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Wie Chemnitzer Turnerinnen um ihre Trainerin kämpfen

Nach der Kündigung will der Verein Gabriele Frehse wieder beschäftigen. Drei Sportlerinnen starten eine Spendenaktion – und erhalten prominente Unterstützung.

Von Sven Geisler
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Ein starkes Team: Turnerin Sophie Scheder, die Olympia-Bronze gewann, und ihre Trainerin Gabriele Frehse.
Ein starkes Team: Turnerin Sophie Scheder, die Olympia-Bronze gewann, und ihre Trainerin Gabriele Frehse. © Foto: dpa/Marijan Murat

Chemnitz. Jetzt spricht der Präsident ein Machtwort. „Frau Frehse fängt definitiv bei uns als ehrenamtliche Übungsleiterin an, um das Training abzusichern“, erklärt Frank Munzer in einem Interview mit dem MDR. Der 68 Jahre alte Oberfranke, der beruflich unter anderem Unternehmen beraten hat, steht dem TuS Chemnitz-Altendorf vor. Bei dem Verein trainieren sechs Turnerinnen des deutschen Olympiakaders, so viele wie an keinem anderen Bundesstützpunkt, insgesamt sind derzeit 24 Mädchen und junge Frauen dort aktiv.

Doch ihre sportliche Entwicklung scheint gefährdet zu sein, seit mehr als fünf Monaten müssen sie ohne ihre bisherige Trainerin auskommen. Gabriele Frehse wurde nach Anschuldigungen von – ausschließlich ehemaligen – Schützlingen erst suspendiert und nun zum 30. April vom Olympiastützpunkt Sachsen, ihrem Arbeitgeber, gekündigt. Sie wird dagegen juristisch vorgehen, aber während das Verfahren schwebt, sind die Sportlerinnen „im Prinzip auf uns alleine gestellt“, wie es Sophie Scheder bereits Mitte Februar im Gespräch mit der SZ geschildert hat.

An der Situation hat sich seitdem nichts geändert, auch wenn der Deutsche Turner-Bund (DTB) eine Stelle ausgeschrieben hat. „Sie soll schnellstmöglich besetzt werden“, heißt es dazu vom Verband – und weiter: „Über die aktuelle Bewerber-Situation können wir keine Auskunft geben.“ Munzer meint, es gebe derzeit keine qualifizierten Trainer auf dem Markt und kurzfristig vor Olympia in Tokio wird kaum einer wechseln. In Chemnitz fehlen außer Frehse zwei weitere Trainer, zudem war einer vorübergehend mit gebrochenem Arm nur bedingt einsatzfähig. Sabine Petermann ist als einzige ständig präsent, Bundesnachwuchstrainerin Claudia Schunk punktuell vor Ort wie in dieser Woche. „Sie leistet eine exzellente Arbeit und hilft uns sehr“, meint Munzer, er sagt aber auch: „Sie allein kann kein vollwertiger Ersatz sein.“

Ein Affront gegen den Turner-Bund

Für den will er nun selbst sorgen. „Wir suchen im Verein einen Weg, wie wir Frau Frehse wieder einbinden, damit ein vernünftiges Training für die Mädchen möglich ist“, sagt der TuS-Vorsitzende. Allein dieses Ansinnen ist ein Affront gegen den DTB. Der Verband hatte „die vollständige Beendigung des Arbeitsverhältnisses von Frau Frehse“ gefordert, nachdem eine Anwaltskanzlei „in 17 Fällen hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für die Anwendung psychischer Gewalt“ festgesellt hatte, ohne diese konkret zu benennen.
Die Kündigung begrüßte der DTB als „richtig und notwendig“. Außerdem sei „auch jedwede andere Tätigkeit von Frau Frehse im Zusammenhang mit der Betreuung von Athletinnen am Olympiastützpunkt/Bundesstützpunkt ausgeschlossen“. Das sei mit dem Landessportbund Sachsen vereinbart worden, hieß es.

Dem widerspricht Christian Dahms: „Mit dem Landessportbund wurde gar nichts besprochen“, erklärt der Generalsekretär auf SZ-Nachfrage. Er bewerte den Fall als Vorstandsvorsitzender des Olympiastützpunktes, bei dem Frehse angestellt war. Der LSB könne keinem Verein verbieten, eine Trainerin oder einen Trainer zu beschäftigen. „Dafür gibt es keine juristische Handlungsgrundlage, es gilt die Autonomie des Sports“, betont Dahms.

