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Belohnung Einzelunterricht: Besondere Schulgeschichten einer Wassersprung-Familie

Rainer Punzel besuchte die Kinder- und Jugendsportschule in Dresden, seine Tochter Tina im vereinten Deutschland das Sportgymnasium. Sie berichten von gemeinsamen Erfahrungen in verschiedenen Systemen.

Von Alexander Hiller
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Familiäre Bande: Tina und Vater Rainer Punzel verbindet die Liebe fürs Wasserspringen.
Familiäre Bande: Tina und Vater Rainer Punzel verbindet die Liebe fürs Wasserspringen. © privat

Dresden. Seine Geschichte zählt zu den besonderen, wenn die Dresdner Sportschulen in diesen Tagen ihr 70-jähriges Jubiläum feiern. Denn er war in den 1980er-Jahren ein Einzelschüler - und damit quasi immer dran. "Der arme Kerl", hieß es damals. Gemeint war Wasserspringer Rainer Punzel, der damals wie heute damit überhaupt kein Problem hat, im Gegenteil.

Die ungeteilte Aufmerksamkeit der Lehrer an der Kinder- und Jugendsportschule (KJS) hat der mittlerweile 57-Jährige nie als Nachteil empfunden - und diesen Weg schließlich auch seiner Tochter empfohlen. Tina Punzel ist den gleichen Weg gegangen, wenngleich zu anderen Zeiten, unter anderen Bedingungen - im wiedervereinten Deutschland am Sportgymnasium.

Vater Punzel wurde 1976 in der 4. Klasse auf die KJS delegiert - und blieb bis 1988. Gleich zweimal hatte er zwei Schuljahre auf drei strecken müssen, um den Anforderungen von Schule und Sport gerecht zu werden. Diese Dehnung und damit den Einzelunterricht notwendig machten unzählige Trainingslager und Wettkampfreisen, Rainer Punzel zählte damals zu den besten Wasserspringern in der DDR. "Auf mich musste in der Schule niemand warten, es ging dann weiter, wenn ich da war. Ich musste auf niemanden Rücksicht nehmen und die unterrichtenden Fachlehrer auch nicht", sagt er rückblickend.

Als Einzelschüler im Vorteil

Das ist ein Detail seiner Schulzeit, das ihn mit seiner Tochter verbindet. Tina, Jahrgang 1995, kam als Talent 2005 ans Sportgymnasium, das damals noch auf der Parkstraße angesiedelt war, also dort, wo auch ihr Vater zur Schule ging. Auch sie konnte die 8. und 9. Klasse sowie die 11. und 12. Klasse insgesamt auf drei Jahre strecken. Die jüngere Klassenstufe absolvierte Tina dabei mit nur einer weiteren Schülerin. "Wenn wir nicht da sein konnten, ist auch nichts ausgefallen. Ich fand das nie schlimm", sagt die Olympiadritte von 2021.

Ihr Vater hat das in der KJS in unmittelbarer Nähe des Dynamo-Stadions ganz ähnlich empfunden. "Die Lehrer wussten, wann ich da bin, was ich für Aufgaben habe, und konnten in den 45 Minuten Unterricht komplett auf mich eingehen", erzählt er. Zudem konnte man sich als wissbegieriger Schüler im Laufe der Jahre einige Extras verdienen.

Tina Punzel mit ihrer wichtigsten Medaille: Olympiabronze gewann die Dresdnerin 2021 in Tokio im Synchronspringen vom Drei-Meter-Brett mit Partnerin Lena Hentschel.
Tina Punzel mit ihrer wichtigsten Medaille: Olympiabronze gewann die Dresdnerin 2021 in Tokio im Synchronspringen vom Drei-Meter-Brett mit Partnerin Lena Hentschel. © © by Matthias Rietschel

"Es gab einige Lehrer, die haben zwischendurch mal einen Kaffee gekocht", erzählt der Familienvater. Der zweifache EM-Vierte kann sich auch an skurril anmutende Situationen erinnern. Im Fach Musik musste er auch als Einzelschüler singen. "Tatsächlich habe ich bei der Musiklehrerin am Flügel gestanden, und wir haben Volks- und Kampflieder gesungen. Das war jetzt nicht mein Lieblingsfach", sagt er lachend.

Oder die Anekdote mit Dynamo. "Ich hatte bis 18.30 Uhr Unterricht, es muss im Winter gewesen sein. Denn Dynamo spielte gerade daheim im Europacup. Also hat mein Physiklehrer den Schwarz-Weiß-Fernseher angemacht und wir haben Fußball geschaut."

In der 8. Klasse insgesamt 61 Fehltage durch den Sport

Tina Punzel schwärmt von der engen Kooperation mit den Lehrern während ihrer Trainingslager und Wettkämpfe. Und das waren viele. Allein in der 8. Klasse hatte die derzeit in Innsbruck wohnhafte Studentin für Wirtschaftswissenschaft insgesamt 61 Fehltage angehäuft. Doch per Videocall, Mail oder Telefon konnten auch da die wichtigsten Lerninhalte abgesprochen werden.

"Klar wird das Verhältnis vertrauter. Die Lehrer waren immer interessiert daran, was wir machen. Doch viel musste man sich in Eigenverantwortung erarbeiten", betont sie und ergänzt: "Es stand für mich außer Frage, dass ich ein gutes Abitur machen will." Das schaffte sie mit 1,5.

Vater Punzel, seit 1992 Diplomsportlehrer, nahm einen vorgedruckten Lehrgangsplan auf seine Trainingsreisen, "auf dem jeder Fachlehrer den Stundenumfang und den Inhalt an Aufgaben einschreiben musste. Es gab auch anderes Material, wie Lehrbücher, was abgearbeitet werden musste. Alles analog, alles ausgedruckt oder handgeschrieben."

Seit 2002 arbeitet er als sogenannter Profilsportlehrer am Sportschulzentrum, ist damit also wieder zurückgekehrt an "seine Schule". Simpel ausgedrückt, ist der gebürtige Dresdner damit für alle Sportschüler mit dem Profil Wasserspringen verantwortlich, übernimmt beispielsweise die Trainingszeiten vorm Unterricht.

Und vielleicht ist es das, was Tina nicht nur wegen der besonderen Familiengeschichte über die Zeit an der Sportschule sagt: "Wenn es einen Standort gibt, der solche Möglichkeiten anbietet, dann sollte man sie nutzen. Das enge Miteinander war etwas Unvergleichliches. Das fühlte sich wie eine Sportfamilie an."