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Darum verhinderte ein Armee-General seinen Olympiastart in Moskau

Von einem Weltmeister hatten sie in Meißen lange geträumt. Peter Wenzel machte es wahr, gewann das erste WM-Gold für DDR-Gewichtheber. Nun ist er 70 geworden – und blickt zurück.

Von Jochen Mayer
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Bei den Olympischen Sommerspielen 1976 in Montreal gewann Peter Wenzel die Bronzemedaille. Vier Jahre später in Moskau durfte der Meißner dann nicht starten, erzählt er jetzt im Karriere-Rückblick .
Bei den Olympischen Sommerspielen 1976 in Montreal gewann Peter Wenzel die Bronzemedaille. Vier Jahre später in Moskau durfte der Meißner dann nicht starten, erzählt er jetzt im Karriere-Rückblick . © ADN-ZB/Mittelstädt

Meißen. Ein flüchtiges Lächeln huscht übers Gesicht, als Peter Wenzel sein Foto im alten Gewichtheber-Buch aus dem Berliner Sportverlag sieht. Weit aufgerissen hat er dort seinen Mund auf dem Bild. Der Jubelschrei von 1975 ist festgehalten für die Ewigkeit. Es war sein größter Moment als Sportler. Die Hantelstange hat er auf dem Foto fest im Griff, mächtige Scheibenstapel schweben in der Luft, stehen da, als wären sie der Schwerkraft entrissen. Sein Gesicht spricht Bände: Geschafft, ein Traum wird wahr: „WM-Gold!“ In diesem Moment ist Peter Wenzel erster Zweikampf-Weltmeister im Gewichtheben der DDR.

Das Lächeln kehrt zurück, als der Meißner wenige Tage vor seinem 70. Geburtstag auf das Foto schaut. Die Jahrzehnte haben Spuren hinterlassen, Falten, Narben, das Laufen ist anstrengend geworden. „Verschleiß, wie in alten Rohren“, sagt er beiläufig. „Die gehen mit der Zeit auch zu. Die Lendenwirbelsäule will nicht mehr wie früher.“ Seinem Gewichtheben lastet er das nicht an. Dafür gab es zu viele große Erlebnisse, gute Gefühle und Weggefährten, zu denen der Kontakt nie abriss.

Über seine WM-Sternstunde in Moskau gerät er beim Gespräch mit sächsische.de ins Schwärmen. „Ich hätte nie gesagt, dass ich gewinnen will, selbst wenn es mein größtes Ziel war“, sagt Wenzel. Obwohl ihm zuvor eine Weltrekord-Einstellung gelungen war, war ein Podestplatz das Ziel. Die Goldmedaille setzte euphorische Gefühle frei. „Ein Weltmeister aus Meißen, davon hatte mein erster Trainer Karl Bräuer ewig geträumt“, erzählt Wenzel. „Das machte mich einigermaßen stolz. Und mein Trainer Rudolf Müller war auch zufrieden.“

Querelen mit dem Armeesportklub aus Frankfurt/Oder

Für die größte Überraschung in Moskau sorgten jedoch seine Fans: „Sie sind alle angereist, aus unserem Meißner Verein, aus Freital, Dresden und Thüringen. Einige waren schon beim Wettkampf dabei, danach wurde im Riesen-Hotel Rossija gefeiert.“

Weltmeister Wenzel sahen manche ein Jahr später als sicheren Olympiasieger bei den Spielen 1976 in Montreal. „Wer nur etwas in der Materie steckte, wusste, dass es mehrere Sieganwärter gab. Olympia-Bronze war dann ein großes Ding“, sagt Wenzel. Die Medaille ist ihm wichtig, sie steht im Wohnzimmerschrank neben zwei Porzellan-Pokalen. Den einen gab es für den Gesamtsieg beim Meißner Turnier der Blauen Schwerter 1974, den anderen stiftete seine Heber-Sektion für Olympiabronze.

