Dresden. Für diesen einmaligen Anlass unterbricht Carsten Otto sogar den Familienurlaub in Österreich. Mehr als sieben Stunden fährt er also von Kärnten nach Dresden - und am nächsten Morgen wieder zurück. Doch die Eröffnungsfeier des neuen Heinz-Steyer-Stadions am 30. August will er auf gar keinen Fall verpassen. "Es ist ja unser Baby", meint der Architekt, als er über das runderneuerte Arena spricht, "ein Geschenk an die Stadt", wie Otto findet.
Was in Dresden in den vergangenen zweieinhalb Jahren gebaut wurde, sucht deutschlandweit seinesgleichen. Statt ein in die Jahre gekommenes Stadion zum Beispiel wie anderswo in eine reine Fußballarena zu verwandeln, setzt die Stadt auf eine modernisierte Sportstätte, die damit jetzt Heimat für viele Sportler und Vereine ist. Und die mit der Wiederbelebung des Leichtathletik-Meetings Goldenes Oval gleich zum Auftakt auch die Rückkehr von Weltklasse-Athleten in die Sportstadt Dresden feiert.
Es sei ein besonderes Gefühl, so Otto, dass das Stadion tatsächlich jetzt so dastehe, "wie wir uns das erträumt und visualisiert haben". Und wenn der 50-Jährige von "wir" spricht, und das ist Carsten Otto wichtig, meint er sein gesamtes Team im Architekturbüro am Waldpark in Dresdner Stadtteil Blasewitz, das er gemeinsam mit Christian Müller führt und zu dem rund 30 Mitarbeiter gehören. "Der Höhepunkt ist nun, die Arena auch voll zu erleben", sagt Otto.
Um- und Ausbau Anfang erst 2021 endgültig beschlossen
Die O+M-Architekten - die Initialen stehen für Otto und Müller - sind zusammen mit den Architekten und Ingenieuren von Phase 10 aus Freiberg sozusagen die Baumeister, also die kreativen Köpfe hinter dem neuen Schmuckstück. Als sie 2020 den von der Stadt ausgeschrieben Wettbewerb für den Umbau gewannen, hatte nicht wenige die Hoffnung auf eine Modernisierung der historischen Sportanlage längst aufgegeben.
"Dem Stadion geht es wie mir", bekannte Weltklasse-Sprinterin Renate Stecher bereits 2005 schmunzelnd und voller Selbstironie: "Mit den Jahren sind wir ziemlich heruntergekommen." Dabei ist die 74-Jährige, die 1973 drei Weltrekorde in Dresden aufstellte, stets sportlich aktiv geblieben - während das 1919 eröffnete Stadion zwar Feuer, Krieg und Hochwasser überstand, doch dabei immer mehr verfiel und sich letztlich nur noch als bessere DDR-Filmkulisse eignete.
Erst nach einigen Anläufen wurde der nicht zuletzt auch finanzielle Kraftakt Anfang 2021 endgültig beschlossen. Auf der Tagesordnung der ersten Stadtratssitzung im Januar stand mit dem sperrigen Titel "Umbau- und Ausbau des Heinz-Steyer-Stadions in der Basisvariante im Ergebnis des Wettbewerblichen Dialogs" nicht weniger als die Zukunft der Anlage im Ostragehege. Die Entscheidung fiel einstimmig.
"Die Aufgabe bestand darin, eine Sportanlage mit Funktionsgebäude und Tribüne zu bauen. Doch wir wollten unbedingt eine richtige Stadionatmosphäre erzeugen und konnten uns daher auch nicht vorstellen, dass vier 60 Meter hohe Flutlichtmasten emporragen", erklärt Architekt Otto, der den europaweit ausgeschrieben Wettbewerb mit seinem Planungsteam gewann. "So ist die Idee mit dem Lichtring und die beide Tribünen umfassende Hülle entstanden." Markant wie einzigartig.
