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Stressfaktor schenken

Weihnachtsgaben sollten selbstlos sein. Doch viele, die selber gern schenken, erwarten auch selbst beschenkt zu werden. Darf man das?

Von Franziska Klemenz
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Das Auspacken, ein aufgeladener Moment mit zwei möglichen Abbiegungen: Pure Freude oder große Enttäuschung.
Das Auspacken, ein aufgeladener Moment mit zwei möglichen Abbiegungen: Pure Freude oder große Enttäuschung. © plainpicture/R. Mohr

Wie viele Geschenke sollen das sein? Mit rotem Wüterich-Gesicht poltert Dudley durch das Wohnzimmer, vor einem Meer aus Schleifen und Geschenkpapier. Feierlaune kommt bei Harry Potters verzogenem Cousin in Teil eins der Zauberer-Saga nicht auf. „36!“, ruft Dudleys Vater. Ein erfolgloser Versuch, den Jungen zu beschwichtigen. „Letztes Jahr, da war‘s eins mehr!“, brüllt Dudley. Das ungeliebte Waisenkind Harry steht in verschlissenen Klamotten daneben. Wird er mal beschenkt, sind es höchstens Socken, die sein verfressener Cousin längst ausgelatscht hat.

Die Szene verrät viel über das Problem von Geburtstags- und Weihnachtsgeschenken. Zum Geburtstag viel Glück? Zum Geburtstag viele Geschenke, und zu Weihnachten noch mehr. Beide Feierlichkeiten vereinen zwei eigentlich schöne Dinge: das Geschenk und den Brauch.

Seit Wochen geben SZ-Autoren mit dem „Kultürchen“ Geschenktipps für Weihnachten. Und diagnostizieren Probleme. Die Familie, die vereinbart, sich nichts mehr zu schenken, und einer hält sich dann doch nicht daran. Der Schenker, der reflektiert, dass er mit dem Geschenk immer auch ein Stück seiner selbst, seines eigenen Geschmacks übergibt.

Zu Weihnachten sind beide Seiten Schenker und Beschenkter. Die Konstellation höhlt den Charakter des Schenkens aus. Im Idealfall soll der Schenkende eigennutzlos seinem Gegenüber eine pure Freude bereiten. Wer eine Gegenleistung erwartet, schenkt mit Eigennutz.

Die unmögliche Möglichkeit

Philosophen sehen im Schenken schon ohne Weihachten eine Utopie. Eine Gabe ohne die Erwartung einer Gegengabe? Für Jacques Derrida undenkbar, gleichwohl das Konzept „Gabe“ eine Gegenerwartung ausschließe. Es soll ja Schenken und nicht Handeln sein. Derrida spricht bei der Gabe von einer „unmöglichen Möglichkeit“.

Warum ist das so? Warum müssen Beschenkte etwas erwidern?

Darüber hat ein anderer Franzose nachgedacht, Marcel Mauss. Personen und Sachen vermischen sich in der Gabe, meint er. Wer schenkt, gibt damit einen Teil von sich selbst her. Sein Geld, seine Bemühungen. Der Beschenkte nimmt das wahr. Er empfängt nicht bloß, er empfindet dabei auch, dass ein anderer etwas von sich hergibt. Ein Ungleichgewicht, das Gefühle von Schuld und Zwang auslöst. Das Schenken wird zum komplexen Akt, der einen Haufen Meta-Ebene mit sich herumschleppt.

Weihnachten potenziert den Effekt. Es habe „etwas von dem Goldenen Zeitalter an sich, das im antiken Mythos wie in der biblischen Paradieserzählung beschrieben wird und das die Menschen für eine kurze Zeit realisieren wollen“, denkt Soziologe Gerhard Schmied. Ein Zustand wie auf Drogen, im Rausch der Glückseligkeit. „Die Beziehungen werden bewusst und friedvoll gestaltet.“ Klingt schön. Und erzeugt Druck. Je häufiger Menschen etwas erleben, je ausgeschmückter das Idealbild einer Situation, desto höher die Erwartung auf eine mindestens ebenbürtige Wiederholung. Die Regelmäßigkeit macht den Akt des Schenkens zu einem Brauch. Es läuft nicht beliebig und spontan ab, sondern regelmäßig, wiederkehrend, mit immer gleichen Akten und Abläufen.

