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Der Batman mit der Bommelmütze

In den 50er- und 60er-Jahren hob Helmut Recknagel die Schanzenwelt aus den Angeln. Am Sonntag wird der erste deutsche Skisprung-Olympiasieger 85.

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Oberwiesenthal 1961: Helmut Recknagel mit seinem Markenzeichen auf dem Kopf in der Startluke auf der großen Schanze am Fichtelberg.
Oberwiesenthal 1961: Helmut Recknagel mit seinem Markenzeichen auf dem Kopf in der Startluke auf der großen Schanze am Fichtelberg. © picture alliance/Ernst-Ludwig Bach

Von Christoph Leuchtenberg

Berlin. Helmut Recknagels größter Wunsch wird unerfüllt bleiben. „Ich möchte noch einmal 19 sein und 250 Meter springen“, sagte Deutschlands erster Skisprung-Olympiasieger. Wenn der „Schanzen-Sputnik“ aber am Sonntag stolze 85 Jahre alt wird, singen ihm seine Nachfolger, die längst über Recknagels Traummarke gesegelt sind, vielleicht beim Skiflug-Weltcup in Oberstdorf ein Ständchen. Denn der Thüringer Pionier hat vielen erst die Türen geöffnet.

Mit Holzbrettern, Bommelmütze und im „Batman-Stil“ mit nach vorn gestreckten Armen hob der Werkzeugmacher aus Steinbach-Hallenberg die Skisprungwelt aus den Angeln. Oft war er der erste seiner Art: In seinem Traumalter von 19 gewann er 1957 als erster Deutscher die legendären Holmenkollenspiele in Oslo. „Es schien, als sei im Vatikan eine Frau auf den Stuhl Petri gestiegen“, schrieb Recknagel dazu in seiner von Anekdoten sprühenden Autobiografie „Eine Frage der Haltung“.

1958 gewann er wieder als erster Deutscher die Vierschanzentournee, wurde zwei Jahre später Olympiasieger, erster deutscher Weltmeister. „Den Olympiasieg von 1960 und die fünf Erfolge bei den Skiflugwochen zwischen 1957 und 1962 stelle ich auf eine Stufe“, sagte Recknagel, den die folgenden Größen der DDR-Springer, Hans-Georg Aschenbach und Jens Weißflog, als großes Vorbild nennen.

Ein Eklat bei der Vierschanzentournee

Als er auch im jugoslawischen Skisprung-Mekka Planica mit Schanzenrekord gewann, „war ich der Komet, die Rakete. Ein Blatt nannte mich gar Skisprung-Sputnik.“ Ein komplett linientreuer DDR-Athlet war Recknagel nicht, lag mit der Sportführung auch über Kreuz. Dennoch steckte der dreimalige Tourneesieger mittendrin im Kalten Krieg. Als 1958 nach seinem Sieg in Oberstdorf versehentlich die westdeutsche Nationalhymne gespielt wurde, kam es zum Eklat. „Ich sprang vom Podest und gab die Trophäe zurück“, so Recknagel. Erst als sich der Oberbürgermeister entschuldigte, glätteten sich die Wogen.

Auch als Recknagel vor seinem Olympiasieg Fahnenträger der gesamtdeutschen Mannschaft war, verlief das nicht geräuschlos. „Einige Blätter schrien Protest. Man könne auf keinen Fall dem 22-jährigen Kommunisten ins Stadion folgen“, sagte er, der immer betonte: „Wir sind Sportler und keine kalten Krieger.“ Auch nach der Karriere blieb es turbulent: Recknagel holte die Hochschulreife nach, studierte Veterinärmedizin, promovierte mit einer Untersuchung an Albino-Ratten. Nach der Wende saß er plötzlich auf der Straße, hielt sich mit ABM-Stellen über Wasser. Dann gründete er ein Krankentransport-Unternehmen, ehe er 1996 ein Sanitärhaus in Berlin-Friedrichshain eröffnete.

Die Hauptsache aber: Von schweren gesundheitlichen Problemen vor anderthalb Jahrzehnten hat sich Recknagel komplett erholt, kann das Leben genießen. „Gesund bleiben, die Zeit nutzen und nicht vor 88 Jahren die Ohren anlegen“, nannte er einmal als Ziel. Auch diese Marke wird Recknagel wie so viele andere hoffentlich weit überfliegen. (sid)