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"Mein Sohn soll nicht mit 14 in den Knast"

Lange zählte für Giacomo Lehmann nur Musik. Plötzlich ist der Dresdner alleinerziehender Vater – und hat nur einen Wunsch. Lichtblick unterstützt ihn dabei.

Von Henry Berndt
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„Jetzt sind wir ein Team“: Giacomo Lehmann und Söhnchen Mino rocken das Sofa.
„Jetzt sind wir ein Team“: Giacomo Lehmann und Söhnchen Mino rocken das Sofa. © Christian Juppe

Der Monstertruck rast über die Dielen durch die Tür und knallt gegen den Küchenschrank. Dann noch mal. Und noch mal. „Mino, spielst du bitte im Zimmer?“, fragt Papa. Doch Mino denk gar nicht daran. Der Vierjährige will dabei sein, mittendrin. Immer. Soll Giacomo Lehmann mit seinem Sohn schimpfen, Verständnis zeigen oder ihm lieber Versprechungen machen, Nicht immer weiß er das so genau. Wer ist schon ein geborener Vater?

Es ist noch nicht allzu lange her, da zählte im Leben von Giacomo Lehmann nur die Musik. Seit über 20 Jahren singt er in einer Metalband, veröffentlichte Alben, tourte durch Osteuropa. Was ihm an Freizeit blieb, investierte er in andere Musikprojekte. Er, nach der Wende als Punker in Gorbitz aufgewachsen, liebte das einfache Leben mit durchzechten Nächten, Partys und Konzerten. Ein bisschen Geld verdienen musste er auch, klar. Er schlug sich als Gerüstbauer, Barkeeper und Tischler durch. Zuletzt jobbte er als Hausmeister in verschiedenen Hotels.

Und jetzt? Jetzt schneidet der 40-Jährige in der Küche Leberwurst-Toast in kleine Stückchen. So mag es Mino. Noch bis vor drei Monaten sah Giacomo Lehmann seinen Sohn nur manchmal. Das Sorgerecht hatte nach der Trennung vor zwei Jahren zunächst Minos Mutter erhalten, die Giacomo 2014 bei der Bunten Republik Neustadt kennengelernt hatte. Nur vier Monate später wurde sie schwanger. Immerhin zwei Jahre wohnten Mama und Papa zusammen. 2017 zog er aus und suchte sich die Zweizimmerwohnung in Kaditz. Gerade groß genug für ihn allein und seine Katze Mugdi, die an einer Lebensmittelallergie leidet und sich regelmäßig blutig kratzt.

Doch was für ein Zuhause Minos Mutter ihrem Sohn in dieser Zeit auch gegeben haben mag – dem Jugendamt gefiel das gar nicht. Als sie auch noch aus ihrer Wohnung flog, musste die Behörde reagieren. Nun gab es nur noch die Frage: Pflegefamilie oder Papa? „Für mich war völlig klar, dass ich das mache“, sagt Giacomo Lehmann, „Auch wenn ich dafür alles andere aufgeben musste.“ Seit wenigen Wochen ist es nun er, der das alleinige Sorgerecht hat. „Ich wurde einfach ins kalte Wasser geschmissen“, sagt er. Auf einmal musste er Vollzeitpapa sein. An Arbeiten war jetzt nicht mehr zu denken und an seine Musik schon gleich gar nicht. Die Band liegt vorerst auf Eis. „Ich bin auf keiner Party und auf keinen Konzerten mehr, aber das stört mich auch nicht. Das Einzige, was ich vermisse, ist das Musikmachen.“

Was macht man mit einem Kind, das kein "Nein" akzeptieren kann?

Keine Frage: Langweilig wird es zu Hause mit Mino nie. Der Vierjährige ist ein Energiebündel, dem es jahrelang an vielem fehlte, was mit Erziehung und Alltagsstruktur zu tun hat. Die Panzerspiele am Computer haben Spuren hinterlassen. Was macht man mit einem Kind, das einen haut und „Fuck you, Arschloch-Papa“ sagt, das im Kindergarten aggressiv wird und kein „Nein“ akzeptieren kann? Bis Mino in die Schule kommt, will Giacomo Lehmann diese Dinge reparieren oder zumindest versuchen, sie in die richtigen Bahnen zu lenken. „Alle sagen mir gerade, dass wir auf einem richtig guten Weg sind“, sagt der Vater. Er ist ein bisschen stolz darauf. Im nächsten Jahr will er für Mino eine Sportgruppe suchen. Für Musik habe der Kleine auch Talent. Gern bastle er sich aus den Sofakissen ein Schlagzeug und trommle mit Stöcken darauf rum. „Er hört gern AC/DC“, sagt Giacomo Lehmann. Nur mit Papas Musik kann er noch nichts anfangen.

