorrundenaus der DFB-Elf bei der WM in Katar lacht.

Warten auf ein Statement vom DFB-Chef

Der nicht mit nach Al-Ruwais gefahrene DFB-Präsident Bernd Neuendorf wird am Freitag vor dem Heimflug der Nationalmannschaft von Doha nach Frankfurt noch ein Statement vor den Medien abgeben. Dann könnte der 61 Jahre alte Verbandschef, der erst knapp neun Monate im Amt ist, eine erste Tendenz aufzeigen, wie die Zukunft gestaltet werden soll.

Ein einfaches "Weiter so" wie 2018 mit dem damaligen Bundestrainer Joachim Löw und Bierhoff an der Spitze kann sich der Verband mit Blick auf die Heim-EM kaum leisten. Auch über die Spieler muss intensiv diskutiert werden. Wer hat eine Perspektive? Mit wem ist der Neubeginn sinnvoll? Der 33-jährige Müller war kurz nach dem Spiel am nächsten an einer Rücktrittserklärung. Er möchte aber erst noch mit seiner Frau reden, ebenso mit Flick.

Kapitän Manuel Neuer (36) will, "soweit ich eingeladen werde und meine Leistung zeige", weitermachen. Am tiefsten getroffen schien Joshua Kimmich, der Anführer der Generation 1995/96, der tief in seine verwundete Seele blicken ließ. "Wir fahren wieder nach Hause. Dementsprechend habe ich ein bisschen Angst davor, echt in ein Loch zu fallen", sagte der 27 Jahre alte Bayern-Profi in der Interview-Zone des Stadions mit feuchten Augen: "Für mich ist es echt, würde ich sagen, der schwierigste Tag meiner Karriere." Noch schwieriger als in der Nacht von Kasan 2018. (dpa)

Internationale Pressestimmen

Großbritannien:

  • "Guardian": "Deutschland ist in einer Horror-Wiederholung der WM 2018 zu einem frühen Aus verurteilt"
  • "Daily Mail": "Sie denken, der Ball ist über der Linie...aber er ist es NICHT! Die deutschen Herzen werden gebrochen, als sie aus der WM geworfen werden, nachdem das japanische Tor gegen Spanien zählt - der Ball ist mit der kleinsten Spanne im Spiel"
  • "Daily Star": "Auf Wiedersehen (auf deutsch): Die Deutschen sind raus bei der WM, nachdem Japan ein kontroverses Tor erzielt, das fragwürdig aussieht - aber wen interessiert's"
  • "Telegraph": "Einst gab es eine Luft der Überlegenheit um das deutsche Nationalteam, die mutmaßlichen Meister des Turnierfußballs. Nicht mehr. Bei zwei aufeinanderfolgenden Weltmeisterschaften wurden sie aus der Gruppenphase befördert von Teams, die basierend auf ihrem Fußballerbe, kein Recht haben, die Deutschen zu verärgern."
  • "The Times": "Der Ball bleibt drin... Deutschland fliegt raus" (mit Bezug auf das zweite japanische Tor)

Schweiz:

  • "Neue Zürcher Zeitung": "Die nächsten Wochen werden zeigen, wie der DFB gedenkt, diese Krise zu bewältigen. Nach dem Scheitern von Joachim Löw in Russland entschied man sich dafür, die Sache auszusitzen. Nun stellt sich heraus: Es waren seither viereinhalb verlorene Jahre."
  • "Tagesanzeiger": "Die Blamage und das Debakel sind perfekt für eine Mannschaft, die in Katar vollmundig angetreten war, den Titel gewinnen zu wollen. Platz 3 ist es geworden in der Gruppe E, hinter Japan und Spanien. Ja, Japan setzt sich als Gruppensieger durch, dank eines 2:1 gegen Spanier, deren bedenkliche Einstellung an diesem Tag Fragen aufwirft. Die Asiaten treffen im Achtelfinal auf Kroatien und die Spanier auf Marokko. Die Deutschen dagegen fliegen am Freitagnachmittag zurück in die Heimat. Mit ganz schwerem Gepäck und vielen grundsätzlichen Fragen, wo sie mit ihrem Fußball stehen und wie es weitergehen kann mit Hansi Flick als Trainer."

Österreich:

  • "Standard": "Deutschland hat seine Pflicht getan, Deutschland kann gehen."

USA:

  • "ESPN": "Deutschland erleidet die Demütigung des zweiten Aus in der WM-Gruppenphase nacheinander."

Niederlande:

  • "De Telegraaf": "Neues WM-Drama für ausgeschiedenes Deutschland."
  • "AD": "Debakel für Deutschland, die Mannschaft fährt nach einem sensationellen Ende wieder bereits nach der Vorrunde nach Hause. Deutschland, die einst so mächtige Fußball-Nation, ist zum zweiten Mal in Serie mit einem unrühmlichen Abgang von der WM konfrontiert. Vor vier Jahren hatten die Deutschen schon ein Trauma. Das eine Mal, aber nie mehr. Aber wie muss man das jetzt bezeichnen? Der zweite unrühmliche Abgang der Großmacht nacheinander wird noch viel größere Wunden hinterlassen. Es konnte nicht, es sollte nicht, aber es passierte trotzdem an einem Abend, der als legendär in die Geschichtsbücher eingeht."
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