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Trainerin Frehse: "Man hat mich ausgewählt, um ein Exempel zu statuieren"

Der "Fall Frehse" ist noch immer nicht abschließend geklärt. Im exklusiven Interview äußert sich die Trainerin erstmals seit anderthalb Jahren in der Öffentlichkeit und erhebt Vorwürfe gegen den Deutschen Turner-Bund.

Von Michaela Widder
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Tränen der Erleichterung stehen Gabriele Frehse nach dem Verlassen des Arbeitsgerichts Chemnitz in den Augen.
Tränen der Erleichterung stehen Gabriele Frehse nach dem Verlassen des Arbeitsgerichts Chemnitz in den Augen. © dpa-Zentralbild

Ihr letzter öffentlicher Auftritt war im Gerichtssaal in Chemnitz am 1. Oktober. Dort war entschieden worden, dass Gabriele Frehse weiter am Olympiastützpunkt (OSP) Chemnitz beschäftigt werden muss. Die Kündigung gegen die 61-Jährige, der von ehemaligen Turnerinnen im Magazin Spiegel psychische Gewalt und Medikamentenmissbrauch vorgeworfen wurde, hatte das Arbeitsgericht für unwirksam erklärt. An ihren Arbeitsplatz ist Frehse trotzdem nicht zurückgekehrt.

Im exklusiven Interview mit Sächsische.de – überhaupt erst das zweite seit Bekanntwerden der Vorwürfe im November 2020 – sagt die Trainerin, warum sie sich zurückgezogen hat, und wirft dem Deutschen Turner-Bund (DTB) eine Zweiklassen-Moral vor.

Frau Frehse, wie geht es Ihnen?

Man kann jetzt nicht sagen, dass ich entspannt durchs Leben gehe. Es gibt natürlich noch viele ungeklärte Dinge. Da hoffe ich, dass sich diese in nächster Zeit klären.

Sie sprechen sicher das Berufungsverfahren an. Nach dem gewonnenen Arbeitsprozess ging Ihr Arbeitgeber in Berufung. Wie kommen Sie mit dieser ungeklärten Situation zurecht?

Ich versuche natürlich schon, dass alles ein bisschen zu verdrängen. Ich habe eine tolle Familie, Freunde, und ganz viele Menschen sprechen mir Mut zu, dass ich durchhalten soll. Das schafft eine positive Stimmung. Ich versuche auch, meinen Tag gut zu gestalten und nicht wie ein Häufchen Elend durchs Leben zu gehen.

Rechtlich dürfen Sie wieder zurück an Ihren Arbeitsplatz in die Chemnitzer Halle. Warum machen Sie das nicht?

Um die Mädchen zu schützen. Ich möchte sie nicht der Gefahr aussetzen, dass wieder Presseleute vor der Tür stehen. Solange das juristisch noch nicht endgültig geklärt ist, schütze ich mich auch selbst. Und ich will die jungen Trainer, die die Arbeit jetzt am Bundesstützpunkt übernommen haben, lieber in Ruhe arbeiten lassen. Aber ich sage nach wie vor: Der DTB kann nicht über die Menschen herrschen. Jeder Mensch hat das eigene Recht, selbst zu entscheiden, vor allem, wenn man Leistung mit Respekt will, so wie es der DTB ja fordert. Wenn die Mädchen sagen, ich möchte mit dieser Trainerin arbeiten, müsste man das respektieren. Aber was soll ich auf Konfrontation gehen und mit dem Kopf durch die Wand? Was bringt das den Mädchen? Was bringt das mir? Was bringt das dem Stützpunkt? Gar nichts. Das würde meinen Mädchen, meinen Trainerkollegen und auch mir nicht guttun. Aus diesen Gründen habe ich mich zurückgezogen.

Gibt es noch Kontakt zu den Turnerinnen und den Eltern?

Der Kontakt besteht noch, natürlich.

Haben Sie sich jetzt komplett aus dem Trainergeschäft zurückgezogen?

Im Moment helfe ich beim Turn- und Sportverein 1861 Chemnitz- Altendorf punktuell als Trainerin aus, weil dort Unterstützung gebraucht wird. Ich bin ja in dem Verein ehrenamtliche Geschäftsführerin, da gibt es immer etwas zu tun. Da bin ich eigentlich jeden Tag in der Halle.

Hat es Sie überrascht, dass der Olympiastützpunkt doch in Berufung gegangen ist, obwohl es anders angekündigt war?

Der damalige OSP-Leiter Thomas Weise, der jetzt in Vorruhestand ist, wollte das eigentlich nicht. Aber ich hatte schon mitbekommen, dass der DTB sehr am Rühren war, dass der OSP unbedingt in Berufung gehen soll. Das hatte dann auch noch der DOSB (Deutscher Olympischer Sportbund/ Anm. d. Red.) unterstützt. Für mich war es nicht wirklich überraschend. Was soll mich in der Geschichte noch überraschen?

