Francesco Friedrich hält es mit James Bond: "Sag niemals nie"

Herr Friedrich, acht Wochen nach Ihrem großem Triumph in Peking, den Goldmedaillen Nummer drei und vier, wie präsent ist Olympia bei Ihnen noch?
Das Sportlerleben ist in den vergangenen Wochen ziemlich in den Hintergrund gerückt, meine beiden Kinder und meine Frau haben jetzt den Vorrang. Und das ist mindestens genauso wichtig. Nicht zuletzt erleichtert die Familie nach der Saison das Ankommen im Alltag. Ich habe eine konkrete Aufgabe, eine wahnsinnig schöne noch dazu. Aber natürlich kommen die Erinnerungen an Olympia immer wieder hoch. Ich habe viele Sponsorentermine, zu denen ich die Medaillen gerne mitbringe. Und kürzlich beim Olympiaempfang des sächsischen Ministerpräsidenten habe ich auch mal einen längeren Filmbeitrag von den Tagen in Peking gesehen. Es gibt also schon auch Gelegenheit, die Sachen Revue passieren zu lassen.
Wissen Ihre Söhne, dass Sie mittlerweile der erfolgreichste Bobpilot aller Zeiten sind?
Sie wissen, dass der Papa beim Bobfahren meistens gewinnt. Mit Olympia können sie noch nichts anfangen, aber das tut auch nichts zur Sache. Sie sind einfach froh, dass der Papa zum Spielen da ist.
Was bleibt Ihnen von Olympia 2022 am meisten in Erinnerung?
Da sind so viele Momente. Erst einmal hat jede Medaille ihre eigene Geschichte, ganz egal, ob es die beiden Olympiasiege 2018 in Pyeongchang waren oder jetzt in Peking. Jeder Sieg ist ein ganz spezieller gewesen. Dazu das ganze Drumherum. Wie wir uns bei der Siegerehrung des Vierers gegenseitig die Medaillen umgehängt haben, oder auch die Eröffnungsfeier, als ich die deutsche Mannschaft als Fahnenträger ins Stadion führen durfte. Oder auch die Abschlussfeier mit meinem Anschieber Thorsten Margis als Fahnenträger, bei der wir dann genießen konnten. Es gibt so viele Momente, die es so schön gemacht haben. Ob nun mit Corona oder ohne – Olympische Spiele sind und bleiben immer etwas Besonderes.
Sie haben die Eröffnungs- und Schlussfeier genannt, dazu den Vierer. Lassen Sie uns über die Entscheidung im Zweier sprechen. Waren das die mental-sportlich schwierigsten Tage Ihrer Karriere?
Auf jeden Fall war es nicht einfach. Wir haben eine Woche vor dem Wettkampf den Schlitten gewechselt, und das war die richtige Entscheidung. Doch wir mussten damit dann die wenigen verbleibenden Tage ganz genau überlegen, was wir wann machen, welche Kufen wir testen und wie wir die Trainingsfahrten effektiv nutzen. Mental war das definitiv eine harte Aufgabe.
Wie sind Sie mit der Situation umgegangen?
Wir haben von Training zu Training gedacht. Und nach jeder Fahrt hat sich eine neue Entscheidung ergeben. Natürlich hadere ich da auch mal und habe Ideen, die ich dann wieder verwerfen muss. Doch zum Schluss sind wir – wie übrigens auch im Vierer – guter Dinge ins Rennen gegangen, weil wir wussten, dass wir gut vorbereitet waren. Und: Letztlich haben wir am Start überzeugt sowie in der Bahn, das gab den entscheidenden Ausschlag.
Sie haben den Bobwechsel angesprochen. Weil Sie im Schlitten von Teamkollegin Kim Kalicki zum Sieg gefahren sind, war danach vom Frauenbob die Rede. Ärgern Sie solche Schlagzeilen?
Es tut nichts zur Sache. Es gibt keine Frauenbobs, das sind alles Zweier, und die sind alle identisch. Die deutsche Mannschaft hatte zwei Schlittenvarianten für Olympia vorbereitet: eine mit weicherem Rahmen und festerer Haube, die andere mit festerem Rahmen und weicherer Haube. Am Ende sind sowohl die drei Männerteams als auch die drei Frauenmannschaften mit der gleichen Variante gefahren.

Und welche war es?
Die mit dem festeren Rahmen und der weicheren Haube.
Was macht die Variante besser im Vergleich zur anderen?
Ohne ins Detail zu gehen: Die Bobs waren in der Bahn deutlich schneller.
Welche Rolle spielt der Teamgeist in der Mannschaftssport Bob?
Gerade bei so großen Rennen ist das entscheidend, um immer wieder diese Erfolge feiern zu können. Wir wissen, was wir tun und warum wir es tun. In Peking wurde schließlich die Arbeit der letzten Jahre belohnt – und damit auch die Arbeit von vielen Menschen rund um meine Mannschaft. Trainer, Betreuer, Mechaniker, die Sponsoren, Familie, Freunde: Sie sind alle wichtig und haben Anteil am Erfolg. Am Ende entscheiden im Bobsport die Kleinigkeiten. Wenige Nuancen geben den Ausschlag, und wenn die nicht stimmen und nicht alle an einem Strang ziehen, klappt es auch im Rennen nicht hundertprozentig.
Bestes Beispiel ist Ihr Anschieber Martin Grothkopp aus Dresden, der bei jeder anderen Mannschaft gesetzt wäre und nach dem Vierer-Sieg 2018 diesmal ohne olympische Medaille blieb?
Ja, das ist Martin hoch anzurechnen und gleichzeitig eine tragische Geschichte, die es zu überdenken gilt. In anderen Mannschaftssportarten bekommen die Ersatzleute, die genauso hart arbeiten, ebenfalls eine Medaille. Ich könnte mir auch einen Teamwettkampf vorstellen wie im Rodeln, damit es eine weitere Chance gibt. Das würde ich mir wünschen.