Eine weitere Olympia-Teilnahme, 1980 in Moskau, wurde Wenzel verbaut, den damals eine Rückenverletzung beeinträchtigte. „Dann gab es Querelen mit dem Armeesportklub in Frankfurt/Oder. Die wollten unbedingt ihren Mann am Start haben. Der Verband beugte sich. Der Verbandstrainer sagte mir, dass der spätere Armee-General Heinz Kessler Druck gemacht habe. Der damals stellvertretende Verteidigungsminister drohte, ich müsste wenigstens Bronze gewinnen, sonst hätte der Verbandstrainer auch gehen müssen“, erzählt Wenzel.

Statt ihm war Günther Schliwka in Moskau am Start – und platzte, wie Heber zu drei ungültigen Versuchen in einer Teildisziplin sagen. Genugtuung spürte der aussortierte Wenzel nicht. „Schliwka konnte nichts für den Knatsch, ich verstehe mich heute noch gut mit ihm. Und ich hätte ja nie garantieren können, dass mir das nicht passieren kann. Aber ich beriet mich mit unserem Doktor und habe danach Schluss gemacht. Es war kein Abgang im Unguten, sondern der Vernunft“, sagt er.

Der ehemalige Gewichtheber-Weltmeister Peter Wenzel in seiner Wohnung in Meißen mit dem Heber-Buch aus dem Berliner Sportverlag, wo sein WM-Gold noch mal gefeiert wurde.
Der ehemalige Gewichtheber-Weltmeister Peter Wenzel in seiner Wohnung in Meißen mit dem Heber-Buch aus dem Berliner Sportverlag, wo sein WM-Gold noch mal gefeiert wurde. © Jochen Mayer

Wenzels Heber-Karriere hatte zufällig begonnen. Er wuchs in Mohlis auf, ein Dorf zwischen Lommatzsch und Meißen. Der Vater arbeitete als Melker, die Mutter war Hausfrau, half im Stall. Die Tochter und vier Söhne mussten früh mit zupacken, Arbeit gab es immer. In Löthain ging er zur Schule, ab der 7. Klasse in Meißen. Auf die Frage nach einem Schulbus lacht Wenzel herzhaft. „Hatten wir nicht“, sagt er. „Ich bin mit dem normalen Bus gefahren. Wenn du den verpasst hattest, wurde gelaufen. Wenn ich vom Training in Meißen kam, ging es mit dem Überlandbus bis Löthain, dann fünf Kilometer Fußmarsch bis Stroischen, wo wir später wohnten. Wenn ich Glück hatte, mein Vater von einer Versammlung kam, sammelte er mich mit dem Motorrad ein. So war das Sommer wie Winter.“

Eigentlich wollte er ja Boxer werden. „Das war was für Jungs, das hatte was“, meint Wenzel fast schwärmerisch. Deshalb ging er zum Alberthof in Meißen. An dem Tag trainierten dort aber auch die Heber. „Da nahm mich Karl Bräuer zur Seite und sagte: ,Wir machen einen Gewichtheber aus dir.‘ Er konnte begeistern. Das Training schlug schnell an, es gab Medaillen. Ich habe nie bereut, bei den Hebern geblieben zu sein“, sagt Wenzel.

In der Schule gab es Unterstützung und auch bei der Schlosser-Ausbildung im Meißner Kfz-Zubehörwerk. Trainiert wurde später dann in Dresden beim SC Einheit. Als in Meißen eine neue Halle gebaut wurde, trainierten die Kaderathleten zwei Jahre in Karl-Marx-Stadt. „Die Bedingungen dort waren spitze, zu Trainer Wolfgang Schimmel hatte ich einen guten Draht“, erzählt Wenzel und wie er sich vorstellen konnte, die Olympia-Vorbereitungen im Nachbarbezirk zu absolvieren.

Nach dem Trainerdasein eine Stelle im Außendienst

Den Wechsel-Wunsch hörten sie beim SC Einheit Dresden nicht gern und weiter oben erst recht nicht. „Mit meiner Frau und meinem Schwiegervater hatten wir einen Brief an Sportchef Manfred Ewald aufgesetzt. Und an Honecker schickten wir den Brief auch“, schildert Wenzel, wie ernst es ihm war.

