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Das sind die Lehren aus der großen Talenteshow

Bei der ersten Junioren-WM im Shorttrack auf deutschem Boden offenbaren die Gastgeber in Dresden viel Organisationstalent, aber sportlichen Nachholbedarf.

Von Alexander Hiller
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Bei der ersten Junioren-WM im Shorttrack in Deutschland überhaupt starteten in Dresden 166 Athleten aus 36 Nationen.
Bei der ersten Junioren-WM im Shorttrack in Deutschland überhaupt starteten in Dresden 166 Athleten aus 36 Nationen. © Julia Peter

Dresden. Die spektakuläre Talenteshow ist vorbei. Und bei der ersten Junioren-Weltmeisterschaft im Shorttrack auf deutschem Boden haben sich am Wochenende in Dresden die Erkenntnisse der letzten Jahre verfestigt. Die überragenden Athleten und Athletinnen kommen aus Asien, Nordamerika und zum Teil aus Europa. Zwei neue Weltrekorde konnten am Samstag bei den ISU World Junior Short Track Championships bejubelt werden. Der Pole Michal Niewinksi sorgte über 1.500 Meter in 2:10,495 Minuten für einen neuen Junioren-Weltrekord, die koreanische Jungsstaffel mit 3:54,279 Minuten für die zweite Bestmarke von Dresden.

Die Vertreter der Deutschen Eisschnelllauf- und Shorttrack-Gemeinschaft (DESG) kämpfen nach wie vor um den Anschluss an die Weltspitze. Mit einer Ausnahme: Die gebürtige Südkoreanerin Myeongbi Jung, die seit 2019 für den Eislauf-Verein Dresden startet, konnte ihre eigenen Vorstellungen umsetzen und erreichte das Finale auf ihrer Paradestrecke über 500 Meter. Dort musste sich die 18-Jährige nur den beiden Kanadierinnen Florence Brunelle, Ann-Sophie Bachand und der Chinesin Jiarui Song beugen und verpasste eine Medaille nur um knapp 0,2 Sekunden. „Ich bin damit vollauf zufrieden und glücklich“, sagte sie. Jung selbst erreichte mit dem Halbfinaleinzug über 1.500 Meter das nächstbeste deutsche Ergebnis. Der Traum von einem Finalplatz mit der deutschen Damenstaffel zerplatzte aufgrund einer nicht unumstrittenen Disqualifikation der Deutschen.

Myeongbi Jung verpasste als Vierte über 500 Meter nur ganz knapp eine WM-Medaille. Doch die gebürtige Südkoreanerin, die seit 2019 für den Eislauf-Verein Dresden startet, war dennoch glücklich.
Myeongbi Jung verpasste als Vierte über 500 Meter nur ganz knapp eine WM-Medaille. Doch die gebürtige Südkoreanerin, die seit 2019 für den Eislauf-Verein Dresden startet, war dennoch glücklich. © www.loesel-photographie.de

Für den Gastgeberverband blieb es die einzige Finalplatzierung, weil Myeongbi Jung bei den deutschen Junioren eine ähnliche Ausnahmestellung einnimmt wie Anna Seidel bei den Aktiven. Seidel, inzwischen 24 Jahre jung, ist seit fast einem Jahrzehnt das prägende deutsche Gesicht ihrer Sportart – und mithin auch das Aushängeschild für den Weltcup in Dresden am kommenden Wochenende – bei dem auch Myeongbi Jung starten darf.

Insofern ist die Frage gar nicht so weit hergeholt, ob die Junioren-WM als Antwort dafür taugt, wer einmal das Erbe von Anna Seidel antreten könnte. Denn die Vorzeigesportlerin der DESG in der Sparte Shorttrack hat nach Olympia 2022 erklärt, dass sie sich den nächsten olympischen Auftritt in Mailand 2026 „eigentlich nicht mehr vorstellen“ könne. Die Lücke, die Seidel hinterließe, wäre nach jetzigen Leistungsstand ihrer Kollegen eine riesengroße. Im Verband gibt es freilich nicht wenige, die zunehmend darauf hoffen, dass dem Wörtchen „eigentlich“ dabei eine zunehmend gewichtigere Bedeutung zufällt.