Für rund 37 Millionen Euro war der Neubau ursprünglich geplant. Mittlerweile sind die Kosten auf mehr als 53 Millionen gestiegen und sollen nach Informationen von Sächsische.de sogar noch deutlich darüber liegen. "Die höheren Kosten sind nicht allein durch Preissteigerungen entstanden", erklärt Christian Müller. Es gäbe auch einen echten Mehrwert, wie der zweite Geschäftsführer von O+M Architekten betont.
Denn in der ursprünglichen Planung waren lediglich 5.000 feste Plätze geplant und die Kurven noch begrünt. Mit nunmehr exakt 10.343 Sitzplätzen hat sich die Anzahl mehr als verdoppelt. "Im Ergebnis der Sitzplatzkapazität und der vielen Funktionen hat die Stadt das Geld sehr effizient eingesetzt. Andere Stadien rufen deutlich höhere Summen pro Sitzplatz auf", sagt Müller.
Zum Vergleich: Der Neubau des Berliner Jahnsportstadions, ebenfalls nach den Plänen der Dresdner Architekten entworfen, soll mehr als 150 Millionen Euro kosten und Platz für 20.000 Zuschauer haben.
Am 25. Oktober 2021 fand die letzte Veranstaltung im alten Stadion statt. Ein Lauftreff, bei dem die Teilnehmer symbolisch durch einen Bagger rannten. Wer wollte, konnte sich sogar ein Stück der Laufbahn als Erinnerung mitnehmen. Danach begannen die Abrissarbeiten. Im Juni 2022 erfolgte die offizielle Grundsteinlegung. Zu dem Zeitpunkt sah es noch danach aus, als könnte die Stadt ihren Zeitplan für die Fertigstellung im Herbst 2023 einhalten.
Wenig überraschend konnte der Termin dann wegen "Baupreissteigerung, Störung von Lieferketten und kriegsbedingten Produktionsausfällen nicht wie erhofft gehalten werden", hieß es aus dem Rathaus. Die Stadt verschob den Termin auf 2024.
Der Nebeneffekt der farbigen Sitzschalen
Zuvor war der spektakulärste Montageabschnitt beim Umbau geglückt: Zwei spezielle 500-Tonnen-Kräne, die üblicherweise zum Windräderbau eingesetzt werden, hatten den 105 Meter langen und 130 Tonnen schweren, freitragenden Lichtringträger über die Nordtribüne gehoben. Er ist Teil des stadion-umfassenden Lichtrings, der dem Oval seine markante Optik verleiht. "Das Band, was es umhüllt, macht es zu einer großen wiedererkennbaren Form", erklärt Otto.
Auffällig sind auch die unterschiedlichen farbigen Sitze auf der Tribüne. "Uns war es wichtig, dass sie keine Vereinsfarbe bekommen, weil ja viele Vereine hier zu Hause sein werden, dazu sollte es hell und freundlich aussehen", sagt Otto. Und ein schöner Nebeneffekt: Selbst, wenn das Stadion nur halb ausverkauft ist, sieht es durch die unterschiedlichen Farben der Sitzschalen belebt aus.
Mit einjähriger Verzögerung ist die teuerste Sportstätte der Stadt nach dem Um- und Ausbau nun also fertig, die ersten Mieter sind Mitte Juli eingezogen. Allerdings sieht es an einigen Ecken noch immer nach Baustelle aus, und es wird offenbar auch bis zum letzten Tag vor der Eröffnung vor allem in der multifunktionalen Südtribüne gewerkelt.
Sie ist das neue Herzstück. In dem etwa 140 Meter langen Bauwerk sind auf vier Etagen unter anderem eine neue Fechthalle, Sporträume, Squashcourts und ein Ballettsaal entstanden. Ein Stadion, das so viele Sportarten und Funktionalität vereint, ist in Deutschland einmalig. Auch für die Sportmedizin der Uniklinik Dresden sind Räume vorgesehen. Ein Umzug ist für 2025 geplant. "Das Stadion ist ein echtes Haus des Sports", meint Architekt Otto, "auf das Dresden stolz sein kann." Er ist es in jedem Fall.