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Francesco Friedrich: Der Beste kommt zum Schluss

Der Pirnaer Bobpilot Francesco Friedrich hat die schwersten Tage seiner Karriere hinter sich und trotzdem den nächsten Rekord: zweimal zwei Olympiasiege.

Von Tino Meyer
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Helm und Fahne in der Hand, den Goldschrei im Mund. Francesco Friedrich.
Helm und Fahne in der Hand, den Goldschrei im Mund. Francesco Friedrich. © dpa-Zentralbild/Robert Michael

Peking. Er hat es geschafft, sie haben es geschafft – und jetzt sind irgendwie alle geschafft. Wieder Gold, bereits das zweite für Francesco Friedrich bei diesen Winterspielen, sein viertes insgesamt. „Erst mal fällt eine Last ab, und wir sind wahnsinnig glücklich“, sagt der 31-jährige Bobpilot, der seine Sportart so dominiert wie keiner vor ihm. Vor allem Deutschland hat immer wieder Weltklasse-Athleten hervorgebracht, Friedrich übertrifft sie alle.

Bei Olympia beide Disziplinen zu gewinnen ist in der knapp hundertjährigen Bob-Historie überhaupt erst sechs Piloten gelungen, ihm nun schon zweimal. Die Olympiasiege sowohl im Zweier als auch mit dem Vierer vier Jahre später zu wiederholen – das ist Friedrichs nächste Bestmarke. Sonntagmittag, exakt 12.05 Uhr, macht der Ausnahmeathlet aus Pirna das doppelte Double perfekt. Zusammen mit seinen Anschiebern Thorsten Margis, Candy Bauer und Alexander Schüller setzt er sich am Ende doch wieder vor Johannes Lochner und seinem Team durch, die nach dem ersten Lauf mit Bahnrekord vorn lagen.

Der vierte und entscheidende Lauf, bei dem der bis dato Führende als Letzter startet, wird zu einer Triumphfahrt. Der Beste, könnte man auch sagen, kommt im Eiskanal zum Schluss, und einmal mehr ist es Friedrich. „Francesco ist der Dominator, ich habe Riesenrespekt, dass er über die Jahre immer wieder die Leistung auf den Punkt abruft und eigentlich uneinholbar ist, für keinen auf der Welt“, sagt Lochner, bei diesen Spielen mit Abstand der Beste – vom Rest der Welt. Dann folgt der Kanadier Justin Kripps. Als Dritter knapp vor dem Zweier-Überraschungsdritten Christopher Hafer verhindert er den nächsten deutschen Dreifach-Triumph.

Der Mann des Tages aber ist Friedrich, der Rekordmann. „Das ist gerade total uninteressant“, sagt er – und geht, so kennt man ihn, sofort in die Analyse mit Blick auf das große Ganze. Friedrich lobt seine Anschieber für die Startzeiten („megamäßig gemacht“), hebt Ersatzmann Martin Grothkopp hervor („mentale Stütze“) und bedankt sich bei allen Trainern und Helfern an der Bahn, aber auch zu Hause in Sachsen. Bobsport ist Teamarbeit, und für Friedrich ist die Mannschaft die Basis für seinen überwältigenden Erfolg. „Ohne sie alle wäre das hier nicht möglich“, betont er. Bei ihm ist das nicht so dahingesagt, er meint das wirklich so.

Begriffen hat er natürlich sofort, was hier im Eiskanal von Yanqing passiert ist. Nichts anderes als die Goldmedaillen drei und vier sind das Ziel gewesen, darauf war in den vergangenen Jahren alles ausgerichtet, Formaufbau, Materialentwicklung und letztlich auch das Familienleben. „Um uns vor Corona zu schützen, sind wir oft zwei, drei Tage mehr unterwegs gewesen“, erzählt Friedrich, der seine zwei Söhne seit Dezember aus der Kita genommen hat.

Bei Olympia soll sich das alles auszahlen, und doch sind die Tage in den chinesischen Bergen die mental bislang größte Herausforderung für Team Friedrich, das seit 2017 alle großen Rennen gewonnen hat. „Die ganze Bobwelt will uns schlagen, und das schon seit Jahren – das ist brutal anstrengend“, sagt Chef-Anschieber Margis, und er gesteht: „Wir hatten große Zweifel im Zweier, waren guter Dinge im Vierer – wussten aber, dass es hart wird.“ Bundestrainer René Spies bestätigt das.