Nach den Ergebnissen der Junioren-WM von Dresden müsste man festhalten, dass ausschließlich Myeongbi Jung dazu in der Lage scheint, in näherer Zukunft auch bei den Aktiven zur derzeit mit Abstand einzigen DESG-Shorttrackerin von Weltformat aufzuschließen. „Im Juniorenbereich kommt jetzt eher so eine kleine Delle. Wir haben viele, die in ihrem letzten Juniorenjahr sind“, sagt Junioren-Bundestrainer Daniel Zetzsche. Auch für Jung war der Auftritt bei den Titelkämpfen in Dresden ihr letzter im Juniorenbereich. „Prinzipiell glaube ich, dass wir mit den Sportlern, die da sind, wenn wir konstant mit ihnen weitertrainieren und sie sich gemeinsam entwickeln, in Zukunft zum Beispiel eine gute Staffel stellen können“, sagt Zetzsche.

Eine zweite Finalplatzierung verpasste Myeongbi Jung (l.) über 1.500 Meter knapp, da schaffte es die 18-Jährige bis ins Halbfinale. Sie war damit mit Abstand beste deutsche Starterin.
Eine zweite Finalplatzierung verpasste Myeongbi Jung (l.) über 1.500 Meter knapp, da schaffte es die 18-Jährige bis ins Halbfinale. Sie war damit mit Abstand beste deutsche Starterin. © Julia Peter

Aber den besten Deutschen – Myeongbis Bruder Ben Yanghun Jung (20) gehört als bestplatzierter DESG-Athlet im Gesamtweltcup dazu – fehlt es mit zunehmender persönlicher Qualität zusehends an adäquaten Trainingspartnern. Auch deshalb muss sich der deutsche Verband neuen Wegen öffnen. „Wir haben deshalb in diesem Jahr unsere deutsche Meisterschaft als offene Meisterschaft gestaltet“, erläutert der Nachwuchs-Bundestrainer. Sechs belgische Starter (vier Männer, zwei Frauen), die Tschechin Petra Vankova und zwei Jungs aus dem Nachbarland nahmen das zusätzliche Angebot an. „Das hebt das Niveau des Wettkampfs und die Anforderungen an unsere Spitzenleute“, sagte Zetzsche.

Der deutsche Talentepool ist mehr als übersichtlich. Nur knapp 400 Shorttracker soll es deutschlandweit im Wettkampfbereich geben. In den traditionellen Shorttrack-Nationen dürfte diese Zahl um das 50- bis 100-Fache höher liegen. „In unserem gesamten System ist es so, dass die breite qualitative Masse fehlt“, erläutert der 32-jährige Nachwuchs-Bundestrainer.

Ob die erste Junioren-WM im Shorttrack in Deutschland überhaupt da einen Funken für die Zukunft entzündet, darf bezweifelt werden. Schnelle Effekte auf eine höhere Leistungsdichte sind nahezu ausgeschlossen. „Obwohl ich im sportlichen Bereich zwiegespalten bin, war das Event für uns ein absolut gelungenes. Da haben uns auch die anderen Nationen so gespiegelt. Alle Teams haben sich hier gut aufgehoben gefühlt“, sagte Zetzsche.

Kommt die Shorttrack-WM bald nach Dresden?

Und das dürfte nicht nur für den bevorstehenden Weltcup am kommenden Wochenende eine bedeutende Rolle spielen. „Die Chance, eine Weltmeisterschaft zu bekommen, ist im Junioren- und auch im Erwachsenenbereich nicht so oft da. Das Interesse für diese Veranstaltungen ist global gesehen deutlich höher als für Weltcups“, erläutert Christoph Zepernick, Geschäftsführer der Veranstaltungsagentur Zepi Sport + Event GmbH. Nach mehreren Weltcups, Europameisterschaften und nun der Junioren-WM am Standort Dresden sei das eine Art Staffellauf. „Das Ziel ist, dass wir schließlich mal eine Weltmeisterschaft der Aktiven hier durchführen. Die DESG bewirbt sich um so ziemlich jede Weltmeisterschaft zwischen 2025 und 2027. Ich glaube, wir haben sehr, sehr gute Karten, dass wir das auch wirklich schaffen“, verdeutlicht der Veranstalter.