Warum eine Wettkämpferin zur Wahlkämpferin wird

Magdeburg. Ein Plakat, das an der weißen Wand hängt, ruft zum globalen Klimastreik auf. Der sonst leere Tisch wird durch eine Sonnenblume aus Holz aufgehübscht. Selbst, wer den Schriftzug am Fenster übersehen hat, ahnt, dass er hier in der „Grünen Mitte Magdeburg“ sitzt. Die Partei Bündnis 90/Die Grünen hat in einem der Stalinbauten im Stadtzentrum ein Bürgerbüro eingerichtet. In Corona-Zeiten steht das zwar meist leer, ist aber der ideale Treffpunkt für ein Gespräch mit Antje Buschschulte.
Aus der Schwimmerin, die in ihrer Karriere 54 internationale Medaillen gewonnen hat, ist eine Politikerin geworden. Am 6. Juni sind in Sachsen-Anhalt Wahlen, die 42-Jährige kandidiert auf Listenplatz neun, was bedeutet, dass die Grünen rund neun Prozent der Stimmen bekommen müssten, damit sie in den Landtag einzieht. Angesichts der aktuellen Umfragen ist das nicht unrealistisch.
„Als Sportlerin habe ich gelernt, mich für ein bestimmtes Ziel zu mobilisieren und darauf zu fokussieren“, sagt sie. Das Ziel ist nun der Landtag und ihr Spezialthema die Digitalisierung. Wenn sie in einem beachtlichen Tempo über schnelles Internet, Breitbandausbau, künstliche Intelligenz und die Frage spricht, welche Folgen das für die Gesellschaft haben wird, spürt man, mit welchem Elan und Ehrgeiz sie dieses Ziel verfolgt. Und man bekommt eine Ahnung davon, warum sie eine der erfolgreichsten deutschen Schwimmerinnen der 1990er- und 2000er-Jahre wurde, warum sie sich vier Mal in Folge für die Olympischen Spiele qualifiziert hat: Wenn sie etwas macht, dann richtig und konsequent.
Das beginnt schon mit 17, als sie von Hamburg nach Magdeburg zieht, weil ihr alter Trainer aufgehört hat und die Bedingungen elbaufwärts „einfach königlich“ sind, wie sie es formuliert. Der Wechsel einer westdeutschen Schwimmerin in den Osten ist 1996 medial ein Riesenthema, oft klingt der Vorwurf mit, dass sie es vor allem gemacht habe, um besser dopen zu können. Über die Berichte kann sie sich heute noch aufregen.

In die Sportfördergruppe der Bundeswehr tritt sie nie ein, obwohl sie das finanziell abgesichert hätte. „Ich konnte das einfach nicht mit meinem Gewissen vereinbaren“, sagt Buschschulte und betont: „Ich wollte nie in eine Armee.“
Nach einem abgebrochenen Sport- und Englischstudium will sie auf Biologie umsteigen. Weil das Fach an der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg nicht angeboten wird, zieht sie nach Halle um – und muss wieder gegen Widerstände ankämpfen. Zwischen den beiden größten Städten in Sachsen-Anhalt wird eine gesunde Rivalität gepflegt, dies gilt auch für Schwimmstandorte. Und das bekommt sie zu spüren.
Sie meistert nicht nur das, sondern auch den stressigen Alltag aus Training, Wettkampf und Vorlesungen. „Es war schon anstrengend und sehr durchgetaktet. Freizeit und Privatleben hatte ich da eigentlich gar nicht“, erinnert sie sich. Nach dem letzten Wettkampf bei den Olympischen Spielen 2008 – ihrem Karriere-Ende – „habe ich erst einmal gemerkt, wie lange ein Wochenende wirklich sein kann und was für ein Gefühl der Freiheit es ist, nicht jeden Morgen um 6.30 Uhr in der Halle stehen zu müssen“.
Ganz loslassen kann sie aber nicht vom Sport, der sie geprägt hat. Sie macht den C-Trainer-Schein, weil sie glaubt, sie müsse den Kindern etwas weitergeben von ihrem Wissen und ihren Erfahrungen. Buschschulte wird Vize-Präsidentin des Landesschwimmverbandes – alles ehrenamtlich, alles nebenbei. Hauptsächlich beschäftigt sich die Neurobiologin nach dem Karriereende mit ihrer Doktorarbeit, die sie auf Englisch schreibt und bei der sie die Verarbeitung der Sehreize im Gehirn erforscht.

