Von Peter Redlich und Sven Görner
Die meisten hielten es für einen Witz. Ein Elch steht vor der Betriebskantine am Siemensstandort in Dresden-Übigau. Rasend machte gestern die Nachricht gegen 11.30 Uhr unter der Belegschaft die Runde. Denn es stimmte. Der am Kopf über zwei Meter hohe Jungbulle war durch die offenstehende Tür – offenbar angelockt vom Essensduft – einfach in den Glas- und Betonbau reinmarschiert.
Elchbulle in Dresden aufgetaucht
An der ersten Glastür, der von der Kantine, hat er sich den Kopf gestoßen, wobei die Tür zu Bruch ging. Spätestens jetzt war allen klar, der Elch ist wirklich da. Gestresst trabte das Tier schließlich in eine Flurecke und blieb dort regungslos stehen. Wer von den Mitarbeitern in Übigau ein Handy hatte, schoss hier sein Foto. Thomas Böhme: „Ich war schon in Schweden und habe dort keinen Elch gesehen und jetzt steht er vor unseren Büros.“ Auch Steffen Burkhardt hält die Geschichte zunächst für einen Scherz. „Wir wollten gerade zum Mittagessen. Da kam ein Kollege, der schon früher gegangen war, wieder zurück und sagte, dass da ein Elch im Flur steht.“ Erst als der 47-Jährige das Tier sieht, kann er es glauben. Aus sicherer Entfernung macht er mit seinem Handy ein paar Erinnerungsfotos. „Ich war zwar schon einmal im Urlaub in Kanada, aber einen Elch habe ich noch nie gesehen – geschweige denn im Büro.“
200 Kilogramm wiegt der zweijährige Jungbulle, hatte Jagdpächter Bodo Pietsch aus Radebeul gesagt. Noch vor dem Besuch im Siemenshaus war das Tier von Anwohnern vor dem Netto-Markt an der Overbeckstraße gesichtet worden. Sie verständigten die Polizei. Noch vor dieser war die Feuerwehr da und schickte die Zuschauer auf Sicherheitsabstand. Das kräftige Tier hatte zuvor ohne Mühe einen zwei Meter hohen Zaun an der Kläranlage in Übigau übersprungen und war in Ruhe die Straße entlanggelaufen.
Hintergrund: Elche in Deutschland
13 Uhr: Hinter der Glasscheibe, teils in der prallen Sonne, hielt der Elch erstaunlich still. Polizei und auch ein Tierfachmann, Helmar Pohle, Inspektor vom Dresdner Zoo, waren inzwischen eingetroffen. Die Beamten hatten mit der Feuerwehr zur Sicherheit nicht nur die Kantine, sondern auch zwei Etagen in dem Bürogebäude geräumt. Helmar Pohle vom Zoo verständigte sich mit einem Tierarzt. Entgegen der Annahme vieler, sollte das Tier nicht betäubt werden. „Ich wollte ihn mit Ästen mit frischem Laub locken, um den Elch schließlich in eine Kiste zu bewegen.“
Das war kurz nach 15 Uhr. Eine Stunde lang dauerte der Versuch. Doch der Elch wollte nicht. Inzwischen war er offenbar auch zu gestresst und wollte einfach nur stehen bleiben.
Jetzt mussten, kurz nach 16 Uhr, doch noch die Betäubungspfeile ran. Zweimal hat der Zooinspektor aus respektvollem Abstand von sechs Metern geschossen und getroffen. Es dauerte eine weitere halbe Stunde, bis dem Elch die Hinterläufe einknickten und er schließlich in Schlaf versank. Zur Sicherheit warteten die Männer eine weitere halbe Stunde. „Es bringt nichts, wenn das Tier noch nicht ganz schläft und dann mit einem Lauf schlägt“, sagte der Zooexperte.
Dann ging alles ganz schnell. Die Männer zogen ein vorbereitetes Tragetuch unter den Elch und transportierten ihn auf einen Container. Jetzt schläft er seinen Betäubungsrausch aus und ist auf dem Weg nach Ostsachsen Richtung Polen in einen tiefen Wald. Von dort ist das Tier offenbar auch in den letzten Tagen gekommen. Am Freitag war es erst in den Radebeuler Höhenzügen beobachtet worden. Nachdem es am Freitagabend durch die hiesigen Gärten über die Meißner und die Kötzschenbrodaer Straße bis in die Serkowitzer Elbwiesen gezogen und anschließend die Elbe durchschwommen hatte, war das Elchkapitel eigentlich für Radebeul erledigt.
Es kam anders. Am gestrigen Morgen gingen bei Jagdpächter Pietsch erneut Meldungen ein, dass sich der junge Elch in den Kaditzer Wiesen aufhält. Wenig später wurde er beim Spaziergang in der Flutrinne Richtung Dresden beobachtet. Wo sich der junge Elchbulle nach seiner Flucht am Freitagabend über die Elbe aufgehalten hat, weiß allerdings niemand genau. Fakt ist, dass ihn am Wochenende offenbar keiner beobachtet hat. Zumindest gibt es keine entsprechenden Sichtungsmeldungen.
Denkbar ist allerdings, dass sich der Elch nach der Aufregung und dem Stress vom Freitag erst einmal ausgeruht hat. Eine gute Deckung dafür könnte ihm der dicht mit Sträuchern und Bäumen bewachsene Streifen an der Stetzscher Elblache auf Dresdner Seite geboten haben.
„Ist schon verrückt“, sagten Steffen Bursche und Uwe Röthig, zwei Mitarbeiter der Firma Ericsson am Siemensstandort. Denn in ihrem Firmenlogo steht ein schwedischer Elch. (mit SZ/win)