Während Lochner mit der neuen Olympiabahn sofort zurechtkam, brauchte Friedrich, den sie alle Franz nennen, schon bei den Trainingswochen im vergangenen Oktober deutlich mehr Zeit. „Dasselbe ist jetzt noch mal passiert, er hat dann den Bobwechsel gemacht. Mehr kann man den Jungen nicht unter Druck setzen“, sagt Spies und stellt fest: „Und trotzdem hat Franz wieder zurückgeschlagen. Das ist einfach diese mentale Stärke, die kann man auch nicht mit einem Sportpsychologen trainieren, die hat er tief in sich.“

Goldkurs: Francesco Friedrich braucht etwas Zeit in den chinesischen Bergen, dann hat er die neue Bahn im Griff.
Goldkurs: Francesco Friedrich braucht etwas Zeit in den chinesischen Bergen, dann hat er die neue Bahn im Griff. © dpa-Zentralbild/Robert Michael

Mit dem psychischen Druck, der angesichts der Siegesserie wie auf keinem anderen lastet, kann der Rekordjäger und Titelsammler wie kein anderer umgehen. Friedrich ignoriert ihn einfach. Bei Rennen befindet er sich in jenem Tunnel, von dem Leistungssportler immer wieder sprechen und damit die ausschließliche Fokussierung auf den Wettkampf meinen. Mit einem Unterschied: Viele verkrampfen in solchen Situationen, Friedrich ruft mindestens sein Leistungsvermögen ab – und wächst manchmal noch über sich hinaus. Wie 2018 im olympischen Zweierrennen, das er zeitgleich mit Kripps gewinnt, und jetzt wieder.

„Die Psyche“, meint er, „ist immer entscheidend. Wir haben Spaß, bei dem, was wir machen, und trotzdem Druck. Es gilt einfach, die richtigen Handgriffe im richtigen Moment zu machen.“ Es ist eine typische Friedrich-Erklärung.

Viermal sind er und seine Anschieber am Start mit Abstand die Schnellsten. Doch nicht alles funktioniert, auch wenn das wie im ersten Lauf für Außenstehende gar nicht ersichtlich ist. „Wir haben uns vorgenommen, hier nicht zu weit zu rennen. Und was machen wir: Wir rennen viel zu weit. Aber das passiert, wir sind auch nur Menschen“, sagt Friedrich, der bekennende Perfektionist. Entsprechend ist die Stimmung: angefressen-aggressiv. Das Resultat zeigt sich im zweiten Lauf – Startrekord, Laufbestzeit, Führung – und belegt, was sein Heimtrainer Gerd Leopold schon nach dem Zweier sagte: „Wenn Friedrich gefordert ist, bringt er seine beste Leistung.“Auf den Punkt topfit präsentiert sich das gesamte Team, Trainingsplanung und -steuerung stimmen perfekt. Eindrucksvoll zu sehen ist das vor allem bei Margis, der auch die Rolle des Chef-Motivators einnimmt. Der 32-Jährige reißt die anderen mit und hat sich zudem selbst in eine nicht mehr für möglich gehaltene Form gebracht. Dass er die deutsche Fahne bei der Abschlussfeier am Sonntagabend tragen darf, nachdem Friedrich diese Ehre bei der Eröffnung zuteil wurde – es ist, wie Margis sagt, das i-Tüpfelchen. „Ziemlich surreal, was hier abgelaufen ist“, meint er, und das nicht allein bezogen aufs Sportliche.

Friedrichs Blick geht indes nach vorn. Er wolle in der nächsten Saison etwas lockerer lassen, im Sommer auch mal mehr Urlaub und „der Familie wieder etwas zurückgeben nach diesen zwei verrückten Corona-Jahren“. Doch dann kommt die Ansage: „Wir sind trotzdem noch nicht müde, und vielleicht können wir das in vier Jahren in Cortina noch mal alle zusammen schaffen“, so Friedrich.

Er meint Olympia 2026 in Cortina d’Ampezzo. Ein Rekord ist schließlich noch offen. Nach Goldmedaillen hat Friedrich nun zwar mit Bob-Ikone André Lange gleichgezogen, der aber noch eine silberne dazu. Nicht nur Bundestrainer Spies ahnt, was das bedeutet. Er ist noch selbst gegen Lange gefahren, er hat den Vergleich. „André Lange“, sagt Spies, „war schon wahnsinnig gut, aber Francesco Friedrich ist noch mal eine Nummer oben drauf.“