Auch darüber spricht sie mit einer Begeisterung, die ansteckend wirkt und die zwangsläufig die Frage aufwirft, warum sie keine Karriere als Wissenschaftlerin an der Uni gemacht hat. „Dafür hätte ich auch mal in die USA gehen und mich mühsam hocharbeiten müssen. Das bin ich zwar aus dem Sport gewohnt, aber ich wollte die gleiche Energie nicht noch einmal aufbringen“, erzählt sie. Hinzu kommt die private Situation. Mit Helge Meeuw, ebenfalls ein früherer Weltklasseschwimmer, der nach seiner Karriere Medizin studierte und nun als Internist in einem Krankenhaus in Magdeburg arbeitet, gründete sie eine Familie, die drei Töchter sind inzwischen zehn, sechs und drei Jahre alt.
An der Uni entdeckt sie eine Stellenausschreibung: Referentin im Wissenschafts- und Wirtschaftsministerium von Sachsen-Anhalt. „In einem Seminar, in dem es um die Karriere nach dem Sport ging, hörte ich mal den Satz, dass man Chancen erkennen muss, die sich einem bieten, und dann den Mut haben muss, sie zu nutzen“, erzählt sie. Buschschulte bewirbt sich, wird zwar aus formalen Gründen abgelehnt, doch der Chef der Staatskanzlei sucht gerade eine Büroleiterin und fragt bei ihr an.
Wieder geht sie es gründlich und gewissenhaft an, studiert berufsbegleitend Europa-Politik, bekommt einen Crashkurs in Verwaltung und ist nun für die Termine von Rainer Robra verantwortlich – und dafür, dass er zu denen immer bestens vorbereitet kommt. „Ich fand es erstaunlich, wie ferngesteuert ein Minister ist, wie wenig Hoheit er über seinen Tagesablauf hat“, erzählt sie. Buschschulte organisiert Termine um 20 Uhr, spricht sich mit seiner Frau ab und „muss aufpassen, dass er irgendwann noch ein bisschen Freizeit hat“.
Nur Meckern ist ihr nicht genug
Zehn Jahre, unterbrochen nur von Elternzeit, arbeitet sie nun in der Staatskanzlei und findet, das reiche in der Rolle als „Zuschauerin an der Seitenlinie“. Anfang 2020 tritt sie bei den Grünen ein und vergleicht das mit einem Outing, schließlich arbeitet sie für einen CDU-Minister. Doch das sei einfach nicht ihre Partei. Die Natur, das Leben fasziniert sie schon immer. Als Kind rief sie bei den Lübecker Nachrichten an, weil sie entdeckt hatte, dass ein kleiner Fluss völlig verdreckt war. Während des Biologie-Studiums wollte sie sich nicht auf Pflanzen spezialiseren, um später beruflich nicht in der Gentechnik zu landen. Dass sie stattdessen bei den Grünen ankam, war also quasi vorgezeichnet.
„Man hört so oft in Gesprächen mit Freunden: Man müsste doch mal und das sollte man doch mal. Ich habe mir dann gesagt, ich meckere nicht mehr und mache aktiv mit. Sonst, fürchte ich, würde ich es mir eines Tages vorwerfen.“ Ein anderer Grund war das Erstarken der AfD. Eigentlich hatten sie und ihr Mann beschlossen, wegzuziehen, falls die Rechtskonservativen mehr als 20 Prozent der Stimmen erhalten. Es wurden 24,3 Prozent, die Familie blieb trotzdem, Weglaufen war doch keine Option. Nun will sie mithelfen, ein ähnliches Ergebnis zu verhindern. „Ich kann manche Frustration verstehen“, sagt sie, „aber die Reaktion ist die falsche. Leider steckt da nicht mehr nur Protest dahinter. Und das finde ich beängstigend.“
Einen Wahlkampf mit Abstand zu gestalten, ist schwierig, ihr fehlt der direkte Kontakt. Am Stand auf der Straße könnte die Vergangenheit helfen, vermutet sie. „Zumindest einige Ältere können mit meinem Gesicht noch was anfangen. Das würde vielleicht den Einstieg in ein Gespräch erleichtern.“
Rückkehr in die Schwimmhalle ist ausgeschlossen
Auch sonst, glaubt Buschschulte, kann sie von ihrer Zeit als Spitzenathletin profitieren. „Ich habe da neben einem Zeitmanagement gelernt, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen, mit Stress umzugehen und Dinge zu Ende zu bringen.“ Nur eines vermisst sie in ihrer neuen Rolle: Ihre Anspannung konnte sie früher im Wasser besser entladen, bei Beinschlägen und Armzügen ging das wesentlich einfacher, als wenn sie nun auf einer Bühne hinterm Rednerpult steht.
Falls der Listenplatz neun nicht reichen sollte für den Landtag, würde sie als Referentin in der Staatskanzlei bleiben. Eine Rückkehr in die Schwimmhalle schließt sie aus. Dabei ist Magdeburg gerade die deutsche Schwimm-Hauptstadt, Bundestrainer Bernd Berkhahn ist dort, Weltmeister Florian Wellbrock, seine Freundin Sarah Köhler und Ex-Europameisterin Jana Hentke. „Ich wäre keine gute Trainerin“, sagt Buschschulte, „wollte auch nie am Beckenrand stehen.“ Verbands-Vizepräsidentin ist sie längst nicht mehr, auch mit dem Techniktraining für die Kinder hat sie aufgehört. Es fehlte die Zeit.
Ins Wasser geht sie aber immer noch gerne, am liebsten in Seen. „Ich mag das Gefühl. Dann schwimme ich auch gerne weite Strecken, etwa ans andere Ufer.“ Immer wieder neue Ufer zu entdecken, könnte eine Art Lebensmotto von Antje Buschschulte sein. Und das macht sie dann stets sehr konsequent.
Im nächsten Teil lesen Sie: Ex-Volleyballerin Stefanie Waibl ist Frau des DSC-Cheftrainers, Mama, Gewerkschafterin und engagierte Lehrerin in einer Person.