Karriere-Aus für Dresdner Kanutin wegen Long Covid

Dresden. Das Outfit ist ein anderes als sonst. Und auch der Anlass. Steffi Kriegerstein steht im leichten schwarzen Kleid mit buntem Blumenmuster etwas verlegen auf der Terrasse des Kanuclubs Dresden und schwitzt. Vor Hitze, aber auch vor Aufregung. Die fast 30-Jährige, eine der erfolgreichsten sächsischen Kanutinnen der letzten zehn Jahre, verkündet das Ende ihrer Karriere, bzw. muss es verkünden.
Die Olympiazweite von 2016 mit dem deutschen Kajak-Vierer war im Dezember 2020 an Corona erkrankt. „Vor sechs Jahren habe ich dieses schöne Schätzchen gewonnen“, sagt Kriegerstein und deutet auf die Silbermedaille von Rio, „und bin da auf den Geschmack gekommen, Olympia noch einmal zu erfahren. Deshalb stand für mich schnell fest: Das mache ich noch einmal.“
Es kam anders. Erst wurden wegen der weltweiten Pandemie die Spiele von Tokio von 2020 auf 2021 verlegt, dann erwischte die Krankheit die Zweier-Weltmeisterin von 2015. Im März 2021 musste sie ihre Olympiahoffnungen auch offiziell begraben. Die Begleiterscheinungen lassen sie bis heute nicht los. Von Long Covid ist die Rede – obwohl niemand so recht weiß, was sich genau dahinter verbirgt, weil jeder Mensch ein individuelles Krankheitsbild aufweisen kann.

„Ich habe im vergangenen Jahr trotz aller gesundheitlichen Probleme versucht, mich wieder fitzumachen“, erzählt sie. Mit Rehaprogrammen, Physiotherapie und Übungen zur Atemflussregulierung schaffte sie es zumindest, ihre letzten sportlichen Zwischenetappen zu erreichen: Eine regionale Sprintregatta in Mittweida, die Ostdeutsche Meisterschaft und nun am nächsten Wochenende die deutsche Kanumeisterschaft. Es wird Kriegersteins Letzte werden.
„Ich merke, dass der Sprung, um wieder in den Leistungssport zurückzukehren, riesig ist. In den letzten zwölf Jahren davor war ich auf diesem Top-Niveau. Das wieder zu erreichen, macht mein Körper nicht mehr mit. Deshalb verkünde ich heute mein offizielles Karriereende“, sagt sie am Dienstag vor einer kleinen Presserunde und muss angesichts dessen mit den Tränen kämpfen. Die Weltklasse-Kanutin ist mithin die erste deutsche olympische Medaillengewinnerin, die ihre Karriere aufgrund von Long-Covid-Folgen beenden muss.
Die Entscheidung fällte sie vor knapp einem Monat. Ärzte können ihr bis heute keine konkrete Prognose geben, ob und wann sie wieder völlig gesund sein wird. Dafür existieren bislang schlichtweg zu wenige Erkenntnisse. „Die körperliche Anstrengung raubt mir tagsüber Lebensqualität“, sagt die Dresdnerin.
Grundlegend gehe es ihr gut. „Ich habe einen Rhythmus gefunden, wie mein Alltag auch mit Sport funktionieren kann. Das Lustige ist: Wenn ich keinen Sport mache, geht es mir ganz gut.“ Sobald sie trainiert, stellen sich Beschwerden ein, dabei ist Kriegerstein seit knapp einem Jahr gesund geschrieben. „Wenn ich belastet werde, habe ich damit zu kämpfen, abends länger als bis 21 Uhr wach zu bleiben, weniger als neun Stunden Schlaf ist nicht, am besten noch ein Mittagsschlaf dazu – und ich werde ja erst 30“, beschreibt die Studentin für Medienmanagement.

Forderung nach mehr Therapieansätzen
Sie brauche früh zwei, drei Stunden, um den Körper in Gang zu bringen. „Ich habe tagsüber mit Kopfweh zu kämpfen, mit Augendrücken und Schwindelgefühlen. Es wird von Monat zu Monat besser, aber wenn ich nicht auf mich achte, wirft mich das zurück. Der Weg vom Leistungssport hin zum Gesundheitssport ist da für mich ganz wichtig.“
Kriegerstein möchte ihre per se undankbare Rolle dennoch für positive Schritte nutzen. „Ich versuche, anderen Menschen, die sich mit Covid infiziert haben und danach immer noch Probleme haben, mit Ratschlägen zu helfen. Ich will aber nicht die Expertenrolle einnehmen.“
Gemeinsam mit zwei Medizinern, einem Arzt von der Uni Jena, der Long-Covid-Studien betreibt und einer Dresdner Therapeutin für reflektorische Atemtherapie will sie diesen Genesungsansatz weiter vertiefen. „Ich bin von den Ergebnissen ziemlich überrascht gewesen. Bis jetzt ist das der einzige Therapieansatz, der zwar sehr einfach ist, aber trotzdem mit die meiste Wirkung zeigt“, erklärt die Sportsoldatin.
Medizinisch stecke vieles für Long-Covid-Patienten noch in den Kinderschuhen, man könne bislang nur symptomatisch behandeln. „Die Liste der Patienten wird immer länger. Irgendwann muss man mehr investieren“, hofft und fordert sie. Was sie künftig beruflich macht, ist noch offen. Die Bundeswehr als ihr bisheriger Arbeitgeber stellt für maximal drei Jahre ein Überbrückungsgehalt bereit, im Januar will Kriegerstein ihre Bachelorarbeit für Medienmanagement abgeben. Fest steht, dass sich Kriegerstein zunächst als Übungsleiterin beim KC Dresden einbringen wird.