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Olympia-Serie: Urlaub bei einer Olympiasiegerin

Langläuferin Claudia Nystad verkörperte schon immer mehr als nur Sport. Jetzt ist die zweifache Mutter Vermieterin, Bauzeichnerin - und auch Skilehrerin.

Von Michaela Widder
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Auf dem olympischen Podest: Claudia Nystad (Dritte von links) 2014 mit Nicole Fessel, Stefanie Böhler und Denise Herrmann (v. l.).
Auf dem olympischen Podest: Claudia Nystad (Dritte von links) 2014 mit Nicole Fessel, Stefanie Böhler und Denise Herrmann (v. l.). © SZ/Picture Alliance

Ramsau. Die Anzeige für ihre neue Ferienwohnung wirkt ein bisschen frivol. „Hier dürft ihr landen. Unter mir schlafen faktisch“, schreibt Claudia Nystad auf ihrer Facebook-Seite. Wenn auch: „Zwei Etagen unter mir, aber unter mir. Immerhin.“ Wer die ehemalige Weltklasse-Langläuferin kennt, weiß ihren Humor zu nehmen. Und wer darüber nicht schmunzeln kann, den will sie auch gar nicht als Gast begrüßen.

Als eine Boulevardzeitung diese einfallsreiche und humoristisch gemeinte Annonce aufgriff, hatte Nystad ihre ersten Buchungen für die Ferienwohnung in der Ramsau sicher. Seit Mitte Dezember, als die Corona-Regeln in Österreich wieder Übernachtungen zuließen, ist Nystad Vermieterin eines kleinen Apartments im Kellergeschoss ihres Einfamilienhauses, und sie lockt ihre Gäste sogar mit einer Trainingseinheit an. „Gern gehe ich mit euch auch eine Runde joggen. Ja, richtig gehört, Joggen als Bonus.“ Jedoch deutet sie an, dass dies nicht für jedermann ein Vergnügen werden könnte: „Aber nicht rumheulen danach. Aua, zu schnell, jaul, wäh wäh ...“

Sieben Jahre nach dem Karriereende und der Geburt ihrer Töchter 2015 und 2017 ist Claudia Nystad noch immer gut in Form. Früher lief sie sogar einen Halbmarathon in 1:20 Stunden, was nicht viele deutsche Läuferinnen schaffen. Aber Weltklasse – das war die Oberwiesenthalerin viele Jahre auf den dünnen Brettern.

Erster Olympiasieg als Frau Künzel

Als Nystad noch im Langlaufzirkus mitmischte, kämpften deutsche Athletinnen nicht um den Anschluss, sondern um den Sieg, zumindest in den Staffeln. Vor 20 Jahren feierte sie – damals noch unter ihrem Mädchennamen Künzel – ihr erstes Olympiagold. „An der Startlinie haben wir uns ein bisschen wie im Alpencup gefühlt“, erinnert sich Nystad an die Spiele 2002. Unmittelbar vor dem Rennen waren die russischen und ukrainischen Staffeln des Dopings überführt worden und fehlten. Die Gunst der Stunde nutzten die Deutschen und feierten mit dem Sieg den größten Erfolg im Frauen-Skilanglauf seit 22 Jahren.

Noch heute hat diese erste Goldmedaille einen besonderen Platz, allerdings nicht in Nystads Haus in Österreich. Ihre Plakette ersteigerte für 22.000 Euro das Olympische Museum im russischen Smolensk. „Darauf bin ich immer noch stolz. Das Geld ging an die Stiftung Hänsel und Gretel für missbrauchte Kinder. Ein Herzensprojekt“, erzählt sie und sagt auch, warum sie das Goldstück weggab: „Die Medaille ist mir nicht so wichtig. Es sind doch die Emotionen, die dahinterstecken und die mir keiner nehmen kann.“ Von denen konnte Nystad in all den Jahren nie genug bekommen. „Der Sport hat so eine große Amplitude, die kriegst du nicht im normalen Leben.“

Die Langläuferin aus dem Erzgebirge feierte große Erfolge, sie holte insgesamt fünf WM-Medaillen. 2006 in Turin gewann sie im Sprint sogar eine olympische Einzelmedaille. Die Sensation gelang ihr an der Seite von Evi Sachenbacher-Stehle 2010 mit Gold im Teamsprint – und das, obwohl sie bei den Spielen in Vancouver ausgelaugt war. „Es fiel mir mental schwer.“ Der Zwist mit dem damaligen Bundestrainer Jochen Behle zehrte an ihr. Er habe damals den Frauen, so Nystad, das Gefühl gegeben, sie würden „zu den alten Omas gehören“.

