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Steht ein Elch vor der Kantine

Der schon seit Tagen durch die Region wandernde zweijährige Elchbulle überraschte am Montag die Mitarbeiter von Siemens in Dresden. Der Weg zur Kantine blieb ihm dann allerdings versperrt. Experten rückten mit dem Betäubungsgewehr an – kein ganz einfacher Schuss.

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Von Peter Redlich und Sven Görner

Die meisten hielten es für einen Witz. Ein Elch steht vor der Betriebskantine am Siemensstandort in Dresden-Übigau. Rasend machte gestern die Nachricht gegen 11.30 Uhr unter der Belegschaft die Runde. Denn es stimmte. Der am Kopf über zwei Meter hohe Jungbulle war durch die offenstehende Tür – offenbar angelockt vom Essensduft – einfach in den Glas- und Betonbau reinmarschiert.

Zooinspektor Helmar Pohle hat das Betäubungsgewehr bereits in der Hand. Vor dem Schuss auf den Elch berät er sich noch mit einem Kollegen.
Zooinspektor Helmar Pohle hat das Betäubungsgewehr bereits in der Hand. Vor dem Schuss auf den Elch berät er sich noch mit einem Kollegen. © Arvid Müller
Schließlich wurde das Tier vom Tierarzt und einem Zoofachmann mit Pfeilen betäubt, seine Läufe gesichert und mit einem Tragetuch abtransportiert.
Schließlich wurde das Tier vom Tierarzt und einem Zoofachmann mit Pfeilen betäubt, seine Läufe gesichert und mit einem Tragetuch abtransportiert. © Arvid Müller

Elchbulle in Dresden aufgetaucht

Einsatzkräfte der Feuerwehr und der Polizei stehen vor einem Verwaltungsgebäude von Siemens in Dresden.
Einsatzkräfte der Feuerwehr und der Polizei stehen vor einem Verwaltungsgebäude von Siemens in Dresden.
Allerdings brennt es nicht. Den Einsatz hat ein Elchbulle ausgelöst, der in den Vorraum der Werkskantine eingedrungen ist.
Allerdings brennt es nicht. Den Einsatz hat ein Elchbulle ausgelöst, der in den Vorraum der Werkskantine eingedrungen ist.
Ein Polizist trägt einen Koffer mit dem Logo des Waffenherstellers Smith & Wesson in das Verwaltungsgebäude von Siemens.
Ein Polizist trägt einen Koffer mit dem Logo des Waffenherstellers Smith & Wesson in das Verwaltungsgebäude von Siemens.
Das imposante Wildtier hat sich beim Eindringen in das Gebäude verletzt und soll narkotisiert werden.
Das imposante Wildtier hat sich beim Eindringen in das Gebäude verletzt und soll narkotisiert werden.
Polizisten beobachten von der Absperrung aus den Elch im Siemens-Gebäude.
Polizisten beobachten von der Absperrung aus den Elch im Siemens-Gebäude.
Am Freitag vergangener Woche war der junge Elch überraschend in einem Garten in Radebeul aufgetaucht, dann aber wieder verschwunden.
Am Freitag vergangener Woche war der junge Elch überraschend in einem Garten in Radebeul aufgetaucht, dann aber wieder verschwunden.
In dem Garten in Radebeul hat das Tier einen mehr als 20 Zentimter langen Abdruck seines Hufes hinterlassen.
In dem Garten in Radebeul hat das Tier einen mehr als 20 Zentimter langen Abdruck seines Hufes hinterlassen.
Ein Mitarbeiter des Dresdner Zoos versuchte, das Tier mit einem langen Zweig aus dem Raum zu drängen.
Ein Mitarbeiter des Dresdner Zoos versuchte, das Tier mit einem langen Zweig aus dem Raum zu drängen.
Zuvor war vor der Eingangstür ein großer Container postiert worden. Doch der Elch nutzte die offene Tür nicht, sondern blieb im Gebäude.
Zuvor war vor der Eingangstür ein großer Container postiert worden. Doch der Elch nutzte die offene Tür nicht, sondern blieb im Gebäude.
Mit einem Betäubungsgewehr (vorn) wurde der Elchbulle schließlich unter Kontrolle gebracht.
Mit einem Betäubungsgewehr (vorn) wurde der Elchbulle schließlich unter Kontrolle gebracht.

An der ersten Glastür, der von der Kantine, hat er sich den Kopf gestoßen, wobei die Tür zu Bruch ging. Spätestens jetzt war allen klar, der Elch ist wirklich da. Gestresst trabte das Tier schließlich in eine Flurecke und blieb dort regungslos stehen. Wer von den Mitarbeitern in Übigau ein Handy hatte, schoss hier sein Foto. Thomas Böhme: „Ich war schon in Schweden und habe dort keinen Elch gesehen und jetzt steht er vor unseren Büros.“ Auch Steffen Burkhardt hält die Geschichte zunächst für einen Scherz. „Wir wollten gerade zum Mittagessen. Da kam ein Kollege, der schon früher gegangen war, wieder zurück und sagte, dass da ein Elch im Flur steht.“ Erst als der 47-Jährige das Tier sieht, kann er es glauben. Aus sicherer Entfernung macht er mit seinem Handy ein paar Erinnerungsfotos. „Ich war zwar schon einmal im Urlaub in Kanada, aber einen Elch habe ich noch nie gesehen – geschweige denn im Büro.“

200 Kilogramm wiegt der zweijährige Jungbulle, hatte Jagdpächter Bodo Pietsch aus Radebeul gesagt. Noch vor dem Besuch im Siemenshaus war das Tier von Anwohnern vor dem Netto-Markt an der Overbeckstraße gesichtet worden. Sie verständigten die Polizei. Noch vor dieser war die Feuerwehr da und schickte die Zuschauer auf Sicherheitsabstand. Das kräftige Tier hatte zuvor ohne Mühe einen zwei Meter hohen Zaun an der Kläranlage in Übigau übersprungen und war in Ruhe die Straße entlanggelaufen.

