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Stange oder Hilbert?

Ein OB-Kandidat hat sein Potenzial noch nicht ausgeschöpft. Die spannendste Frage lautet: Gibt es ein bürgerliches Lager?

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© Sven Ellger

Von Tobias Wolf

Am Sonntag wählt Dresden sein neues Stadtoberhaupt. Doch so eindeutig wie beim ersten Termin der Oberbürgermeisterwahl sind die Verhältnisse nicht mehr. Zwar lag Eva-Maria-Stange (unabhängig, SPD) am 7. Juni mit 36 Prozent klar vor Konkurrent Dirk Hilbert (unabhängig, FDP), der es auf 31,7 Prozent brachte. Aber seither haben drei Kandidaten aufgegeben. CDU und die Ex-Pegida-Kandidatin Tatjana Festerling haben eine Wahlempfehlung für Hilbert ausgesprochen. Die AfD hat dies nicht getan, wenn auch gewisse Sympathien nicht von der Hand zu weisen sind.

Dennoch ist es nicht ausgemacht, dass deren Anhänger auch für den FDP-Mann stimmen werden. Denn Hilbert hat weder CDU noch AfD Zugeständnisse gemacht oder ihre Programmpunkte übernommen. Unsicher ist auch, ob sich das sogenannte bürgerliche Lager aus Liberalen, Konservativen und Rechtskonservativen auch als eine politische Richtung begreift. Selbstbewusst gab sich der Wirtschaftsbürgermeister bis zum Wochenende trotzdem.

Für Eva-Maria Stange geht es am Sonntag um eins: Sie muss das Wählerpotenzial ausschöpfen, welches Rot-Grün-Rot im vergangenen Jahr zu einer Mehrheit im Stadtrat verholfen hat. In Gorbitz-Süd, Gorbitz-Ost und Gorbitz-Nord holten Linke, SPD und Grüne bei der Stadtratswahl noch zwischen 48,6 und 52,6 Prozent. Die gemeinsame Kandidatin Stange erhielt dort nur zwischen 28,4 und 39,1 Prozent.

Pegida beeinflusste die Ergebnisse

Ein Grund dafür könnte die Kandidatur von Pegida-Frau Tatjana Festerling im ersten OB-Wahlgang sein, die in Gorbitz zwischen 15,3 und 18,3 Prozent der Stimmen erhielt. Ob nun die Pegida-Anhänger Hilbert wählen, ist unklar. Sie sind in dieser Frage gespalten. Festerling war gegen die etablierten „System-Parteien“ angetreten. Als sie überraschend Hilbert empfahl, stieß das bei ihren „Montagsspaziergängern“ nicht nur auf Zustimmung.

CDU, FDP und AfD kamen 2014 in Gorbitz nur auf 37,4 Prozent. Unterstellt, dass deren Wähler nun alle Hilbert unterstützen, hätte es nach dem ersten OB-Wahltermin in Gorbitz für 43,5 Prozent gereicht. Hilbert allein kam auf 24,6 bis 25,5 Prozent. Seine Hochburgen mit Ergebnissen von 39 bis 41 Prozent waren im ersten OB-Wahlgang Klotzsche, Hellerau, Rähnitz, Wilschdorf und Weixdorf. Alle bürgerlichen Kandidaten zusammen kamen auf 60,6 bis 66,2 Prozent. Stange erhielt zwischen 22,8 und 27,8 Prozent. Dabei liegt ihr Wählerpotenzial aus der Stadtratswahl bei bis zu 42 Prozent. CDU, FDP und AfD kamen 2014 auf 45,4 bis 61,9 Prozent. Stange dürfte es auch im zweiten OB-Wahlgang schwerfallen, dort eine Mehrheit zu erhalten. Auch dort erzielte Pegida-Kandidatin Festerling im Schnitt gut zehn Prozent.

Ebenfalls schwierig ist es für Stange im konservativ dominierten Hochland und in Gönnsdorf, Pappritz und Eschdorf. Bei der Stadtratswahl gab es für das linke Lager 30,9 bis 34,1 Prozent. Zum ersten OB-Wahltermin erhielt Stange zwischen 18,8 und 20,1 Prozent, während Hilbert mit 36,8 bis 38 Prozent fast das Doppelte einfuhr. FDP, CDU und AfD zusammen erreichten bei der Stadtratswahl zwischen 49,6 und 58,2 Prozent, die bürgerlichen Kandidaten im ersten OB-Wahlgang zusammengenommen 62 bis 65,9 Prozent. Die Pegida-Kandidatin kam auch hier auf gut 15 Prozent. Ein fast deckungsgleiches Bild ergibt sich in Lockwitz, Luga, Nickern und Kauscha.

Fast komplett ausgeschöpft hat Eva-Maria Stange ihr Potenzial in der Äußeren Neustadt und in der Leipziger Vorstadt. Hier erzielte Rot-Grün-Rot 2014 ein Ergebnis zwischen 66,8 und 72,4 Prozent, Stange beim ersten OB-Termin 64,6 bis 71,1 Prozent. Das war gleichzeitig ihr dresdenweit höchstes Ergebnis. In der Inneren Neustadt liegen die Werte bei 60,1 (Stadtratswahl) und 53,8 Prozent (1. OB-Wahl). Eva-Maria Stange punktet eher im Zentrum, Dirk Hilbert am Stadtrand. Unter der Prämisse, dass es ein bürgerliches Lager gibt, kann er hier aus dem Vollen schöpfen.

Viele Unwägbarkeiten zur Wahl

Allerdings ist eine Oberbürgermeisterwahl kein Parteienvotum. „Hier geht es um die Nähe zur Person, die durch Bekanntheit entsteht, und keine abstrakte Parteienliste“, sagt Hans Vorländer, Professor für Politikwissenschaft an der TU Dresden. „Das gilt vor allem im Nahbereich wie auf kommunaler Ebene.“ Gerade in Ostdeutschland sei die Parteibindung nie so stark wie im Westen ausgeprägt gewesen. Seit 1990 haben Personen die größere Rolle gespielt, so Vorländer.

Außerdem erschweren zu viele Unwägbarkeiten eine Prognose für den Wahlausgang am Sonntag. Je nachdem, wie gut das Wetter ist, könnten mehr oder weniger Wähler an die Urnen gehen und so über die Wahlbeteiligung für eine Verschiebung von Stimmenanteilen sorgen. Auch die Ex-Pegida-Wähler könnten noch einmal eine Rolle spielen. Nur eins ist sicher: Es wird spannend.