Gold für Deutschland: Die SZ-Olympia-Serie

Es war keine Herzensentscheidung, sondern eine aus Vernunft, dass sie nach Olympia zurücktrat. Zwar hatte Nystad einen Plan, wie es weitergehen sollte und studierte in Leipzig Wirtschaftsinformatik. Doch ein Leben ganz ohne den Leistungssport genügte ihr nicht. Da war eine gewisse Langeweile, wie sie es beschreibt. Nach drei Jahren, mit 35, wagte Nystad im reifen Sportleralter ein Comeback. Dass es hätte schiefgehen können, war ihr bewusst.

Doch sie kam erfolgreich zurück, schaffte es noch einmal zu Olympia und holte mit der Staffel 2014 in Sotschi Bronze. „Ich habe die Zeit noch einmal sehr bewusst erlebt und hatte auch viele Gönner.“ Ohne harte Arbeit ging es nicht. „Was wir geschrubbt haben, da hat keiner vor dem anderen aufgehört.“ Wie es heute ist, mag Nystad nicht bewerten, weil ihr die Einblicke ins deutsche Team fehlen. „Unsere Jungs“, erklärt sie und meint die goldene Generation um Tobias Angerer, „waren im Training animalisch unterwegs“.

Der endgültige Abschied im März 2015 fiel ihr dann leichter, auch, weil sie in froher Erwartung ihres ersten Kindes war. Im September kam Tochter Linn auf die Welt, 2017 die kleine Anni. Seit 2008 lebt sie mit ihrem norwegischen Mann Trond in Ramsau am Dachstein in einem Holzhaus, sehr idyllisch, und mit traumhaften Schneebedingungen vor der Haustür. Ihre Kinder, die sie von der Terrasse aus auf dem kleinen Skihang beobachten kann, und Trond lieben dieses ländliche Leben. „Nur 25 Prozent der Familie fehlt die Stadt“, sagt sie und lacht dabei. Die Familie ist sportlich unterwegs, die große Tochter hat aber eine klare Vorstellung: „Mama“, hat sie letztens gemeint, „was ich nie machen will, ist ein Wettkampf.“

Im Dirndl mit ihrem norwegischen Mann Trond und den beiden Töchtern Linn (unten) und Anni.
Im Dirndl mit ihrem norwegischen Mann Trond und den beiden Töchtern Linn (unten) und Anni. © privat

Die Nystads machen keinen Druck. Ihr Mann ist immer noch Langlauftrainer, er hatte mal die Norweger und Österreicher trainiert. Auch bei den deutschen Biathleten ist er als Techniktrainer regelmäßig gefragt. Zudem betreibt er mit Österreichs Ex-Kombinierer Felix Gottwald in Zell am See ein Fitnessstudio für Ältere. „Wenn ich Oma bin, würde ich auch dorthin gehen.“

Vieles würde zu Nystad passen – aber nicht das Leben als Hausfrau. Vier Jahre, in denen sie sich zu Hause ausschließlich um ihre beiden kleinen Kinder kümmerte, empfand sie mitunter als ziemlich anstrengend. „Manchmal war ich fix und fertig“, erzählt sie. Mit der Kinderbetreuung vor Ort, die täglich um 13 Uhr endet, ist es ohnehin nicht einfach, sich beruflich zu verwirklichen. Aber eine wie Nystad findet einen Weg, in dem Fall mithilfe einer liebevollen Zieh-Oma.

Und auch beruflich: Weil sie mit ihrem Studienabschluss auf dem Land keinen Job fand, machte sie noch eine Ausbildung als Bauzeichnerin. Eine künstlerische Ader hat sie schon immer. Die Malerei war während ihre Sportler-Karriere ein großes Hobby, sie lud sogar zu Ausstellungen.

Inzwischen absolviert die 43-Jährige eine Ausbildung zur Skilehrerin und gibt bereits Langlaufkurse in einem Hotel in Ramsau. Den Halbtagsjob im Büro hat sie dafür geschmissen, das war doch nichts auf Dauer. Fitnesscoach ist Nystad schon und auch C-Trainer im Leistungssport. Künftig will sie als Personalcoach arbeiten – mit und ohne Ski. Der Ehrgeiz von damals packt Nystad jetzt wieder, beruflich noch einmal neu durchzustarten.