Hintergrund: Elche in Deutschland

Die bis zu 800 Kilogramm schweren Elche sind die größte lebende Hirschart. Die Tiere mit dem mächtigen Schaufelgeweih ernähren sich von Zweigen, Blättern, Sumpf- und Wasserpflanzen. Elche leben als Einzelgänger oder in kleinen Trupps und können etwa zwölf Jahre alt werden. Sie leben gewöhnlich in kälteren Regionen der Nordhalbkugel - vor allem in Kanada, den nordwestlichen USA, Sibirien und Skandinavien.

Bis ins Mittelalter lebten Elche auch in ganz Deutschland. Später war ihr Hauptverbreitungsgebiet im Deutschen Reich die Provinz Ostpreußen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wanderten nur vereinzelte Tiere aus Polen und Tschechien nach Ostdeutschland und Bayern ein.

Nach dem Fall der Mauer nahmen die Elch-Sichtungen allerdings bundesweit zu. Besonders in Brandenburg, Sachsen und Bayern wurden Dutzende Tiere gesehen. Fachleute glauben, dass inzwischen mehr als zehn Elche permanent in Deutschland leben. Sie erwarten, dass sich die Tierart in großen Waldgebieten mit Gewässern wieder auf Dauer ansiedeln könnte. (dpa)

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13 Uhr: Hinter der Glasscheibe, teils in der prallen Sonne, hielt der Elch erstaunlich still. Polizei und auch ein Tierfachmann, Helmar Pohle, Inspektor vom Dresdner Zoo, waren inzwischen eingetroffen. Die Beamten hatten mit der Feuerwehr zur Sicherheit nicht nur die Kantine, sondern auch zwei Etagen in dem Bürogebäude geräumt. Helmar Pohle vom Zoo verständigte sich mit einem Tierarzt. Entgegen der Annahme vieler, sollte das Tier nicht betäubt werden. „Ich wollte ihn mit Ästen mit frischem Laub locken, um den Elch schließlich in eine Kiste zu bewegen.“

Das war kurz nach 15 Uhr. Eine Stunde lang dauerte der Versuch. Doch der Elch wollte nicht. Inzwischen war er offenbar auch zu gestresst und wollte einfach nur stehen bleiben.

Jetzt mussten, kurz nach 16 Uhr, doch noch die Betäubungspfeile ran. Zweimal hat der Zooinspektor aus respektvollem Abstand von sechs Metern geschossen und getroffen. Es dauerte eine weitere halbe Stunde, bis dem Elch die Hinterläufe einknickten und er schließlich in Schlaf versank. Zur Sicherheit warteten die Männer eine weitere halbe Stunde. „Es bringt nichts, wenn das Tier noch nicht ganz schläft und dann mit einem Lauf schlägt“, sagte der Zooexperte.

Dann ging alles ganz schnell. Die Männer zogen ein vorbereitetes Tragetuch unter den Elch und transportierten ihn auf einen Container. Jetzt schläft er seinen Betäubungsrausch aus und ist auf dem Weg nach Ostsachsen Richtung Polen in einen tiefen Wald. Von dort ist das Tier offenbar auch in den letzten Tagen gekommen. Am Freitag war es erst in den Radebeuler Höhenzügen beobachtet worden. Nachdem es am Freitagabend durch die hiesigen Gärten über die Meißner und die Kötzschenbrodaer Straße bis in die Serkowitzer Elbwiesen gezogen und anschließend die Elbe durchschwommen hatte, war das Elchkapitel eigentlich für Radebeul erledigt.

Es kam anders. Am gestrigen Morgen gingen bei Jagdpächter Pietsch erneut Meldungen ein, dass sich der junge Elch in den Kaditzer Wiesen aufhält. Wenig später wurde er beim Spaziergang in der Flutrinne Richtung Dresden beobachtet. Wo sich der junge Elchbulle nach seiner Flucht am Freitagabend über die Elbe aufgehalten hat, weiß allerdings niemand genau. Fakt ist, dass ihn am Wochenende offenbar keiner beobachtet hat. Zumindest gibt es keine entsprechenden Sichtungsmeldungen.

Denkbar ist allerdings, dass sich der Elch nach der Aufregung und dem Stress vom Freitag erst einmal ausgeruht hat. Eine gute Deckung dafür könnte ihm der dicht mit Sträuchern und Bäumen bewachsene Streifen an der Stetzscher Elblache auf Dresdner Seite geboten haben.

„Ist schon verrückt“, sagten Steffen Bursche und Uwe Röthig, zwei Mitarbeiter der Firma Ericsson am Siemensstandort. Denn in ihrem Firmenlogo steht ein schwedischer Elch. (mit SZ/win)