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Stehen Oberlausitzer Bahnstrecken vor dem Aus?

Durch die angespannte Haushaltslage könnte es ab 2018 zu massiven Streichungen kommen. Ein Interview mit Michael Cleve vom Deutschen Bahnkunden-Verband über aktuelle Befürchtungen.

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© Thomas Eichler

Ab 2018 drohen massive Einschnitte beim Eisenbahnverkehr in der Oberlausitz. Das befürchtet Michael Cleve vom Deutschen Bahnkunden-Verband. Mit Blick auf die angespannte Haushaltslage des Verkehrsverbundes Oberlausitz-Niederschlesien (Zvon) stünden die Bahnstrecken Zittau-Seifhennersdorf, Görlitz-Zittau und Görlitz-Hoyerswerda dann ab 2018 wahrscheinlich vor dem Aus. Grund sind die sinkenden Zuweisungen vom Bund für den öffentlichen Nahverkehr. „Wenn das wirklich so kommt, gerät die Oberlausitz aufs Abstellgleis“, sagte Cleve im SZ-Interview.


Herr Cleve, wir haben uns neulich zum Neustart des Dresden-Breslau-Expresses gesehen. Da wirkten Sie glücklich wie selten. Was muss passieren, um Sie öfter so strahlen zu sehen?

Glücklich wäre ich, wenn in der Oberlausitz zwischen Zittau und Bischofswerda und zwischen Görlitz und Bischofswerda überall halten könnende, aber nicht halten müssende Regionalbahnen im festen Stundentakt an sieben Tagen in der Woche von morgens bis abends unterwegs wären. Und wenn es an allen Bahnhöfen schnelle Umsteigemöglichkeiten zwischen Zug und Bus gäbe.

Vorbild für einen guten Regionalverkehr ist die Strecke Zittau–Cottbus, besonders ab Görlitz Richtung Norden. Anstelle der Regionalexpresszüge von Dresden nach Görlitz und Breslau sollte durch Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt sichergestellt werden, dass hier wieder richtige Fernverkehrszüge mit kleinen, aber feinen und dadurch nicht zu teuren Zugeinheiten von Leipzig nach Krakau über Dresden, Görlitz und Breslau unterwegs sind. Solche Züge sollten auch von Görlitz über Dresden und Chemnitz nach Nürnberg fahren.

Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt sind ein gutes Stichwort. Als das jüngst in Bautzen beim Verkehrsverbund Zvon fiel, wirkten Sie verzweifelt.

Nicht nur ich. Der Zvon müsste jetzt eigentlich die Neuvergabe der Strecken Dresden–Görlitz und Dresden–Zittau ab 2018 ausschreiben. Er kann es aber nicht, weil er gar nicht weiß, wie viel Geld dann zur Verfügung steht. Lassen Sie mich das kurz erklären: Für die Nutzung der Gleise und Bahnhöfe müssen die Bahnunternehmen Nutzungsgebühren bezahlen. Dieses Geld können sie mit dem Verkauf von Fahrscheinen nicht einnehmen. Sie brauchen dafür feste Fördergelder des Freistaates, der diese wiederum vorher im Wesentlichen aus dem Bundeshaushalt erhält. Im Oktober 2014 einigten sich die Verkehrsminister der 16 Bundesländer auf einen neuen Verteilungsschlüssel ab 2018. Er soll in Zukunft mehr die Einwohnerzahl berücksichtigen.

Das heißt, Ballungszentren in den westdeutschen Bundesländern bekommen mehr Geld, ländliche Gegenden wie die Oberlausitz weniger. Zurzeit sieht es ganz danach aus, dass Sachsen bis 2031 etwa eine Milliarde Euro fehlen würden. Der Zvon bekäme im Jahr 2018 rund 1,2 Millionen Euro weniger. In den Folgejahren wächst das Minus auf fast fünf Millionen Euro pro Jahr an. Wenn das wirklich so kommt, gerät die Oberlausitz aufs Abstellgleis. Zvon-Geschäftsführer Hans-Jürgen Pfeiffer rechnet damit, dass das vorhandene Geld ab 2018 nur noch für etwa zwei Drittel des jetzigen Zug- und Busverkehrs reicht.

Was hätte das für Folgen?

Das könnte bedeuten, dass auf der Mandaubahn zwischen Zittau, Varnsdorf und Seifhennersdorf keine Züge mehr fahren. Auch die Züge durchs Neißetal zwischen Görlitz und Zittau würden wohl abbestellt. Über eine Wiederinbetriebnahme des Zugverkehrs zwischen Görlitz und Hoyerswerda bräuchten wir gar nicht mehr zu reden. Zwischen Zittau und Bischofswerda würden voraussichtlich nur noch Regionalexpresszüge im Zwei-Stunden-Takt unterwegs sein. Das hätte zur Folge, dass die Lebensqualität in der Oberlausitz weiter sinkt und sich erneut jüngere Leute überlegen, wo der Alltag einfacher zu bewältigen ist. Es gäbe wieder mehr Abwanderung.

Was muss Ihrer Meinung nach passieren, um das zu verhindern?

Über die Verteilung der Zuschüsse wird ja noch verhandelt, Anfang 2016 soll es eine Einigung zwischen den Bundesländern geben. Dabei dürfen nicht allein die Einwohnerzahlen berücksichtigt werden, sondern auch das veränderte Mobilitätsverhalten der Menschen. Hier hat es in den jüngsten Jahren einen Wertewandel gegeben. Obwohl die Einwohnerzahl in der Oberlausitz sinkt, bleiben die Fahrgastzahlen im Nahverkehr stabil. Etwa jeder Fünfte der jetzigen Autofahrer hat mitnichten große Freude am Fahren, sondern nimmt lieber dankbar gute Angebote im öffentlichen Nahverkehr wahr – wenn es sie gibt.

Schöpfen Sie Hoffnung aus dem Klima-Abkommen von Paris? Dort haben 195 Staaten die schrittweise Abkehr von fossilen Rohstoffen beschlossen – also auch von Erdöl, aus dem Benzin gewonnen wird.

Genau deshalb muss auch der öffentliche Nahverkehr gestärkt statt eingeschränkt werden! Die Einstellung von Zugverkehr wäre genau die verkehrte Reaktion auf das Abkommen von Paris. Ein positives Signal hingegen wäre eine ordentliche touristische Vermarktung der Neißetalbahn und der Mandaubahn, die für sich allein schon einen Erlebniswert bieten.

Gespräch: Tilo Berger