Gab es in den vergangenen Monaten mal ein Gespräch oder ein Aufeinander-Zugehen mit dem Verband?

Nein, es gab nicht ein einziges Treffen oder Gespräch, obwohl es meinerseits viele Bemühungen gab. Mit meinen Anwälten hatte ich mehrmals an die Ethik-Kommission des DTB und des DOSB geschrieben. Chef-Ethiker Thomas de Maizière vom DOSB hat mir jetzt erst geantwortet, dass es in den Händen des Verbandes liegt. Nachdem er dort noch mal mein Anliegen vorgetragen hat, habe ich kürzlich von der Ethik-Beauftragten im DTB, Brigitte Zypries, zumindest schon mal eine Antwort erhalten. Mal abwarten, was da jetzt passiert.

Gegen den neuen Frauen-Bundestrainer Gerben Wiersma gab es Ermittlungen wegen körperlicher und emotionaler Misshandlungen von Turnerinnen. Der Niederländer wurde schuldig gesprochen, blieb aber straffrei, weil die Taten lange zurückliegen. Wie haben Sie die Nachricht aufgenommen?

Ich kenne Gerben schon lange. Er war auch schon bei uns am Bundesstützpunkt in Chemnitz und hat dort ein Trainingslager gemacht. Ich denke, unterm Strich ist ihm das Gleiche passiert wie mir, nur, dass man in Holland und in der Schweiz besser mit diesem Thema umgeht. In diesen Ländern hat man alle Trainer bei den Untersuchungen mit einbezogen und befragt. Es gab Trainer, die sind in erster Instanz verurteilt und in zweiter Instanz freigesprochen worden, bei Gerben Wiersma war es umgekehrt. Ich möchte nichts gegen den Menschen Gerben sagen. Ich kenne ihn als tollen Trainer und angenehmen Kollegen. Aber ich verwahre mich gegen die Zweiklassen-Moral des DTB.

Was löst das in Ihnen aus?

Es wundert mich, und natürlich ärgert es mich auch. Man kann doch nicht mit zweierlei Maß messen. Ich habe schon das Gefühl, man hat gerade mich ausgewählt, um ein Exempel zu statuieren. Man spricht ja auch von der "Causa Frehse". Ich weiß nicht, warum es keine Gesprächsbereitschaft gibt. Der DTB-Präsident und die Generalsekretärin waren in Chemnitz beim Bürgermeister, um ihm zu sagen, dass er mir unbedingt Hallenverbot erteilen muss. Die beiden haben es aber nicht geschafft, am Bundesstützpunkt vorbeizuschauen, und ein Gespräch mit mir zu führen.

Auch an anderen Turn-Standorten gibt es Hinweise auf Verfehlungen. Den großen öffentlichen Aufschrei gab es nur bei Ihnen – ausgelöst durch den Artikel im Spiegel. Ärgert Sie das?

Es ist respektlos, wie diese Turnerinnen mit mir umgehen. Ich hatte etwa 200 Sportlerinnen seit der Wende. 15, die sich so dazu äußern, sind eine ganze Menge, und sie haben es öffentlich gemacht. Man hätte ja auch sagen können, wir unterhalten uns mit einem Mediator, wir wollen mal mit dir abrechnen. Was sie erzählen, ist ihre Wahrheit, wie sie es im Nachhinein empfinden. Das ist natürlich nicht meine Wahrheit. Mein Beruf ist mein Leben. Ich habe für meinen Beruf gelebt. Mein Privates habe ich immer in die zweite Reihe gerückt. An erster Stelle waren die Turnerinnen. Und ich habe gekämpft wie ein Stier, damit es ihnen gutgeht. Wenn man den Artikel im Spiegel liest, habe ich ja alles getan, damit es ihnen schlecht ging.

Die Vorwürfe reichen von Schikane bis zu psychischer Gewalt. Sie hatten zugegeben, dass Sie nicht alles richtig gemacht haben. Wie ist Ihr Blick mit etwas Abstand heute darauf?

Keiner macht alles richtig. Wir haben Leistungssport, und ich habe mich auch verändert. Da gab es einen Aha-Effekt. Seit Ulla Koch Bundestrainerin geworden war, hatten wir mit einem Psychologen zusammengearbeitet, und der hat uns vor Augen geführt, wie er uns als Trainer sieht. Von diesem Moment an habe ich versucht, bei mir etwas zu ändern. Wenn man im Leistungssport ist, muss man aber über Grenzen gehen. Ich habe den Turnerinnen geholfen, ihren inneren Schweinehund zu überwinden. Natürlich ist das harte Arbeit, und natürlich ist auch nicht immer der Ton richtig oder wie man sich verhält. Das habe ich nie abgestritten. Ich habe schon im ersten Interview gesagt: Wenn ich da jemanden verletzt habe, dann tut mir das unglaublich leid. Was mir aber diese Turnerinnen vorwerfen mit Medikamentenmissbrauch, dass ich sie in die Essstörung getrieben habe, Schmerzen ignoriert habe – das weise ich nach wie vor von mir.