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ZDF-Doku über Noah Berge: "Ich weiß, dass ich so nicht weitermachen will"

Der begleitete Suizid des früheren Dresdner Basketballers Noah Berge hat viele Menschen bewegt. Die "37°"-Reportage des ZDF war so nah dran, dass es mitunter schwer zu ertragen ist.

Von Michaela Widder
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Basketball war sein Leben. Noah Berge spielte in der Saison 2017/2018 für die Titans Dresden. Ein Unfall änderte alles. Sein Schicksal bewegte viele Menschen.
Basketball war sein Leben. Noah Berge spielte in der Saison 2017/2018 für die Titans Dresden. Ein Unfall änderte alles. Sein Schicksal bewegte viele Menschen. © Philipp Cherubin

Dresden: Es ist der Abend des 5. Februar 2022, wenige Minuten bevor der tödliche Medikamentencocktail durch seine Adern fließt. Noah Berge liegt auf dem Bett in seiner Wohnung, für die Giftinfusion braucht er nur noch den Hebel mit seinem Kinn umzuschalten. Die Kamera ist selbst in diesem Moment nah dran, so nah, dass es mitunter für den Zuschauer schwer zu ertragen ist. Suizid ist ein schweres Thema - und der selbst bestimmte, professionelle Tod noch immer ein Tabu.

"Ich bin mir wirklich sicher, die richtige Entscheidung zu treffen. Ich würde sie immer noch als beste Entscheidung meines Lebens bezeichnen." Diesen Satz sagt Noah Berge, 23, am Tag vor seinem Tod. Auf der Reise dorthin begleiten den früheren Dresdner Basketballer Autorin Tina Soliman und Kameramann Torsten Lapp für die "37°"-Reportage, die noch bis Sonntag in der ZDF-Mediathek zu sehen ist.

Noah Berge: "Hätte lieber nicht überlebt"

Noah Berge war ein begnadeter Basketballer, spielte bei den Niners in Chemnitz und in der Saison 2017/18 bei den Dresden Titans. Bis der schwere Unfall am 4. Oktober 2018 passierte: Auf dem Heimweg von seiner ersten Studentenparty in Jena wurde der damals 20-Jährige von einer Straßenbahn erfasst. Tagelang lag er im Koma, die Ärzte kämpften um sein Leben. Als er erwachte, erfuhr Noah Berge, dass er vom Hals abwärts gelähmt ist.

"Wenn man mir die Frage gestellt hätte, ob ich den Unfall gerne überlebt hätte oder lieber nicht - ich hätte immer gesagt: Lieber nicht überlebt", sagt Noah Berge kurz vor seiner Entlassung zu seiner Mutter, die eine wichtige Rolle in seinem Leben und in der Doku spielt - und die ihn bittet, es doch wenigstens zu versuchen, so zu leben.

Eine beispiellose Spendenaktion hatte damals deutschlandweit für Schlagzeilen gesorgt. Knapp 114.000 Euro sind für die Einrichtung einer behindertengerechten Wohnung zusammengekommen. "Beim Duschen oder Waschen brauche ich Unterstützung. Dann werde ich alle vier Stunden kathetert, um die Blase zu entleeren, weil ich noch nicht bereit bin, dauerhaft einen Schlauch aus mir raushängen zu haben", hatte Berge Anfang 2020 über seine Lebensumstände auf Sächsische.de erzählt. Es war eines seiner wenigen und letzten öffentlichen Interviews.

Er stellt sich den Fragen des Für und Wider

Er kämpft daraufhin um Lebenssinn, beginnt ein Psychologie-Studium, trifft viele Freunde, besucht Spiele, wird sogar Basketball-Trainer in Leipzig. "Jedes Mal, wenn ich in die Halle fahre, könnte ich heulen, mein Herz blutet, ich will spielen", sagt er. Noah Berge wird immer mehr bewusst: "Ich will und kann das so nicht - gefangen im Körper." Nicht mal mehr das Streicheln über die Hand zu fühlen, seinen kleinen Bruder einfach in den Arm nehmen zu können, das quäle ihn wirklich.

Sein Entschluss steht fest, und dafür braucht er das letzte Mal Hilfe. Allein die Option sterben zu dürfen, gibt ihm jetzt Kraft. Fragen des Für und Wider weicht er dabei nicht aus. "Noah, diese Liebe zu den Menschen, reicht das nicht, um dich im Leben zu halten?", fragt die Journalistin. Noah Berge antwortet sehr klar und entschieden: "Es hat gereicht, um mir die letzten drei Jahre die Kraft zu geben. Und trotzdem weiß ich jetzt, dass ich so nicht weitermachen will."

Ex-Basketballer den sanften Freitod genau geplant

Wie zerrissen selbst sein engstes Umfeld über den Sterbewunsch ist, zeigt die Dokumentation, von der man sich zwischenzeitlich wünscht, dass sie doch nur ein Film ist. Aber es ist das echte Leben - und vor allem geht es um den Tod. Seine Mutter versucht ihn zu verstehen, seine Ex-Freundin Cassy, noch immer eine enge Vertraute, will und kann seine Entscheidung nicht akzeptieren. Egoismus wirft sie ihrem besten Freund vor. Auch sein kleiner Bruder Janne, erst acht Jahre alt, hadert mit dem Vorhaben seines großen Vorbilds. Abbringen kann auch er ihn nicht. Alle kämpfen mit den Tränen - und die eigenen beim Anschauen der TV-Sendung zurückzuhalten, fällt schwer.

Der frühere Leistungssportler plant längst sein Ableben. Weil ein sanfter Tod Hilfe braucht, wendet sich Noah Berge an einen Sterbehilfeverein. Erst seit 2020 ist Beihilfe zum Suizid in Deutschland legal. Sein Termin steht. Es wird der 5. Februar, fünf ist seine Glückszahl. Er komponiert sogar einen Song, nennt es sein "Vermächtnis" und schreibt seine Trauerrede selbst.

Ob er Angst vor dem Tod habe? "Gar nicht", sagt er noch am Tag vor dem assistierten Suizid, nur "Respekt vor dem Ungewissen". Die Kamera ist noch immer dabei, als er die letzte Runde in der Basketballhalle dreht, und selbst dann noch, als er am Abend auf dem Sterbebett in seiner Wohnung liegt. Seine Mutter Claudia weicht nicht von seiner Seite, sie lässt tief in ihr Seelenleben blicken und erzählt später auch über die letzten gemeinsamen Stunden bis er es "geschafft" hat. Denn sie weiß: "Lieben heißt auch loslassen."

Anmerkung der Redaktion: Aufgrund der hohen Nachahmerquote berichten wir in der Regel nicht über das Thema Suizid, außer es erfährt durch die Umstände besondere Aufmerksamkeit. Wenn Sie selbst unter Stimmungsschwankungen, Depressionen oder Selbstmordgedanken leiden oder Sie jemanden kennen, der daran leidet, können Sie sich bei der Telefonseelsorge helfen lassen. Sie erreichen sie telefonisch unter 0800 1110111 und 0800 1110222 oder im Internet auf www.telefonseelsorge.de. Die Beratung ist anonym und kostenfrei, Anrufe werden nicht auf der Telefonrechnung vermerkt.