Ausnahmen könnten verurteilte Sexualstraftäter oder Personen sein, die gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung verstoßen haben. Im Fall Frehse ermittelt seit Dezember zwar die Staatsanwaltschaft Chemnitz unter anderem wegen des Verdachts der Körperverletzung durch die Abgabe von Medikamenten. Frehse ist aber „zuversichtlich, dass nach Abschluss all dieser Dinge für jedermann klar sein wird, dass ich mir nichts zuschulden kommen lassen habe“. Die 60-Jährige hatte eingeräumt, einer Athletin das Schmerzmittel Tilidin überlassen zu haben, allerdings in Absprache mit dem Arzt und – anders als von der Turnerin dargestellt – nur zur einmaligen Einnahme.

Seit dem Untersuchungsbericht vom 21. Januar zu den von 14 Turnerinnen um Ex-Balken-Weltmeisterin Pauline Schäfer über das Magazin Der Spiegel erhobenen Vorwürfen gegen Frehse sind keine neuen Erkenntnisse bekannt geworden. Die Trainerin geht nach eigener Aussage „gegen eine Reihe der ehemaligen Turnerinnen gerichtlich vor, weil sie gegenüber dem Spiegel Unwahrheiten verbreitet haben“.

Hambüchen fordert Rücktritt von DTB-Verantwortlichen

Doch bis zu einer Klärung vergeht Zeit, die den aktiven Sportlerinnen fehlt, vor allem den aussichtsreichsten Bewerberinnen für einen Olympia-Startplatz. Deshalb haben Scheder, die bei den Spielen 2016 Bronze am Stufenbarren holte, sowie Lisa Zimmermann und EM-Starterin Emma Malewski über die Crowdfunding-Seite GoFundMe im Internet einen Spendenaufruf gestartet. „Bitte unterstützen Sie uns bei der Finanzierung unserer Trainerin, damit wir unseren Traum von Olympia verwirklichen können“, schreiben sie.

Ein starkes Team: Trainer und Vater Wolfgang Hambüchen mit seinem Sohn Fabian, nachdem der deutsche Vorturner bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro 2016 die Goldmedaille am Reck gewonnen und damit seine herausragende Karriere zum Abschluss gekrönt
Ein starkes Team: Trainer und Vater Wolfgang Hambüchen mit seinem Sohn Fabian, nachdem der deutsche Vorturner bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro 2016 die Goldmedaille am Reck gewonnen und damit seine herausragende Karriere zum Abschluss gekrönt © dpa/Lukas Schulze

Zielsumme waren 20.000 Euro, bis zum Freitagabend kamen fast 26.000 von mehr als 160 Spendern zusammen. Ein prominenter Fürsprecher ist Wolfgang Hambüchen, Vater und Trainer von Reck-Olympiasieger Fabian Hambüchen. Über seine 100-Euro-Spende hinaus spricht er Frehse persönlich an. „Ich wünsche Dir von ganzem Herzen, dass Du alle gegen Dich gerichteten Angriffe mit hoch erhobenem Kopf abwehren kannst, Deine tollen Mädels optimal für die nächsten Wettkämpfe vorbereitest“, schreibt Hambüchen – und wünscht denen, die ihr Lebenswerk beschädigen wollen, „die Pest an den Hals“.

Im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur forderte der 66 Jahre alte Trainer „das gesamte Präsidium des DTB, den Sportdirektor und die Cheftrainerin wegen kollektiver Unfähigkeit zum sofortigen Rücktritt auf“. Nur so könne „weiterer Schaden von der wunderschönen Sportart Kunstturnen“ abgewendet werden.

Das will auch Munzer – und Frehse wieder beschäftigen, „zum Wohle der Mädels“, wie er betont: „Das ist für mich die einzige Maxime.“ Die Turnerinnen und ihre Eltern hatten sich bereits vor Wochen für ihre Rückkehr ausgesprochen. Selbst der Verband führt Frehse auf seiner Internetseite nach wie vor als Trainerin der Kaderathletinnen. „Ich und alle anderen im Verein wollen einfach nur Gabi zurück, wie es professionell wäre“, sagt Scheder. „Wir alle sind wegen ihr und der super guten Infrastruktur nach Chemnitz gekommen.“

Scheder hat schon die Trainer-A-Lizenz und im April ein Studium an der Sporthochschule in Köln begonnen. Sie hilft den jüngeren Turnerinnen, wie sie kann. Aber auch sie kann Frehse (noch) nicht ersetzen.