Viele seiner traditionellen Wesenszüge hat Weihnachten eingebüßt, ein Brauch bleibt es bis heute. Menschen lesen nicht mehr unbedingt die Geschichte von Jesus und Eseln aus der Familienbibel vor oder lauschen ihren Kindern beim Blockflöten-Spiel. Aber sie kaufen Bäume, essen Kartoffelsalat mit Dosen-Würstchen, gehen das vielleicht einzige Mal im Jahr zur Kirche und: beschenken sich.

Glaubt man den Philosophen, umgibt das Geschenk nicht einmal dann eine Unbeschwertheit, wenn es spontan stattfindet. Zu Weihnachten verwebt dich der Gedanke „ich will dich erfreuen“ mit dem Gedanken „ich will erfreut werden“. Und das bitte mit vielen klugen Vorfeldgedanken, die Wertschätzung zeigen. Und das für gleich mehrere Menschen. Und mindestens so toll wie letztes Jahr. Wochen vor Weihnachten pocht der Gedanke an die Tür: „Du musst dich kümmern, sie sollen sich doch freuen.“ Die fiese Stimme, der Tritt in den Magen.

Was tun, um dem Druck zu entfliehen? Es vielleicht gleich ganz sein lassen – und überhaupt nichts mehr schenken? Selbst wenn sich alle Parteien an den Deal hielten und nicht am Ende ein Einzelner doch mit Geschenk dastünde: Nein. Menschen haben Geschenke nicht aus Langeweile erfunden. Das Schenken erfüllt eine wichtige Aufgabe: Es manifestiert die Beziehungen der Menschen. Wie eine Rückversicherung. Ich beschenke dich, also bist du für mich von Bedeutung. Ich schenke, also schätze ich dich. Das Schenken hilft, soziale Beziehungen aufrecht zu erhalten. Schon als Menschen in Rom noch Tunikas trugen und im Liegen aßen, beschenkten sie einander zum Neujahrsfest.

Schenken kann noch heute einen Zweck erfüllen, auch über den Umsatzboom der Weihnachts-Industrie hinaus. Es braucht nur eine Kur. Aus Ehrlichkeit und aus Bescheidenheit. Warum wäre es so schlimm, ein semi-durchdachtes Geschenk zu übergeben? Es würde vielleicht signalisieren, dass der andere die Zeit und die Mühen nicht im vollen Umfang wert war.

Auf Harry Potter hören

Sagt das wirklich etwas über die Wertschätzung aus? Der Schenker müsste zugeben: „Ja, für Weihnachtsfeiern und Glühweinabende habe ich mir im Dezember Zeit genommen, für ein richtig tolles Geschenk leider nicht.“ Sorry. Na und? Besser, als völlig gestresst zu den Eltern zu kommen. Oder zum Hund. Weihnachten ist dafür da, Zeit mit der Familie zu verbringen. Mit eng verbundenen Menschen. Sie alle haben viel mehr von entspannten Schenkerinnen und Schenkern, die einander nichts vorgaukeln müssen. Die ihre Mühe nicht in die Aufrechterhaltung einer Illusion stecken müssen. Nun zur Bescheidenheit. Es ist super rührend, wenn ein wichtiger Mensch sich viele Gedanken gemacht hat und einem das schenkt, was man schon immer brauchte, ohne es zu wissen. Aber muss das immer sein? Hat man nicht eh schon viel zu viel? Und mehr davon, wenn man die Zeit mit seinen Menschen als Geschenk an sich betrachtet?

Dann ist das Geschenk eben mal nur semitoll, Schwester und Mutter kriegen den gleichen Plüsch-Anzug oder das gleiche Buch. Ehrliche Schenker und bescheidene Beschenkte würden Weihnachten entspannter machen. Sie stellen die Beziehungen der Menschen in den Vordergrund.

Harry Potter macht es vor. Endlich ist er der ätzenden Familie entkommen, erlebt sein erstes Weihnachtsfest in Hogwarts, der Zauberschule, mit seinem besten Kumpel Ron. Im Schlafanzug tappt er in den Gemeinschaftsraum. Kein Meer, aber immerhin ein Teich aus Dingen in Papier und Schleifen liegt da ausgebreitet. Den Inhalt kennt Harry noch nicht. Er ist in dem Moment extrem egal. Harry reißt die Augen auf, strahlt voll fassungsloser Freude, ruft: „Ich bekomme Geschenke!“ Der Akt des Beschenkt-Werdens ist wichtig, nicht das Geschenk. Wer bescheiden ist, freut sich ehrlicher und öfter. Vorbildlich, dieser Harry Potter. Und übrigens: ein zeitlos brillantes Geschenk. Ob als Buch oder als DVD.