Ihre Mannschaft ist nicht nur die erfolgreichste, sondern auch die älteste. Sie werden im Mai 32 Jahre alt, drei ihrer vier Anschieber sind noch älter. Was heißt das mit Perspektive Olympia 2026 in Cortina d‘Ampezzo? Wird es das Team Friedrich dann noch in der jetzigen Besetzung geben?
Wahrscheinlich nicht, aber vielleicht doch. Wer weiß das schon. Unsere Trainingsmethodik ist in vielerlei Hinsicht modern. Wir versuchen, die Leistungsabfallkurve so weit nach hinten zu verschieben wie möglich. In Peking waren wir jedenfalls wieder mit Abstand die Besten am Start. Wir wissen, worauf es ankommt und was wir machen müssen. Sag also niemals nie! Ein Kevin Kuske hat 2018 im Alter von 39 Jahren noch Silber gewonnen.
Silber dürfte Ihnen 2026 aber zu wenig sein, oder?
Unabhängig davon suchen wir natürlich nach neuen, jungen Talenten. Wir haben ein, zwei Leute im Blick, die wir für uns gewinnen und aufbauen wollen. Und es geht ja nicht nur um mich und mein Team, sondern den Bobsport generell in Deutschland. Damit die Erfolgsgeschichte nach 2026 annähernd so weitergeht. Zudem braucht die Jugend immer wieder auch neue Vorbilder.
Sie gelten als Perfektionist, Ihr Team geht inzwischen fast als Familie durch. Das macht es für Neuzugänge bestimmt nicht einfach.
Wer nicht wagt, kann auch nicht gewinnen. Genauso ist das bei uns, wir riskieren auch immer wieder mal Sachen, von denen nicht abzusehen ist, wie sie ausgehen. Aber wenn wir das nicht tun, kommen wir nicht voran. Deshalb muss man sich der Herausforderung ganz einfach stellen und auch stellen wollen. Vielleicht klappt es nicht gleich im ersten oder zweiten Jahr, dafür dann im dritten oder vierten.
Als Bob-Dominator haben Sie sich speziell in den vergangenen Jahren einen Namen gemacht und bis auf ganz wenige Ausnahmen auch jeden Weltcup gewonnen, bei Weltmeisterschaften oder eben Olympia ja sowieso. Geht das nächste Saison so weiter?
Schauen wir mal, aber warum eigentlich nicht? Wir werden das Training jetzt ein bisschen umstellen und auch erst später in die Saison starten.

Was heißt das?
Normalerweise würde ich jetzt schon wieder trainieren. Doch nach den letzten drei, vier Jahren, die sehr intensiv waren, haben wir den Plan verändert. Man muss sich das wie bei einem Getreidefeld vorstellen, wo auch nicht jedes Jahr das Gleiche angebaut wird, die Ernte aber erfolgreich ist. Wenn ich immer nur das Gleiche trainiere, werden immer die gleichen Muskelgruppen belastet. Da lässt sich noch einiges rausholen. Und dann ist es auch möglich, als 35-Jähriger in Cortina noch einmal annähernd die Leistung zu bringen wie 2018 und 2022.
Noch mal nachgefragt: Werden Sie sich daran gewöhnen müssen, dass künftig öfter auch mal ein anderer gewinnt?
Abwarten. Es kommt schließlich auch auf das Fahren in der Bahn und aufs Material an. Und mit Alex Schüller habe ich einen jungen und schon erfahrenen Mann im Team, der locker noch weiter an der Startzeit drehen kann.
Sie haben in Ihrer Sportart alles gewonnen, was es zu gewinnen gibt, dazu unzählige Rekorde. Stimmt es, dass Sie jetzt die Marke des norwegischen Ex-Biathleten Ole Einar Björndalen angreifen, der mit 94 Weltcupsiegen zumindest diesbezüglich der erfolgreichste Sportler ist? Sie stehen derzeit bei 66.
Das ist auf jeden Fall ein Ziel, und ehrlich gesagt liebäugele ich schon mit der 100. Da müsste ich jetzt jedes Jahr 8,5 Weltcupsiege erringen. Das ist möglich, aber keine einfache Aufgabe und schon gar kein Selbstläufer.
Sie haben gesagt, erst später in die Saison zu starten und vorher ausgiebig mit der Familie Urlaub zu machen. Können Sie das überhaupt, so lange nichts tun?
Zehn Tage geht das immer ganz gut, dann werde ich langsam hibbelig.
Das Interview führte Tino Meyer.