Olympia: Was ist im Athleten-Koffer?

Dresden. Es klingt wie ein Traum. Man geht zur Anprobe und bekommt Wochen später einen Koffer voller Shirts, Hosen, Kleider, Schuhe, Jacken, Basecaps zugeschickt. Außerdem stecken noch Sonnenbrille, Socken, Schweißbänder, Badelatschen und Handtuch drin. Und das alles kostet keinen Cent. Ein Modemärchen? Nein. Doch es gibt natürlich einen Haken, in diesem Fall sind es sogar zwei: Der persönliche Geschmack spielt keine Rolle, auswählen geht nicht. Und man muss zu den 434 Sportlern aus Deutschland gehören, die sich für die Olympischen Spiele qualifiziert haben.
Tina Punzel ist eine von ihnen, und das Einkleiden fühlt sich für sie ein bisschen wie Weihnachten an: Spannung – Überraschung – Freude. Die 25-Jährige ist zufrieden mit der Bescherung. „Die Materialien sind sommerlich leicht, die Farben angenehm. Vieles werde ich auch privat anziehen“, sagt die Dresdnerin. In den nächsten Tagen ist es in Tokio erst mal ihre Dienstkleidung.
Das darf man durchaus wörtlich nehmen. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hat in den Koffer auch ein kleines Heft mit der Anzugsordnung gelegt. Auf mehreren Seiten ist detailliert vorgeschrieben, welche Kleidungsstücke zu welchen Anlässen getragen werden müssen. Es gibt Outfits für die Flüge, für die Eröffnungs- und Schlussfeier, für die Siegerehrung, fürs Training und für die Freizeit. Alles soll schön einheitlich aussehen. „Ich musste nur noch meine Unterwäsche und meine Badeanzüge einpacken, sonst ist alles dabei, was man zum Anziehen braucht“, erzählt Punzel.





Die Wasserspringerin startet zum zweiten Mal bei Olympia. Von den Spielen in Rio de Janeiro vor fünf Jahren hat sie noch textile Erinnerungsstücke, komplett ist die Sammlung jedoch nicht mehr. „Es gab in Rio eine Art Tauschbörse unter den Sportlern. Ich zum Beispiel habe T-Shirts gegen welche von anderen Nationen getauscht“, erklärt sie.
Nach der Rückkehr aus Brasilien wurde ein Teil als Geschenke an Verwandte und Freunde weitergereicht, vor allem Taschen. Als Angehörige der Sportfördergruppe der Bundeswehr bekommt sie noch Gepäckstücke mit dem schwarzen Kreuz drauf. „Irgendwann wird es dann einfach zu viel“, sagt Punzel.
Verschenken ist erlaubt, Verkäufe im Internet etwa über Ebay waren früher verboten, nun wird es nicht gern gesehen. Eine Konkurrenz zum DOSB-Fanshop, wo T-Shirts aus der Olympia-Kollektion für 45 Euro angeboten werden, könnte das Geschäft verderben.
Spitzensportler: Mehr Belastung als Privileg
Für Punzel ist die kostenlose Ausstattung mit Sport- und Freizeitkleidung nicht nur ein Andenken an die wichtigsten Wettkämpfe ihrer Karriere, sondern auch eine Art Entschädigung für viele Entbehrungen. Spitzensportler zu sein, ist mehr eine Belastung als ein Privileg.
Ständig auf die Figur achten, regelmäßige Dopingproben, die ins Intimleben eingreifen, wenig Zeit für Ausbildung oder Studium – es gibt einige Dinge, die nicht lukrativ sind. Auf der anderen Seite werden gerne Ruhm, Aufmerksamkeit, Bekanntheit und damit verbunden Sponsoreneinnahmen aufgeführt.
Doch all das trifft aufs Wasserspringen kaum zu. Die Salti- und Schraubenartisten trainieren täglich stundenlang an Land oder im Wasser, tauchen aber nur alle vier Jahre bei Olympia länger im öffentlich-rechtlichen Fernsehen auf. Berühmt wird man so nicht.
Eine Goldmedaille beim größten Sportereignis könnte das ändern, doch auch da gibt es einen Haken: China, wo Wasserspringen so populär ist wie hierzulande Fußball, dominiert die Sportart, meist feiert das Land Doppelsiege. Auch die fünfmalige Europameisterin Punzel hat bei ihren drei Disziplinen, bei denen sie in Tokio antritt, allenfalls Außenseiterchancen auf eine Medaille.
Entscheidung fällt nach dem Urlaub
Ob die zweiten auch ihre letzten Spiele sind, hat sie noch nicht entschieden. Wenn sie zurücktritt, dann sofort. „Wir Wasserspringer planen immer in Olympiazyklen“, sagt sie, also im Vier-Jahres-Rhythmus. Durch die Corona-Verschiebung der Tokio-Spiele sind es nun nur drei Jahre. Das könnte ein Argument sein fürs Weitermachen.
Andererseits war sie bei ihrer ersten WM gerade mal 15, ist also schon zehn Jahre in der Spitze dabei. „Das Training, die Strapazen gehen auf die Knochen, das spüre ich“, sagt sie. „Wonach ich mich am meisten sehne: spontan zu sein, selber planen zu können und mich nicht ständig an Trainings- und Ernährungspläne halten zu müssen.“
Direkt nach ihrer Rückkehr aus Tokio schreibt die Studentin eine Prüfung in Organisationsmanagement. Danach geht es zum Abschalten nach Mallorca, dort will sie entscheiden, ob es weitergeht mit dem Springen. Den Urlaubskoffer muss sie alleine packen, kann aber selbst entscheiden, was reinkommt.