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Spurensuche für einen Wegwerfartikel

Auf Schloss Klippenstein in Radeberg geht es derzeit um den Strohhut – ein Ausstellungstipp für Juli.

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© Wolfgang Wittchen

Von Irmela Hennig

Radeberg. Suchbild. Finde den Kopf ohne Hut! Aber das ist nahezu unmöglich auf diesem Foto aus dem frühen 20. Jahrhundert. Irgendeine Straße, irgendwo. Aber typisch für Deutschland, Europa oder Nordamerika. Mann trug Hut. Frau ebenso. Und auch bei Kindern war die Kopfbedeckung aus Filz, Wolle oder Bast üblich. Oder eben aus Stroh. Genäht aus Flechtstreifen, die ursprünglich auf dem Land in Handarbeit hergestellt worden sind. „Da, wo man Stroh hatte und die Hüte brauchte – als Schutz gegen die Sonne bei der Feldarbeit“, sagt Patrick-Daniel Baer, Mitarbeiter im Museum Schloss Klippenstein.

Dort widmet sich die Ausstellung „Gut behütet“ dem Kopfputz Strohhut im Allgemeinen und der Radeberger Strohhutfabrikation im Besonderen. Auch das erwähnte Hutfoto ist in der Schau zu sehen. Bis zu zehn Fabriken und Manufakturen gab es zeitweise in Radeberg, das sich nach dem Anschluss ans Eisenbahnnetz 1845 rasant zu einem Industriezentrum entwickelt hatte. Mit der Folge unter anderem, dass es den Fabrikanten zu laut und schmutzig wurde. So mancher ließ weiter in Radeberg produzieren, lebte aber selbst auf dem Weißen Hirsch in Dresden oder im beschaulichen Langebrück.

Bis zu 1,5 Millionen Hüte jährlich fertigte die größte der Firmen, Wagawa und Crönert. Bei kleineren Betrieben konnten es um die 100 000 werden. Übrig geblieben ist davon nicht mehr als eine Vitrine voll von schwarzen, hell- und dunkelbraunen Strohhüten. Produktionsreste der letzten Radeberger Strohhutfabrikation, die 1950 schloss.

Der Kopfputz war ein Modeartikel. Wurde regelmäßig gegen das neueste Modell ausgetauscht. Langlebig waren die Zierden aus Stroh auch nicht. Sie gingen kaputt, sie wurden entsorgt. Dass sie einmal historisch bedeutsam sein könnten, dachte sich vor 100 Jahren niemand. Und so verschwand mit dem Industriezweig auch das, was er geschaffen hatte, fast vollständig, so hat es Bernd Rieprich recherchiert. Er gehört zur Arbeitsgruppe Stadtgeschichte Radeberg, hat sich schon für eine Dauerausstellung im Schloss intensiv mit der Industriegeschichte seiner Heimat befasst und sich nun konkret den Strohhut vorgenommen.

Radeberg und seine Hüte machen aber nur einen Teil der Ausstellung aus. Um Strohhüte in Sachsen und der Welt geht es anhand von Exponaten aus der Exposition „Stroh zu Gold“, die vor einer Weile in Moritzburg präsentiert wurde. Zu sehen sind Modell von der Haube, der sogenannten Schute, bis hin zum elegant-bunten Hütchen mit schmaler Krempe. Oder bis zum Strohschuh, mit dem sich Hersteller über die mageren Jahre nach dem Krieg retteten, als niemand Geld für Hüte übrig hatte.

Aufgegriffen wird auch ein Kapitel, das heute ein dunkles scheint – Kinderarbeit. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert war sie üblich. Schon Vierjährige wurden in Strohgeflechtschulen ausgebildet. In einem Musterkoffer für Flechtstreifen, den die Schau zeigt, werben die Hersteller mit dem Alter der kleinen Arbeiter – sieben, acht, neun oder zehn Jahre waren sie jung.

Die Ausstellung „Gut behütet“ auf Schloss Klippenstein in Radeberg ist bis 3. Oktober zu sehen.

www.schloss-klippenstein.de