Dresden. Mitten in der Nacht kam Kanu-Olympiasieger Tom Liebscher-Lucz vor seinem Haus an, Freunde, Weggefährte und Ministerpräsident Michael Kretschmer wollten den 31-Jährigen zuerst begrüßen. Am Dienstag ging der Feiermarathon für den nun dreifachen Olympiasieger vormittags am Dresdner Sportgymnasium und am Nachmittag bei seinem Heimatverein KC Dresden weiter. Zwischendurch gab der sechsfache Weltmeister viele Interviews - auch für Sächsische.de
Tom, wie geht es Ihnen jetzt nach dem großen Erfolg und den Feierlichkeiten?
Mir geht es gut, ich bin ein bisschen müde, die Nächte waren etwas kürzer. Vielleicht liegt es auch am Konsum gewisser Getränke. Es war alles geplant bis zum Olympiafinale, danach alles ungeplant.
Seit Frühjahr 2023 sind Sie Papa, ihr Leben ist damit ein anderes geworden. Ist das dritte Olympia-Gold für Sie deshalb das Wertvollste?
Jede Medaille hat ihre eigene Geschichte. Ich bin jetzt Familienpapa, da haben sich sehr viele schöne Sachen dazu ergeben. Ich musste lernen, wie ich das Training drumherum optimiere. Dass das alles mit dem Aufwand so geklappt hat, da ist eine Riesenlast von mir abgefallen. Das macht mich stolz.
Beim KC Dresden gab es bei ihrem Olympiasieg ein Public Viewing mit knapp 80 Menschen. Was bedeutet Ihnen die Unterstützung von Zuhause?
Das bedeutet mir sehr viel, deswegen bin ich auch immer in Dresden geblieben. Weil mir diese Stadt, die Leute, meine Familie und auch das ganze Umfeld sehr viel Kraft geben und diese Erfolge überhaupt erst möglich machen.
Paris hat als herzlicher, kreativer Gastgeber beeindruckt. Waren es für Sie die schönsten Spiele?
Es waren besondere Spiele, auch Rio de Janeiro war sehr besonders, Tokio war die einzige Stadt, die das 2021 unter Pandemiebedingungen hätte umsetzen können - auch das war gut und schön. Aber jetzt in Paris hat man gemerkt, was in Tokio gefehlt hat. Die Zuschauer mit ihrer offenen Art, die Wettkampfstätten, die gesamte Organisation haben das i-Tüpfelchen gesetzt. Wenn man die Goldmedaille mitbringt, sieht man das alles noch etwas blumiger. Ich bin einfach froh, dass ich diese Reise mitnehmen konnte. Es war super schön.
Sie sind gerade 31 geworden. Wie sehen Ihre Planungen für die Zukunft aus?
Aller guten Dinge sind drei, aber wenn eine vierte Medaille dazukäme, wäre das besonders schön. Jetzt mache ich erst einmal Urlaub - und dann schauen wir mal weiter.
2025 sind die Finals, also viele deutsche Meisterschaften an einem Wochenende, in Ihrer Heimatstadt Dresden. Die Kanu-Wettbewerbe sollen im Zwingerteich ausgetragen werden. Reizt Sie auch dieser Wettbewerb?
Das ist ein besonderes Ziel, mit sehr besonderen Wettkampfstätten. Das motiviert mich jetzt schon. Ich muss aber schauen, wie ich Schritt für Schritt wieder in den Sport zurückfinde. Auf diese Reise freue ich mich.
"Die deutsche Olympiabewerbung ist notwendig"
Nach Ihrem Gold-Rennen hatten Sie ein persönliches Gespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz. Worum ging es da?
Wir haben knapp zehn Minuten sehr gut über eine notwendige, deutsche Olympiabewerbung gesprochen. Durch die Sportförderstellen bei der Bundeswehr, der Polizei und dem Zoll haben wir eine große finanzielle Unterstützung in der Breite, aber jetzt müsste man noch etwas draufsetzen - eine Olympiabewerbung und eine gezieltere Förderung in Sportarten, in denen wir wahrscheinlich Medaillen holen können. Bei allem Jammern über den Medaillenspiegel wäre eine Olympiabewerbung jetzt das einzig wichtige, richtige und notwendige Signal für Sport-Deutschland.
Der Deutsche Kanuverband war neben den Reitern der erfolgreichste deutsche Fachverband in Paris. Was machen die Kanuten denn anders oder besser?
Das macht uns unglaublich stolz und zeigt, wie gut unser Verband arbeitet - mit allen Höhen und Tiefen. Das spricht für die Leute, die dahinterstehen und sich tagtäglich den Hintern aufreißen. Es geht nicht nur um die Athleten, die die Medaillen um den Hals tragen, sondern vor allem um die Trainer und die Diagnosetrainer, die sich die Ergebnisse angucken und den Finger in die Wunde legen, wenn wir bei einer WM oder EM mal schlecht sind, damit wir dann bei Olympia wieder performen. Das haben wir sehr gut hinbekommen. Dennoch gab es auch einige Rückschläge, es hätten in Paris gern zwei Medaillen mehr sein können.
Deutschland holte mit 33 Medaillen wieder weniger als in Tokio vor drei Jahren. Wie bewerten Sie das?
Grundsätzlich waren wir in vielen Mannschaftssportarten gut dabei, meist fehlte nur der letzte Schritt. Das hätten auch drei Goldmedaillen mehr sein können. Viele Nationen picken sich bei der Förderung einzelne Sportarten heraus und holen dort dann sieben Goldmedaillen. Bei uns im Kanu gewann Neuseeland dreimal Gold. Da ist man als deutscher Verband immer ein bisschen im Hintertreffen, weil man das ganze Knowhow mehr verteilt und alle mitnehmen möchte.
Das heißt?
Andere Nationen investieren doppelt so viel Geld wie wir in eine Sportart. Das macht den Unterschied aus. Diesen Unterschied könnte eine deutsche Olympiabewerbung für 2040 wettmachen. Das wäre kein großer Akt, wir haben bewiesen, dass wir Großveranstaltungen können, man muss es nur ordentlich kommunizieren. Und die Leute, die etwas zu entscheiden haben, müssen da mutig vornweg gehen und sich auch mal dem Gegenwind stellen.
Ihr Trainer Jens Kühn steht gern im Hintergrund. Welchen Anteil hat er an Ihrem Erfolg?
Wir sind seit 2007 ein Sportler-Trainer-Gespann. Das ist eine verdammt lange Zeit. Natürlich hat er einen Riesenanteil, wir sind eine lange gemeinsame Strecke gegangen, mit allen Höhen und Tiefen, die man in 17 Jahren erlebt. Er holt mich immer wieder auf den Boden der Tatsachen und sagt: "Ohne Training wird das nichts mit einer Medaille." Er hat mir eine gewisse Art beigebracht, wie ich an den Sport und das Training herangehe. Man kann machen, was man will, aber morgens früh um 7 Uhr muss man halt zum Training dastehen.
Wieso starten Sie ab Mittwoch in Brandenburg noch bei der sportlich unbedeutenden deutschen Meisterschaft?
Ich habe dazu den Bundeskanzler eingeladen, er wohnt ja da um die Ecke. Wir möchten, dass uns der Nachwuchs sieht und daraus vielleicht Motivation schöpft. Ich starte in meinem ersten Mixed-Rennen überhaupt mit Trainingskollegin Estella Damm. Auch der Sachsenvierer tritt an, darauf bin ich sehr gespannt. Es gibt da ein persönliches Zahlenspiel: Seit 2018 habe ich 19 Titeln geholt, die 20 reizt mich schon.