Punzel springt aus der Not auf Platz fünf

Im vierten der fünf Durchgänge platzte der Traum von der zweiten Olympiamedaille für Tina Punzel. Ihre Partnerin Christina Wassen hatte ihre Drehungen noch nicht ganz zu Ende gebracht, die Beine waren etwas angewinkelt, als sie ins Wasser eintauchte. Das wurde mit einer Fontäne bestraft – und mit Punktabzügen. Bis dahin lag das Duo auf dem dritten Platz. Am Ende landeten sie auf Rang fünf, 6,84 Punkte fehlten auf Bronze – das ist im Wasserspringen ein eher knapper Abstand, was die Sache noch ärgerlicher macht.
Hinzu kam, dass bis auf die überragenden Chinesinnen, 15 und 17 Jahre jung, die quasi in einer eigenen Liga sprangen, alle anderen Paare ebenfalls schwächelten. „Dass die auch Fehler gemacht haben und die Medaille dadurch greifbar war, ist natürlich schade“, fand Punzel. „Aber der Vorwärtssalto war schon im Training nicht unser stabilster Sprung, von daher kann man den Fehler, glaube ich, spätestens morgen verschmerzen. Und dann freuen wir uns auch über den fünften Platz.“
Das Duo aus Dresden und Berlin gehörte nicht zum Favoritenkreis, hatte jedoch Außenseiterchancen. Zwar hatten Punzel und Wassen beim Weltcup an gleicher Stelle im Frühjahr Platz drei belegt und das Olympia-Tickets gesichert. Doch damals fehlten die Paare aus China und den USA, die bereits für die Spiele in Tokio qualifiziert waren. Bei der Europameisterschaft im Mai in Budapest waren sie auf Platz vier gesprungen. In Tokio nun gewannen sie am Dienstagmorgen zumindest die Kontinental-Wertung, vor ihnen lagen mit China, USA, Mexiko und Kanada ausschließlich Nicht-Europäer.
Das Paar ist keine Idealbesetzung
„Wenn uns das am Anfang der Saison jemand gesagt hätte, hätten wir das sofort unterschrieben“, erklärte Punzel. „Wir haben einen stabilen Wettkampf gemacht mit vier sehr gute Sprüngen.“ Wäre auch der fünfte patzerfrei geblieben, hätte es wohl für die Medaille gereicht.
Und das wäre zumindest eine kleine Überraschung gewesen, schließlich ist das Duo keine Idealbesetzung. Punzel ist knapp einen Kopf kleiner als die 1,79 Meter große Wassen. Dadurch wird es schwieriger, bei den Drehungen in der Luft synchron zu bleiben und parallel einzutauchen. Der zweite Nachteil: Punzel ist eine Brettspezialistin, feierte ihre größten Erfolge aus drei Metern Höhe und nicht aus zehn Metern. Für Laien mag der Unterschied nicht gravierend sein, in der Praxis ist er es schon. Vom Brett wird beim Absprung die Katapultwirkung genutzt, die Springer schnellen erst mal nach oben, bevor es abwärts geht. Deshalb gibt es viele Spezialisten, die sich auf eine Höhe konzentrieren, und nur wenige Allrounder wie Patrick Hausding. Zudem ist das Programm bei Europa- und Weltmeisterschaften durch die Synchron-, Mixed- und Teamwettbewerbe derart aufgebläht, dass es nahezu unmöglich geworden ist, in allen Disziplinen anzutreten.
Punzel musste von Bundestrainer Lutz Buschkow erst überzeugt werden, es auch mal vom Turm zu probieren. 2015 feierte die Dresdnerin bei der WM im russischen Kazan an der Seite der damals 16-jährigen Wassen das internationale Debüt, das Paar landete auf Platz zehn. Es schien jedoch beim Versuch zu bleiben. Erst nach dem Rücktritt von Maria Kurjo, der jahrelang besten deutschen Turmspringerin, musste Punzel ab 2019 wieder nach ganz oben.
Und es gibt noch einen Punkt, der nicht ideal ist: Die 22-jährige Wassen lebt wie ihre jüngere Schwester Elena in Berlin. Mit Punzel gemeinsam trainieren kann sie deshalb nur bei Lehrgängen der Nationalmannschaft. Punzels Synchronpartnerin vom Dreimeter-Brett, Lena Hentschel, war dagegen extra von Berlin nach Dresden gezogen. Am Sonntag gewannen sie Bronze und die erste Medaille fürs deutsche Team bei diesen Spielen.
Dass sich Wassen und Punzel nicht allzu sehr ärgern müssen, belegt ein Blick zurück. Vor fünf Jahren in Rio war in dieser Turm-Disziplin kein deutsches Paar am Start – und besser als Platz fünf zuletzt die Dresden-Berlin-Kombination Annett Gamm und Nora Subschinski, die 2008 in Peking Vierte wurden. Die hatten damals allerdings 20 Punkte Rückstand auf Bronze.