Altenberg. Bob ist eine Komplexsportart, bestehend aus den drei Teilbereichen Start, Fahrweise und Material. Das ist an diesem Wochenende bei der WM in Altenberg wieder sehr deutlich geworden. Mancher kann extrem schnell rennen, andere gelten als Toppiloten, und das Material ist sowieso immer ein Thema für sich.
Bei Francesco Friedrich passt alles. Mit großer Überlegenheit gewinnt der Rekordweltmeister aus Pirna am Sonntag die Königsdisziplin. Nach vier Läufen haben der Pilot des BSC Sachsen Oberbärenburg und sein Team satte 0,79 Sekunden Vorsprung auf den Österreicher Benjamin Maier, den dritten Platz sichert sich Johannes Lochner.
Mit seinem elften WM-Titel wiederholt Friedrich den Vorjahressieg an gleicher Stelle, es ist sein fünfter Doppel-Sieg in Serie beim Saisonhöhepunkt: viermal bei der WM sowie bei Olympia 2018. „Es war ein spezielles Jahr. Wir hatten Glück, dass wir wieder auf unserer Heimbahn fahren konnten“, sagt Friedrich und fügt an: „Nächstes Jahr wird es am Start und dann auch in der Bahn enger zugehen.“ Das sollte es schon diesmal, doch vier Faktoren entscheiden für den 30-Jährigen.
Faktor eins: Luxusproblem bei den Anschiebern
Der Sieger ist wieder Team Friedrich, doch ein Detail ist anders als im vergangenen Jahr, als die Einsätze aufgeteilt wurden und am Ende alle Weltmeister waren: Thorsten Margis im Zweier sowie Candy Bauer, Martin Grothkopp und Alexander Schüller im Vierer. Doch ein Jahr vor den Olympischen Spielen in Peking, und nur darauf zielen alle Planungen ab, gibt es eine neue strategische Ausrichtung: die Besten an den Startbügel. „Das ist ein relativ feinfühliges Thema, da muss man aufpassen, wie man mit den Anschiebern umgeht“, sagt Friedrich, hat aber einen Weg gefunden. Und der lautet Leistung und Klartext.
Das Ergebnis ist eine Umbesetzung im Vierer: Schüller (23 Jahre und Schnellster) ist auf Position vier gesetzt, von vier auf Position zwei rückt Margis (31, Zweitschnellster, sitzt dort am besten). Bleiben für die Position drei Grothkopp (34) und Bauer (34) – der schließlich diesmal knapp vorn liegt.

Olympiasieger Grothkopp, bei jedem anderen Team gesetzt, muss also zusehen, wie das Team zum nächsten Titel fährt. „Es war wichtig, dass Thorsten einen richtigen Weltmeisterschaftswettkampf auf der neuen Position hat. Die muss er im Schlaf beherrschen, das hatte oberste Priorität in dieser Saison“, erklärt Friedrich.
Entscheidend dabei: Der Pilot hat die neue Kompromisslosigkeit im Team nicht verordnet, sie ist intern besprochen und von den Anschiebern abgesegnet worden. „So eine Harmonie, so einen Teamgeist und diesen Ehrgeiz, der sie alle fünf verbindet, habe ich bei noch keiner Mannschaft erlebt“, sagt Heimtrainer Gerd Leopold, immerhin seit 30 Jahren im Geschäft.
Faktor zwei: Entwicklung des neuen FES-Schlittens
Friedrich ist gesetzt in der deutschen Bob-Nationalmannschaft, muss keine Qualifikation für den Weltcup fahren. In den vier, fünf Wochen vor dem Saisonauftakt hat er dennoch so oft im Bob gesessen wie nie, um die Entwicklung des neuen Vierers voranzutreiben.
Sein kongenialer Partner dabei: Enrico Zinn, Bob-Projektleiter vom Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten (FES). „Wir haben in der Zusammenarbeit einen Riesensprung gemacht. Das ist vor allem mit Blick auf Peking enorm wichtig“, sagt Friedrich, der in den Vorjahren und auch noch in dieser Saison den Vierer vom österreichischen Hersteller Hannes Wallner gefahren ist.
Der Durchbruch gelingt nach dem Jahreswechsel, der Pilot fährt „den deutlich weiterentwickelten 410er“, wie Zinn sagt, auch im Rennen und bleibt beim FES-Bob, selbst bei der WM in Altenberg. „Viel entscheidender ist Olympia im nächsten Jahr. Dafür müssen wir jede Erkenntnis sammeln, die wir kriegen können. Deshalb müssen wir dem Schlitten einfach diese Chance geben“, betont Friedrich. Erkenntnis diesmal: absolute Topgeschwindigkeit in der Bahn.
Faktor drei: Antrieb des perfektionistischen Piloten
Friedrichs Credo: Stillstand ist Rückschritt. „Wenn ich jetzt immer wieder das Gleiche mache, nur weil ich mich in Altenberg gut auskenne, dann kann ich mich nicht weiterentwickeln“, sagt er. Viel lieber wäre er in Lake Placid gefahren, wo die WM ohne Corona eigentlich stattgefunden hätte.

Bundestrainer René Spies sieht den Ausnahmepiloten „auf dem absoluten Höhepunkt seiner Karriere“, wie er im WM-Podcast Dreierbob erklärt: „Er arbeitet seit Jahren schon mit einer Hingabe und Akribie und nicht nachlassenden Energie. Es ist nicht nur so, dass er im Training alles gibt und am Material tüftelt, er befasst sich mit allen Sachen. Wie er die Kufen präpariert, die Bobs abstimmt. Er geht neue Wege in der Trainingsmethodik, beschäftigt sich mit Ernährung, Physiotherapie, Regeneration, mit Kurven, der Fahrspur, Eisverhältnissen. Er beschäftigt sich andauernd mit dem Thema Bobsport. Er möchte sich in allen Punkten immer verbessern. Die Auswirkung sieht man jetzt.“
Faktor vier: Die Schwächen der Konkurrenten
Was man bei Friedrich selten sieht: Fehler. Diesmal macht er einige, aufgrund der Kälte vor allem am Start. Viermal driftet der Bob, weshalb auch der angepeilte Startrekord um 0,02 Sekunden verfehlt wird. Die Konkurrenten können das nicht nutzen – weil sie sich in der Bahn allesamt mehrere kleine Fehler leisten (Lochner, Kripps) oder einen großen (Maier). Dazu kommt der Startrückstand von 0,06 bis zu 0,16 Sekunden. Das summiert sich in vier Läufen.
Selbst das Missgeschick mit dem Helmvisier kann Friedrich nicht aufhalten. Erst klappt es hoch, er klappt es wieder runter. Dann fällt das Innenvisier ab, das Außenvisier beschlägt. „Ab Kurve neun sind wir nahezu blind runtergefahren, ich habe nur noch Umrisse gesehen.“ Bestzeit fährt er dennoch wieder, auch im letzten Lauf.
Alles über die WM erfahren Sie auf unserer Themenseite BOB-WM 2021.
Mit dem Podcast Dreierbob hat Sächsische.de die WM in Altenberg schon vor einem Jahr begleitet - hier alle Folgen. Weil wegen Corona die WM erneut im Osterzgebirge stattfindet, geht auch dieses Format bei uns wieder an den Start. Bis zum 15. Februar erscheint täglich eine Folge - hier einsteigen und reinhören.