Seit Juli erhält die kleine Familie Unterstützung durch die Familienhilfe. Dabei stellte sich heraus, dass die Wohnung bis dahin nicht so kindgerecht eingerichtet war, wie sie es sein sollte. Es gab weder ein Kinderzimmer noch Spielzeug. Nicht einmal ausreichend Winterkleidung und Schuhe. Der Vater wusste das, allein es fehlte ihm das Geld. Noch immer drücken ihn 3.000 Euro Mietschulden aus früheren Jahren, gegen die er sich bisher vergeblich vor Gericht gewehrt hat. Das Jobcenter weigerte sich, mehr Geld für die Erstausstattung zu überweisen. Das hatte schließlich schon die Mutter bekommen.

Schließlich wandte sich der Deutsche Kinderschutzbund hilfesuchend und erfolgreich an die Stiftung Lichtblick. Mit dem Spendengeld konnte Giacomo Lehmann schon Spielsachen, einen Roller und einen Wäschetrockner kaufen. Die Großeltern halfen bei den Anschaffungen. „Ohne sie hätte ich das nicht durchgestanden.“

Ein Hochbett für Mino ist bestellt. Das bisherige Schlafzimmer soll bald Kinderzimmer werden, auch wenn der Vater noch nicht weiß, wo er dann sein eigenes Bett unterbringen soll. Zurzeit schläft er aber sowieso meist mit in Minos Bett. Ohne das Einschlafritual mit Geschichten erzählen und Rückenkraulen geht gar nichts. Er will ihn entwöhnen, sobald das Hochbett da ist. Wahrscheinlich schläft Papa dann im Wohnzimmer auf dem Sofa. „Was soll’s, ich bin trotzdem glücklich, wie das gerade läuft“, sagt er. „Viele meckern ja über das Jugendamt und die Familienhilfe. Aber ich bin so froh, dass ich die habe.“

Er selbst habe in der DDR eine behütete und sorgenfreie Kindheit erleben dürfen. An nichts habe es ihm gefehlt. Er habe sich so gewünscht, seinen eigenen Kindern einmal dasselbe bieten zu können. „Manchmal ist das hart für mich“, sagt er, doch er wolle alles dafür tun, um seinen Mino zu einem glücklichen Menschen zu machen. „Ich will nicht, dass er mit 14 das erste Mal im Knast sitzt. Das werde ich verhindern.“

Update: In einer früheren Version dieses Beitrag hieß es, Giacomo Lehmann hätte die Mutter seines Sohnes im Jahr 2015 kennengelernt. Richtig ist jedoch das Jahr 2014. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.

So können Sie helfen:

  • Die Stiftung Lichtblick veranstaltet dieses Jahr die 24. Spendensaison für unschuldig in Not geratene Menschen.
  • Die Spenden können mit beiliegendem Überweisungsträger oder online über dieses Formular überwiesen werden.
  • Der Überweisungsbeleg gilt bis 200 Euro als Spendenquittung. Für größere Überweisungen senden wir automatisch eine Quittung,
  • Hilfesuchende wenden sich bitte an Sozialeinrichtungen ihrer Region wie Diakonie, Caritas, DRK, Volkssolidarität, Jugend- und Sozialämter.
  • Die Sächsische Zeitung veröffentlicht automatisch die Namen der Spender. Wer anonym spenden will, vermerkt beim Verwendungszweck „Anonym“.
  • Erreichbar ist Lichtblick telefonisch Dienstag und Donnerstag von 10 bis 15 Uhr unter 0351/4864 2846, Fax - 9661. E-Mail: [email protected]. Post: Sächsische Zeitung, Stiftung Lichtblick, 01055 Dresden
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