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„Olympia muss nachhaltiger werden, sonst stirbt es aus“

Felix Neureuther spricht über olympische Fehlentwicklungen, die Aufgaben der Politik und seine Forderungen an die Sportler. Der zweite Teil des Interviews.

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National Geographic hat der frühere Skirennläufer Felix Neureuther die Dokumentation „Rettung der Alpen“ gedreht.
Zusammen mit National Geographic hat der frühere Skirennläufer Felix Neureuther die Dokumentation „Rettung der Alpen“ gedreht. © dpa/Lino Mirgeler

Garmisch-Partenkirchen. Seine größten Erfolge feierte Felix Neureuther nicht bei den Olympischen Spielen. Für den alpinen Skifahrer waren die beiden achten Plätze im Riesenslalom 2010 in Vancouver und 2014 in Sotschi das Maximum. Die Spiele 2018 in Pyeongchang verpasste der Slalom-Vizeweltmeister von 2015 wegen einer Knieverletzung. Dennoch ist Olympia das Größte für den 37-Jährigen. Im Interview spricht er über Klimawandel und Nachhaltigkeit, über die mangelnde Glaubwürdigkeit des Skisports, über Olympia im Allgemeinen und in Peking im Besonderen.

Herr Neureuther, wenn wir über Umwelt und Klimaschutz reden – sind die Olympischen Spiele denn noch zeitgemäß, wenn ständig neue Anlagen errichtet oder Wälder für Pisten abgeholzt werden?

Olympische Spiele sind etwas Einzigartiges. Ich liebe Olympische Spiele und letztlich haben sie mein Leben ja wesentlich mitbestimmt und tun es auch heute noch. Ich verdanke dieser Bewegung sehr viel und vielleicht bin ich deshalb auch so kritisch, denn die Entwicklung, die sie in den vergangenen 25 Jahren genommen hat, geht in die falsche Richtung.

Heißt?

Die Vergaberichtlinien sind in meinen Augen nicht mehr zeitgemäß. Sie sollten sich bei aller Berechtigung des finanziellen Erfolgs an der Einhaltung von Menschenrechten, Mitsprache, Finanzierbarkeit und vor allen Dingen an der Nachhaltigkeit orientieren.

Was müsste Olympische Spiele denn auszeichnen?

Die Olympia-Teilnahme ist für jeden Sportler das Größte. Man bekommt lebenslange unvergessliche Erinnerungen und Emotionen, die alle Mühen und Niederlagen aushalten lassen. Auch Veranstalter und Bürger sollten wie bei München 1972 noch nach 50 Jahren erzählen können, welche grandiosen Erinnerungen sie mit diesen Spielen verbinden und welchen positiven Einfluss diese Spiele auf das ganze Land hatten. Dazu gibt es ja viele weitere Beispiele. Dass Olympia so eine Strahlkraft besitzt, zeigt die Stärke dieser Bewegung. Aber die gilt es eben zu bewahren.

Und wie soll das geschehen?

In meinen Augen braucht es dazu Umdenken und Veränderung. Gigantismus ist kein Wert mehr. Noch mal: Wir alle werden uns verändern und anpassen müssen. Auch Olympia, dann wird es auch noch in 50 Jahren der große Wunsch aller Athleten sein, überhaupt daran teilnehmen zu dürfen. Die Olympischen Spiele müssen ganz klar nachhaltiger werden, sonst werden sie aussterben.

Sotschi, Pyeongchang, jetzt Peking – mit Nachhaltigkeit haben diese Orte aber wenig zu tun, oder?

Peking ist sicher wieder die Fortsetzung in dieser Reihe. Das macht mich traurig. Es sollten doch, wie wir es gerade in Tokio gesehen haben, die grandiosen Leistungen der Sportler und die Vielfalt der Sportarten in Erinnerung bleiben und nicht Umstände, die mit unserer Denkweise nicht vereinbar sind.

Bei Peking kommt ja die Menschenrechtsfrage hinzu. Müssten nicht irgendwann die Sportler sagen: Leute, wir fahren da nicht hin?

Natürlich wäre es schön, wenn sich mehr Sportler dazu kritisch äußern würden. Aber ganz ehrlich: Würde das etwas ändern? Das wird auch nicht allzu viel ändern. Wenn ein Sportler oder Verband in dem Bereich aktiv wird, schadet er sich am Ende nur selbst. Das ist die Krux. Die Einflussmöglichkeit einer starken Athletenkommission hielte ich für sehr wichtig. Dazu die Unterstützung starker Verbände und vor allen Dingen der Politik. Ohne Druck aus allen Richtungen erreichst du nichts. Aber das ist eine Herkules-Aufgabe.

Heißt also, die Politik müsste sagen: Wir lassen unsere Sportler nicht nach China und fangen ihre daraus entstehenden Nachteile ab?

Das wäre ein Statement. Das wäre ein richtiges Statement. Im Grunde bin ich natürlich gegen einen Boykott. Ich möchte doch keinem Sportler die Möglichkeit einer Teilnehme nehmen. Ich rede mich leicht, denn ich war ja dreimal dabei. Einem Thomas Dreßen oder unserem jungen Simon Jocher möchte ich doch niemals die Chance auf eine Medaille nehmen. Aber der Druck von allen Seiten muss einfach erhöht werden.

Müssten Sportler, gerade prominente mit einer enormen Reichweite, nicht häufiger und klarer Position beziehen?

Ich höre oft den Satz: Ich muss mich auf meinen Sport konzentrieren. Das ist ja auch richtig, denn letztlich geht es in erster Linie um die eigene Leistung. Trotzdem halte ich es für extrem wichtig oder auch für eine Pflicht, dass sich gerade erfolgreiche Sportler zu solchen Themen äußern. Das betrifft doch ihr ureigenstes Gebiet und das darf ich doch nicht anderen überlassen. Die Gründung von „Athleten Deutschland“ war ein guter und wichtiger Schritt. Das Mitspracherecht der Sportler hängt weit hinter einer modernen Mitbestimmung zurück.

Also Vorbild sein, nicht nur im Sport?

In unserer modernen digitalen Welt hat ein Sportler grandiose Möglichkeiten, sich zu positionieren und auch sein eigenes Umfeld zu erweitern. Dazu gehören eine klare Haltung und eine eigene Meinung. Die Vorbildfunktion, die du als Sportler hast, besonders auch den Kindern gegenüber, die muss dir sehr, sehr bewusst sein. Diese Wirkung darfst du nicht unterschätzen und man sollte sie im positiven Sinne auch immer nutzen.

Das Interview führten Thomas Häberlein und David Ryborz. (sid)