Danach ging es hoch her. Ewalds Vizepräsident Siegfried Geilsdorf kam extra aus Berlin angereist – und bat beim Abschied, das nächste Mal bitte nicht gleich an seinen Chef oder Honecker zu schreiben, sondern an ihn. Er bekäme es ja sowieso auf den Tisch. Der Wechsel nach Chemnitz platzte, doch nachtragend war man in Dresden nicht. Plötzlich gab es den Krippenplatz und auch eine neue Wohnung.

Nach dem Karriere-Ende machte Wenzel sein Diplom an der Dresdner Außenstelle der Deutschen Hochschule für Körperkultur und arbeitete als Nachwuchstrainer beim SC Einheit. In Wendezeiten ging alles schnell. „Plötzlich war der Arbeitgeber weg. Nichts ging mehr. Das waren sehr bittere Erfahrungen“, sagt er. Bei Autoteile Unger bekam Wenzel eine Stelle im Außendienst. Nach einem halben Jahr Arbeitslosigkeit nutzte er die Chance, mit 63 in Rente gehen zu können.

Der Pokal der Blauen Schwerter "ein wunderbares Turnier"

Für superstark hielt sich Wenzel nie. Er hat immer noch Respekt vor Menschen, die im Alltag enorme Lasten meistern. „Mein Vater musste einst zur Mühle“, erinnert er sich. „Der Müller dort wog 70, 80 Kilo – und nahm mit Schwung zwei Zentner schwere Mehlsäcke auf die Schulter. Das hätte ich nicht geschafft, als ich noch gut im Saft stand.“ Aber er weiß auch, was mit guter Technik möglich ist. Und er erlebte, wie schnell Muskeln schwinden, als ein Gipsfuß kein Training zuließ. Heute genügen ihm Kraftgeräte für leichte Fitnessübungen.

Froh ist Wenzel, dass das Meißner Heber-Turnier um den Pokal der Blauen Schwerter am 1. Oktober die WM-Generalprobe sein soll – nachdem es coronabedingt zuletzt zweimal ausfallen musste. „Es war schon immer ein wunderbares Turnier, das einen guten Klang in der Heber-Welt hat und an dem sich viele aus der Region beteiligen, auch mit kleinen Spenden. Und es gibt ein rühriges Organisations-Team“, betont Wenzel.

Das internationale Gewichtheben hat jedoch einen schlechten Ruf, wird von ständig neuen Dopingfällen erschüttert. „Leider dopen immer wieder Idioten. Und es gibt labile Verbände, die nur an Titeln interessiert sind. Deshalb steht Gewichtheben 2028 nicht im Olympia-Programm und soll 2024 reduziert werden. Wenn noch ein brisanter Fall auftaucht, dann ist Schluss. Das wäre eine Katastrophe“, sagt Wenzel.

Geburtstag wird mit Verspätung gefeiert

Auch er geriet in den 1990er-Jahren in große Überschriften: Als Dopingfolgen wären ihm Brüste gewachsen, die wegoperiert werden mussten. „Quatsch“, sagt Wenzel – und dass ein Boulevard-Journalist auf der ersten Seite mal eine Schlagzeile haben wollte. „Ich hatte eine Verhärtung in der Brust, da wurde Gewebe entfernt. Das kommt vor“, so Wenzel, der seinen 70. Geburtstag Ende April in großer Runde feiert und dann vielleicht auch die Geschichte erzählt, wie seine beiden Kinder einst den Medaillen-Karton vom Boden holten.

Da lagen alleine 19 WM-Plaketten drin, ganze EM-Medaillensätze, die von DDR-Meisterschaften, Junioren-Höhepunkten und Spartakiaden. „Die Kinder“, sagt Wenzel und lächelt, „haben sie mit in den Sandkasten genommen und die Spielkameraden sich sehr gefreut.“