Karl, Sie erleben eine Saison mit extremen Höhen, aber auch Tiefen: Der ersten internationalen Medaille bei der EM in Rom folgt das Vorlauf-Aus in Paris. Wie geht es Ihnen mit etwas Abstand?
Ich habe nur eine Woche den Erfolg von der EM zelebriert, dann muss ich das löschen. Das ist so schade. Es war alles auf Olympia ausgerichtet, jetzt ist es vorbei, und ich habe nicht die Leistung gebracht, die ich wollte. Ich sehe mich als Verlierer. Das bekomme ich auch zu spüren - natürlich nicht mit Absicht. Das letzte große Ereignis bleibt hängen. In Paris hatte ich mir mehr erhofft. Doch es gab ein Problem mit meinem Körper. Das wollte ich nicht an die große Glocke hängen und auch nicht als Ausrede suchen.
Was war passiert? Die Rede war von Magenproblemen …
Am letzten Abend vor meine Abreise aus dem Trainingslager in Kienbaum habe ich Rote-Beete-Saft getrunken und nicht vertragen. Ich weiß es, weil ich eine Woche zuvor schon mal den Saft getrunken habe und die gleichen Symptome hatte, nur nicht so stark. Als ich in Paris angekommen bin, ging es mir hundeelend, mir tat alles weh, meine Schultern, meine Beine. Ich habe mich total schwach gefühlt, habe von der Ärztin Medikamente bekommen und lag erst mal mit 38 Grad Fieber im Bett. Einen Tag vor dem Vorlauf habe ich mir wirklich die Frage gestellt, ob ich laufen kann.
Und dann standen Sie an der Startlinie.
Ja, es wurde besser, aber viel Essen konnte ich nicht. Im Rennen habe ich dann deutlich gemerkt, dass die letzten zwei Runden genau das gefehlt hat, was ich mir in diesem Jahr aufgebaut habe. Innerhalb von zwei Tagen habe ich einen Rückschritt von zwei Jahren gemacht. So hat es sich angefühlt. Ich war so traurig. Es ist für mich so enttäuschend, dass wegen so eines kleinen Problems das Kartenhaus zusammenbricht.
Kann ein Rote-Beete-Saft so eine Reaktion auslösen?
Ich hatte vorher noch nie Probleme und war bisher ein Fan von Rote-Beete-Saft. Wenn Du aber so austrainiert und am Limit bist, kann Dich alles aus der Bahn hauen, und in dem Fall war es der Saft. Die Nitrate waren wahrscheinlich in dem Moment zu aggressiv für den Darm, der die Knolle verarbeiten muss. So erklärte es mir die Ärztin und meinte, dass 500 Milliliter zu viel sind. Das hat mich ganz schön gebrochen. Daher bin ich auch etwas am Verzweifeln, wie ich jetzt die zwei Wettkämpfe über die Runden bringen soll.
Streikt Ihr Körper oder fehlt die Motivation?
Ich spüre nach Olympia einen ordentlichen Formknick. Ich sehe es bei meinen Schwellentrainingseinheiten, die ich auf dem Laufband mache. Mein Puls ist bei gleicher Geschwindigkeit zehn Schläge höher als noch in Kienbaum. Seit Rom erlebe ich eine Berg- und Talfahrt. Eine riesige Blase am Fuß hatte mich ja in der Olympia-Vorbereitung schon eingeschränkt. Ich bin froh, wenn die Saison vorbei ist und ich abschalten kann.
Wie gehen Sie die beiden Rennen am Sonntag in Chorzow und dann am 30. August beim Meeting "Goldenes Oval" in Dresden an?
Die Diamond League ist eigentlich nochmal eine super Gelegenheit, eine schnelle Zeit zu laufen. Theoretisch besteht die Möglichkeit, schon die Norm für die WM nächstes Jahr zu laufen. Im Moment bin ich aber nicht in der Verfassung wie vor Paris. Doch ich muss alles probieren. Wenn es am Wochenende nicht läuft, dann bin ich natürlich noch geknickter. Aber ich möchte meinem Trainer dann einen schönen Abschied bereiten.
Ist der alte Stadion-Rekord von 8:24,35 Minuten von Hagen Melzer ein Ziel bei der Premiere nach der Wiedereröffnung des Traditions-Ovals?
In meiner normalen Verfassung wäre der Rekord natürlich möglich. Spätestens zur deutschen Meisterschaft im nächsten Sommer fällt er. In Dresden kennen mich alle Leute, meine Sponsoren. Da will man performen und natürlich auch gewinnen. Wenn der Körper nicht so will, wird es schwierig. Da rennt man ums Überleben. Ich bin so ein bisschen ratlos, was ich jetzt machen soll, ob ich mir ein paar Tage Pause gönne oder lieber nochmal Form aufbaue.
Nach der Stadioneröffnung und dem Meeting in Dresden ist die Saison zu Ende. Wie geht es danach weiter?
Die Motivation Weiterzumachen ist so groß wie nie. Aber ich bin meinem Körper schuldig, dass er mal eine längere Pause bekommt. Ich mache nach der Saison sechs Wochen gar nichts, also nur nach Lust und Laune. Ich bin erst in Dresden, dann fliege ich mit meiner Freundin nach Kreta in den Urlaub. Wenn ich zurück bin, steht der Bundeswehrlehrgang an - und dann ein Neuanfang.
Und wie sieht Ihre Zukunft aus? Dietmar Jarosch hat Ihnen noch vor Olympia gesagt, dass er als Trainer endgültig aufhört.
Wenn sich eine Tür schließt, öffnet sich die nächste - das ist für mich sportlich wie auch prinzipiell im Leben eine Grundeinstellung. Ich sehe es als Chance. Wir haben in den neun Jahren Erfolge gefeiert, die ich vielleicht mit keinem anderen Trainer geschafft hätte. Und das macht mich extrem stolz. Mit der EM-Medaille habe ich mir meinen Kindheitstraum erfüllt. Auf dieser Grundlage bin ich jetzt bereit, den nächsten Schritt zu gehen.
Könnte der Sie auch aus Dresden wegführen?
Für mich gibt es erst mal keinen Grund, Dresden zu verlassen. Das Stadion ist jetzt fertig, ich habe an den Trainingsbedingungen nichts auszusetzen. Die Hälfte des Jahres bin ich ohnehin in Trainingslagern unterwegs, ich brauche dieses Feeling, um mich weiterzuentwickeln. Die Unterstützung seitens des Verbandes wird sich nicht verbessern.
Wo sehen Sie sich?
Sehr wahrscheinlich werde ich es in die Weltspitze in Dresden nicht im Alleingang schaffen. Ich sehe mich in einem richtigen Team, in dem Geld eher weniger eine Rolle spielt. Noch ist nichts spruchreif. Meine Gedanken sind, dass ich nicht mehr fest an einem Standort trainiere, sondern so ein Hybrid-Modell lebe, also mal Training mit der Gruppe irgendwo auf der Welt und dann wieder zu Hause in Dresden - angeleitet von einem Headcoach. Ich denke da nicht an eine Gruppe von einem anderen Verein, sondern von einem großen Unternehmen. Ende September sollte ich einen Plan haben, wie und wo es weitergeht.